Regensburg, 18. November 2023
Im Evangelium des morgigen Sonntags hören wir einen Satz, der irritiert: "Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat." Was ist damit gemeint? Der Blog zum Sonntagsevangelium.
33. Sonntag im Jahreskreis A – Matthäus 25,14-15.20-21
„In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis: 14Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. 16Sofort ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. 18Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. 19Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen. 20Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. 21Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!“ 22Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. 23Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! 24Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; 25weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine. 26Sein Herr antwortete und sprach zu ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. 27Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. 30Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“
Wie kann man das Gleichnis deuten?
Wenn wir dieses Gleichnis hören, drängt uns die deutsche Sprache eine erste Deutung geradezu auf: Der Begriff des „Talents“ meint eine Begabung, eine gute Fähigkeit, die uns gegeben ist. Wir können sie ausbauen, mit ihr wirtschaften, sie fördern – oder aber, wie der dritte Diener im Gleichnis, einfach vergraben, ignorieren und verkümmern lassen. Diese Deutung ist im Originaltext zumindest nicht so eindeutig; „Talent“ meint hier einfach nur eine Währungseinheit und noch nicht eine persönliche, besondere Begabung. Im Gleichnis erhalten drei Diener unterschiedlich viel Geld: Fünf, zwei und ein Talent; jeweils eine sehr große Summe. Die ersten beiden Knechte wirtschaften mit dem Geld und verdoppeln es. Der dritte Knecht vergräbt das Geld – wohl aus Sorge vor dem strengen Herrn. Nun werden die ersten beiden Knechte gelobt, der dritte aber schroff abgewiesen: „Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis!“ (Mt 25,30). Man kann die Zögerlichkeit dieses dritten Dieners doch eigentlich gut verstehen: Was, wenn die anderen Knechte beim Wirtschaften etwas vom Geld verloren hätten? Dann wäre er doch der Held, der das ihm Übergebene zumindest abschlagsfrei hätte zurückgeben können.
Ein Schlüssel für das Gleichnis dürfte in der Frage liegen, wer dieser Herr ist und warum er „lange Zeit“ abwesend ist. Das Gleichnis findet sich in den eschatologischen Reden Jesu. Die Kirche identifiziert Christus mit diesem Herrn, der nach seiner Himmelfahrt von dieser Erde gegangen ist – doch nicht für immer: Die Kirche erwartet die Wiederkunft Jesu am Ende der Zeiten. Die frühe Kirche ging davon aus, dies werde sehr bald geschehen. Umso deutlicher wird der Hinweis, dass der Herr womöglich „lange Zeit“ abwesend sein wird.
Wir leben als Kirche in dieser Abwesenheit des Herrn. Uns sind die „Talente“ Gottes übertragen; das sind nicht in erster Linie persönliche Begabungen, sondern das Evangelium. Wer soll er verbreiten und vermehren, wenn nicht wir? Die Versuchung des dritten Dieners liegt nahe: Das Evangelium vielleicht in seinem Bestand treu zu verwalten, es aber aus Sorge vor Ablehnung oder Erfolglosigkeit doch für sich zu bewahren, es nicht zu verkünden. Das ist aber nicht der Auftrag des Christen. Nicht umsonst geht das Gleichnis nicht von der Möglichkeit aus, beim Wirtschaften könnte etwas von den Talenten verloren gehen. Wir verlieren nichts, wenn wir das Evangelium verkünden. Dabei hat einer mehr Möglichkeiten und erhält „fünf Talente“, der andere vielleicht weniger. Aber jeder muss das ihm Mögliche tun, um Zeugnis abzulegen vom Herrn, bis er kommt.
Text: Benedikt Bögle
(SSC)