Der Retter ist geboren – Weihnachten ist eine Botschaft des Heils für alle Menschen
Die Zeit des Wartens hat ein Ende. Weihnachten ist bald da. Endlich. Die Kinder wissen nun, ob ihre sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen sind oder nicht. Die Vorbereitungen auf das Fest sind zu einem Ende gekommen. Gans gegessen, Baum geschmückt, die CD mit den Weihnachtsliedern eingelegt. Für viele Menschen gehört auch der Besuch eines Gottesdienstes zum festen Programm eines jeden Weihnachtsfestes. Die feierlichen Messen unterstreichen den Charakter des Festes. Eine kleine Jesusfigur wird in die Krippe gelegt, die dunkle Kirche ist nur vom Christbaum erhellt und das Singen von „Stille Nacht“ ist so etwas wie ein unverzichtbarer Bestandteil dieser Heiligen Nacht.
Ähnliche Berühmtheit haben auch die Anfangsworte des heutigen Evangeliums (Lukas 2,1-14) erlangt: „In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen“ (Lukas 2,1). Und Lukas, der auch an anderen Stellen hohen Wert auf historische Angaben legt, schiebt nach: „Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien“ (Lukas 2,2). Mit dieser Angabe haben Historiker oft ein Problem: Zwar gilt es als gesichert, dass es im Römischen Reich Steuerlisten gab. Auf diese Weise konnte der Kaiser effektiv Steuern erheben. In Judäa fand eine solche Erhebung wohl auch unter Quirinius statt, der aber wurde erst Statthalter, als König Herodes schon tot war. Herodes aber muss nach der Schilderung der Evangelien eigentlich noch gelebt haben, als Jesus geboren wurde. Von dieser kleinen Unsicherheit abgesehen, bietet diese Geschichte den Grund, weshalb Josef und Maria, eigentlich Einwohner Nazareths, ihren Sohn in Bethlehem zur Welt bringen: Josef scheint Grundbesitz in Bethlehem gehabt zu haben, der musste vor Ort geltend gemacht werden. Josef, so berichtet Lukas, stammte aus der Linie Davids, er war also ein Nachfahre des großen Königs von Juda und Israel.
Schweigen vor dem Unsagbaren
Lukas berichtet sehr feierlich von der Geburt Jesu. Er ahmt hier den Stil der sogenannten Septuaginta nach, der antiken griechischen Übersetzung der heiligen Schrift Israels. Diese Sprache unterstreicht die große Bedeutung dessen, was hier gesagt wird, die große Bedeutung dessen, was im Stall von Bethlehem geschieht: Das göttliche Wort wird Mensch unter Menschen. Von der eigentlichen Geburt erfahren wir eigentlich nichts. Wir wissen, weshalb die in Nazareth ansässige Familie in Bethlehem weilt, wir erfahren, dass der Platz in den Herbergen heillos ausgebucht war und die Familie deswegen in einem Stall oder einer Höhle nächtigen muss. Die eigentliche Geburt wird aber nur sehr knapp geschildert: „Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen“ (Lukas 2,6-7). Vor diesem unsagbaren Wunder im Stall von Bethlehem muss auch der Evangelist letztlich schweigen. Wie auch in den Ostererzählungen kann nur von Zeugen berichtet werden, das eigentliche Geschehen entzieht sich aber dem menschlichen Begreifen.
Jesus gegen Augustus
Zu diesen Zeugen gehören an erster Stelle die Hirten auf den Feldern um Bethlehem herum. Ihnen erscheint ein Engel mit einer Botschaft, die wahrhaft die Welt erschüttern sollte: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lukas 2,10-11). Dies ist eine auch politische Aussage: „Retter“ ist der Titel für Könige und Kaiser. Der antike Leser und die antike Hörerin mussten an den Mann denken, dessen Namen gleich zu Beginn dieses Abschnitts gefallen war, an Augustus. Auch er nannte sich Retter – war es aber nicht. Er mag zwar Frieden über die Welt gebracht haben, erkauft aber war dieser friedliche Zustand durch Unterdrückung und Gewalt. So kann echter Friede nicht sein. Wer sich verhält wie die römischen Kaiser, kann nicht wirklich Retter sein. Wirklich retten kann nur Gott. Denn wahre Rettung kann sich niemals nur auf irdische Erlösung konzentrieren. Nur wenn der Mensch aus seiner Sünde und dem Tod gerettet wird, können wir wirklich von einem „Retter“ sprechen. Dieser Retter ist Christus, kein römischer Kaiser, kein Wirtschaftsboss, kein Politiker.
