News Bild Ein Beitrag zur Versöhnung

Ein Beitrag zur Versöhnung

Home / News

„Ein Beitrag zur Versöhnung“ – so oder ähnlich wie titelten Ende Oktober 2002 nicht nur regionale, sondern auch bundesweit erscheinende Zeitungen. Ereignis war die Gründung der Partnerschaft zwischen den Pfarreien St. Michael Neutraubling (Oberpfalz) und Corpus Christ Graslitz/Kraslice (Tschechien, Westböhmen). Am 20. Oktober 2002 hatten im Rahmen eines vom Pilsener Bischof František Radkovský zelebrierten Pontifikalgottesdienstes die Pfarrer Ludwig Gradl und Peter Fořt die Partnerschaftsurkunde unterzeichnet. Es war im Übrigen die erste Pfarrpartnerschaft, die von einer der bayerischen Vertriebenengemeinden geschlossen wurde.

Ausgangspunkt war die Predigt von Bischof František Radkovský beim Diözesantag der Ackermann-Gemeinde im Herbst 1997 in Neutraubling, wo der damalige Pilsener Oberhirte die Sudetendeutschen um Verzeihung für die Vertreibung bat und sich für Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen aussprach. Dies war für Johannes Schmid, der in Graslitz geboren und von dort vertrieben wurde, die Initialzündung. Er regte an, mit der Pfarrei seines Geburtsortes Graslitz eine Pfarrpartnerschaft einzugehen. Bereits 1998 starteten Gespräche, im September 1998 kam es zu ersten Besuchen von Jugendlichen und Erwachsenen in Graslitz und in Neutraubling sowie – bald darauf – zur ersten gemeinsamen Wallfahrt nach Maria Kulm. Ein Arbeitskreis Pfarrpartnerschaft wurde gegründet, um die weitere Arbeit dort zu bündeln.

Aufgabe des Arbeitskreises war und ist es, die Kontakte mit der Partnerpfarrei zu pflegen. Die Mitglieder bereiten Fahrten vor und tauschen sich über regelmäßige Treffen zwischen den Orten aus. Eine besondere Anregung Schmids war es, Pfarrer Fořt davon zu überzeugen, in Graslitz die Fronleichnamsprozession (am Sonntag nach Fronleichnam) wieder außerhalb des Gotteshauses, im Ortszentrum, durchzuführen. „Es geht uns um eine Bestärkung der Graslitzer, ihren Glauben öffentlich zu bekennen“, sagte der im März 2016 verstorbene Schmid. Jedes Jahr fährt an jenem Sonntag – in Tschechien ist Fronleichnam kein Feiertag – ein Bus mit 40 bis 50 Neutraublingern nach Graslitz und nimmt dort am Festgottesdienst und an der Prozession teil. Danach ist Mittagessen und Kaffeetrinken mit den Graslitzer Freunden im Pfarrgarten, bei der Rückfahrt stehen Besichtigungen entlang der Reiseroute auf dem Programm. Neben diesem persönlichen Kontakt unterstützen die Neutraublinger immer wieder Projekte in der Pfarrei Corpus Christi wie etwa die Renovierung der Graslitzer Pfarrkirche.

Der Gegenbesuch der Graslitzer Pfarrmitglieder ist in der Regel im Herbst, meist vor dem ersten Advent. Die Graslitzer bringen ihre selbsthergestellten Pumpernickel (Lebkuchen) mit, die in Neutraubling zugunsten einer Maßnahme der Pfarrei Graslitz verkauft werden. Zum Beispiel wurden mit dem Geld das Dach eines Freizeit- und Erholungsheimes oder ein Urlaubshaus für bedürftige Familien repariert bzw. renoviert.

Neben den gegenseitigen Besuchen oder Wallfahrten gehören Gebetsbrücken, bei denen in beiden Pfarreien an einem bestimmten Tag gleichzeitig in einem besonderen Anliegen gebetet wird, zu den Inhalten der Pfarrpartnerschaft. Ein Höhepunkt war im Jahr 2009 die Schenkung einer Statue der Seligen Hroznata seitens der Pfarrei Graslitz an die Pfarrei Neutraubling, die ihren festen Platz in der Kreuzkapelle der Pfarrkirche St. Michael fand.

Da die Neutraublinger Pfarrkirche erst 1955 fertig gestellt wurde, hat die Pfarrgemeinde wenig religiöse Kunstschätze. So war es für sie eine Freude, dass die Pfarrei Graslitz, zu der mehrere kaum genutzte Kirchen mit historischer Ausstattung gehören, dem Neutraublinger Gotteshaus einen fast lebensgroßen Grabchristus schenkte. Diese Figur wird seither regelmäßig am Karsamstag in der Kirche aufgestellt. Etwas später machte Pfarrer Fořt der Neutraublinger Kirche ein noch weit größeres Angebot, nämlich ihr eine komplette Krippenausstattung mit ca. 80 Zentimeter hohen Figuren als Leihgabe für zehn Jahre zur Verfügung zu stellen. Die Kirchenverwaltung Neutraubling ließ die Figuren etwas restaurieren. Seit acht Jahren ist diese große Krippe in der Advents- und Weihnachtszeit ein Anziehungspunkt der Neutraublinger Kirche.

Die Pfarrpartnerschaft wird auf beiden Seiten wesentlich von der mittleren und älteren Generation getragen, zu einem guten Teil von ehemaligen Heimatvertriebenen bzw. auf tschechischer Seite von ehemals Deutschstämmigen. Deshalb ist eine Prognose, wie sich die Partnerschaft längerfristig entwickeln wird, schwierig. Derzeit wird sie von beiden Seiten sehr engagiert getragen. Auf Neutraublinger Seite durch einen achtköpfigen „Arbeitskreis Graslitz“ und auf tschechischer Seite durch Pfarrer Fořt und etliche Mitarbeiterinnen. Neben den jährlichen gegenseitigen Besuchen an Fronleichnam und im Advent sind private Freundschaften und Besuchsanlässe entstanden, die sich über das Pfarrleben hinaus auch auf Mitglieder und Veranstaltungen des Deutschen Kulturverbandes Kraslice ausdehnen.

Die Pfarreipartnerschaft ist in die Arbeit der Pfarrei gut eingebettet und hat deshalb auch bei Pfarrer Josef Weindl einen hohen Stellenwert. „Wir haben eine große Freude daran, die Pfarrei St. Michael fährt jedes Jahr mindestens einmal nach Graslitz, manche Personen fahren sogar mehrmals“, berichtet der Seelsorger. Natürlich kann er nicht abschätzen und vorhersehen, wie es in 20 Jahren sein wird. Aktuell jedenfalls ist die Pfarreipartnerschaft lebendig und ein Aushängeschild für die Pfarrei St. Michael und die Stadt Neutraubling.



Nachrichten