News Bild Durch das Kirchenjahr: Das Gleichnis vom treuen Bruder

Durch das Kirchenjahr: Das Gleichnis vom treuen Bruder

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... mit Benedikt:

 

24. Sonntag im Jahreskreis C - Lukas 15,1-32

Jesus war ein grandioser Erzähler. Seine Formulierungen sind genial, seine Gleichnisse gehören zu den schönsten Zeugnissen der Weltliteratur. Er spricht pointiert und knapp - gleichzeitig aber drückt er damit unendlich viel aus. Seit Jesus Christus etwa über das Gottesreich sprach, wurden ganze Regalwände an Büchern über dieses Thema geschrieben. Es ist ja auch ein komplexes Thema, voller Spannungen: Das Reich Gottes ist zwar schon da, aber noch nicht ganz. Das Reich Gottes wächst unmerklich und unaufhaltsam - und braucht doch Menschen, die sich in seinen Dienst stellen, die sich wie Gärtner um die wachsende Pflanze kümmern. All das, so schwierig es bisweilen zu verstehen sein mag, ist etwa im Gleichnis Jesu vom Senfkorn zu sehen: Das Reich Gottes ist wie ein Senfkorn, aus dem kleinen Körnchen entspringt ein riesiger Baum.

Ebenso genial ist das Gleichnis, das wir an diesem Sonntag hören: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Oder doch besser gesagt: das Gleichnis vom barmherzigen Vater. Ein Sohn will das elterliche Haus verlassen, verlangt die Auszahlung seines Erbes und bringt binnen kürzester Zeit dieses Erbe durch. Da merkt er, am untersten Ende der Nahrungskette angekommen, wie falsch seine Entscheidung war. Er will umkehren, geht zum Vater zurück, hofft wenigstens auf ein bisschen Barmherzigkeit. Der Vater indes wartet bereits auf den Sohn, rennt ihm gar - für die orientalische Welt eine mehr als ungewöhnliche Geste - entgegen und verzeiht ihm, noch bevor der Sohn seine sorgsam vorbereiteten Worte der Entschuldigung hervorgebracht hat. Deswegen ist es das Gleichnis vom barmherzigen Vater: Jesus beschreibt in dieser Erzählung die Barmherzigkeit seines und unseres göttlichen Vaters.

Gleichzeitig beleuchtet er in den wenigen Versen auch die Situation jedes Menschen: Jeder Mensch macht Fehler, schlägt falsche Wege ein, braucht jemanden, der verzeiht, ihn umarmt und wieder in die Gemeinschaft aufnimmt. Auch davon berichtet das Gleichnis. Aber da ist noch eine dritte Person, die allzu oft untergeht: Der zweite Sohn dieses Vaters, der alles richtig gemacht hat. Dieser Sohn war geblieben, hatte immer fleißig im väterlichen Betrieb gearbeitet, sein Erbe nicht in fremden Landen mit zweifelhaftem Vergnügen durchgebracht. Er kann sich nicht so recht über die Haltung seines Vaters freuen. Und das doch zurecht! Wo bleibt denn der Respekt ihm gegenüber?

Der "verlorene Sohn" kehrt zurück und für ihn wird das Mastkalb geschlachtet; ein Kalb, das mit dem besten Futter genährt und für die höchsten Festtage gehalten wurde. Der daheim gebliebene Sohn muss sich ja denken: Wofür meine Mühen? Auch er hätte das Geld nehmen können, Spaß haben können. Auch er hätte sich austoben können, um anschließend reumütig zum Vater heimzukehren und sich in dessen barmherzige Arme schließen zu lassen. Dann hätte es wohl auch für ihn das Kalb gegeben und das Fest und die Freude des Vaters. So aber? Treu war er, ein Fest gibt es aber keines.

Vater und Sohn streiten sich. Jesus berichtet in diesem Gleichnis sehr viele Details. Er erzählt etwa, dass der verlorene Sohn Schweinehirt wurde und sich gerne vom Fraß der unreinen Tiere ernährt hätte. Eines aber lässt er offen: Wie der treue Sohn letztlich reagiert. Der Vater sagt zu ihm: "Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden." Und Schluss. Feiert der Bruder mit? Lässt er sich besänftigen? Verharrt er in seinem Zorn auf seinen Bruder und seinen Vater? Verlässt er vielleicht sogar die eben erst wiedervereinte Familie?

Es ist kein Zufall, dass Jesus davon nicht mehr berichtet. Denn auch dies ist eine Pointe dieses grandiosen Gleichnisses: Der Hörer darf sich die Frage durchaus selbst stellen. Damit wird das Gleichnis nicht nur zum Bild des barmherzigen Vaters, sondern auch zur Anfrage an uns Christen: Wie gehen wir damit um, wenn die Barmherzigkeit andere trifft? Jesus berichtet vom guten Hirten - damit beginnt die Perikope dieses Sonntags - der alle Schafe im Stich lässt, um eines suchen zu gehen. Eine tröstende Geschichte aus der Sicht des verlorenen Schafes - eine beängstigende Anfrage an Gott aus Sicht der Zurückgelassenen.

Das Gleichnis vom barmherzigen Vater ist eine radikale Anfrage an uns: Wie gehen wir mit unserem Gott um, der immer - und davon spricht die ganze heilige Schrift von der ersten Zeile bist zum letzten Punkt - auf der Seite der Schwachen steht, der Heimatlosen, der Vertriebenen, der Sünder und Unreinen, der Ausgeschlossenen und Aussätzigen? Übertragen wir das in unsere Welt. Wer ist da unrein? Wer sind die Zöllner, bei denen sich Jesus zum Abendessen einlädt? Und wie gehen wir damit um, dass unser Gott bei diesen Menschen zuerst sein will, sie zuerst aufsucht und, wenn es sein muss, ihnen sogar hinterhergeht wie ein guter Hirte? Wie würden wir reagieren, wenn das Mastkalb nicht unseretwegen geschlachtet wird, sondern um des verlorenen Bruders willen?



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