Fürst des Friedens
Schon in der ersten Lesung (Jesaja 9,1-6) spielt der Friede eine große Rolle. Das Volk, das im Dunklen lebe, sehe ein helles Licht; über denen, die in der Finsternis wohnen, strahle ein Licht auf. Wie am Tag von Midian werde das Volk jubeln. In Midian hatte eine Minderheit der Israeliten ein deutlich stärkeres Heer besiegt – geführt und geleitet durch Gott. Ein gewisser Nebel liegt auf diesem Text des Propheten Jesaja: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“ (Jesaja 9,5). An der Geburt dieses Kindes wird die Erlösung Israels festgemacht. Aber: Wer ist dieses Kind? Ein starker Krieger? Ein mächtiger König? Dazu bietet Jesaja keine Antwort. So verwundert es auch nicht, dass die Kirche früh dieses Kind mit Jesus in Verbindung brachte. Christus ist das Kind, das Jesaja „Fürst des Friedens“ nennt.
Vollenden muss Gott
Nur: Wir leben nicht im Frieden. Unsere Welt ist von vielen Konflikten geprägt, von kriegerischen Auseinandersetzungen wie von den kleinen und großen Streitigkeiten des eigenen Lebens. Das Kriegsgerät ist nicht wie Jesaja es beschreibt, ein für alle Mal beseitigt. Im Gegenteil. Durch die Geburt Jesu hat sich diese Welt noch nicht in das Paradies verwandelt. Dieser Text wartet daher noch auf seine letzte Erfüllung. In und mit Jesus hat es begonnen, wachsen soll es unter uns Menschen, vollendet wird es aber erst am Ende der Zeiten. Der ganze Advent stand unter dem Zeichen des Wartens: auf Weihnachten als das Fest der Geburt Jesu, aber auch auf das Ende der Zeiten, wenn Christus wiederkommen wird, um diese Welt zu richten. Wir müssen noch warten. Und doch beginnt mit Jesus eine Zeit des Friedens, der Rettung und des Heiles. Deshalb können die Engel den Hirten auf dem Feld auch verkünden: „Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lukas 2,14).
Heil für alle
Dies ist die Botschaft an die Hirten. Nicht zufällig sind sie die ersten Zeugen der Geburt des Herrn. Hirten sind arme Menschen, einsam und von der Gesellschaft nicht selten ausgeschlossen. Gleichzeitig sind sie wachsam. Sie sind die ersten Adressaten des Heils. Die Armen, die Kranken, die Einsam, die Sünder – an sie richtet sich Gottes Botschaft besonders. Das will auch die zweite Lesung (Titusbrief 2,11-14) klarstellen. Diese Lesung beginnt mit den Worten: „Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.“ Alle. Nicht nur die Vollkommenen oder die Frommen. Nicht nur Juden, sondern auch Heiden. Alle Menschen. Das ist es, was Weihnachten zu einem Fest grenzenloser Freude macht. In Jesus ist die unendliche Gnade Gottes greifbare Person geworden. Unendlich wie seine Gnade ist auch seine Liebe. „Er hat sich für uns hingegeben“, heißt es im Titusbrief (2,14). Diese Hingabe zeigt sich der Erniedrigung Gottes in der Geburt Jesu, in seinem Leiden und in seinem Sterben. Gott kann uns im wahrsten Sinne des Wortes leiden. Und deswegen gelten die Worte des Engels auch uns: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“