„Den Nationalismus überwinden“
(pdr) Anlässlich der EU-Osterweiterung hat der Regensburger Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller zusammen mit Bischof Frantisek Radkovsky von Pilsen am 1. Mai einen Festgottesdienst gefeiert. Über 600 Gläubige waren in die grenznahe Wallfahrtskirche gekommen. In seiner Predigt betonte Bischof Gerhard Ludwig die gemeinsame Aufgabe aller Christen, für ein friedliches Miteinander einzutreten. Dabei betonte er, die europäischen Völker müssten sich nicht nur auf wirtschaftlicher und politischer Ebene näherkommen. Wichtig sei es, das gemeinsame Europa auf ein gemeinsames, tiefes Fundament zu stellen.
„Was ist denn die Tiefendimension Europas?“ fragte Bischof Gerhard Ludwig. „Der Entwurf für die gemeinsame Verfassung aller europäischen Länder nennt sie nicht beim Namen. Sie erwähnt nur allgemeine religiösen Wurzeln in Europa. Es wird nicht klar zum Ausdruck gebracht, dass es die christlichen Wurzel ist, die den Baum Europas in einem tiefen Fundament verankert. Entscheidend ist, was Europa in den romanischen, germanischen und den slavischen Völkerschaften seit Beginn unserer Zeitrechnung verbunden hat: Der Glaube an Jesus Christus. Erst das Christentum hat Europa zu einer Einheit zusammen gebracht und zusammen geformt. Es ist unsere Aufgabe, die wir uns zu Jesus Christus bekennen, dass wir diese innere Einheit beim Namen nennen und damit einer wirklichen Gemeinschaft den wichtigsten, den entscheidenden Dienst leisten.“
Im Nationalismus steckt ein atheistischer, Gott verleugnender Kern
Eine politische und wirtschaftliche Grundlage bliebe letztlich brüchig, so der Bischof. Alles würde wieder hinauslaufen auf gegensätzliche Interessen einzelner Nationen. Er erinnerte an die Vergangenheit, in der sich die Völker viele Wunden geschlagen hätten. „Das hat nicht erst mit den furchtbaren totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts angefangen, sondern schon in den Nationalismen des späten Mittelalters. In jedem Nationalismus steckt schon ein atheistischer, ein Gott verleugnender Kern. Nationalismus ist ein Rückfall in das Heidentum. Die eigene Kultur und Sprache wird vergöttert, wie ein Götze an die höchste Stelle gesetzt“. Man sei bereit, einem solchen Götzen die anderen Menschen zu opfern, deren „Gesundheit und Leben einfach in den Dreck zu treten weil man meint: Meine eigene Nation ist alles“. Dieser Nationalismus habe sich wie eine gewaltige Blutspur durch Europa gezogen. „Wie viele Kriege gab es nur aus nationalistischem Eigeninteresse, aus der Vergötzung der eigenen Nation heraus. Hier hat Europa seine christliche Wurzel verraten. Christlicher Glaube heißt, dass wir uns nur vor dem einen Gott niederwerfen und keine anderen Götter neben ihm haben, auch nicht den Götzen der Nation, also der Selbstvergötterung des Menschen“.
Menschenwürde kommt von Gott, nicht von staatlichen Organisationen
Gott hat jedem einzelnen Menschen das Bild seines eigenen Wesens ins Herz gelegt, so dass jeder Mensch in seiner Würde ein Spiegelbild des unendlichen Gottes ist“, hob Bischof Gerhard Ludwig hervor. „Jeder Mensch bekommt von Gott her seinen Wert zubemessen, nicht von Staats wegen oder auf Grund irgendeiner Ideologie. Jeder Mensch trägt seine Menschenwürde in sich selber, und zwar schon vor aller staatlicher Organisation“. Das sei auch die Aussage der modernen Demokratien, im Gegensatz zu den Volksdemokratien, die ‚das Volk’ über den Einzelnen stellten. „Die Grundrechte des Menschen bestehen immer und ursprünglich, und keine Macht der Welt, sei sie staatlich oder gesellschaftlich, hat hierüber das Verfügungsrecht. Unser christlicher Glaube sagt, dass die Anerkennung Gottes die Anerkennung aller als Brüder und Schwestern bedeutet“.
„Unsere Aufgabe als Kirche ist, für andere da zu sein“
Die Kirche, so Bischof Gerhard Ludwig, sei trotz des Eisernen Vorhangs nie geteilt gewesen. „Im Glauben waren wir immer schon miteinander verbunden. Dir Kirche muss sich nicht auf den Weg machen, um zu Einheit zu kommen; die Kirche ist schon in Jesus Christus geeint“. Darum hätten alle Glaubenden in dem sich zusammen findenden Europa eine ganz besondere Aufgabe. „Es geht nicht darum, bei den konkurrierenden Weltanschauungen und Parteiungen einen möglichst großen Vorteil für uns herausschlagen. Unsere Aufgabe als Kirche ist, für andere da zu sein. Gott hat die Kirche gestiftet, damit sie Instrument für die Einheit der Menschen und Völker untereinander werde. Daher müssen wir als katholische, also universale, weltumspannende Kirche in allen Länder Schrittmacher sein auf eine größere Einheit der Menschen untereinander“. Durch ein Zeugnis des gemeinsamen Glaubens könnten die Götzen des Nationalismus und des Totalitarismus überwunden werden.
Wo der Mensch sich selber zum Götzen gemacht hat, dort ist er zum Teufel geworden gegenüber sich selber. Wie viel Diabolisches ist geschehen in den Konzentrationslagern, in Auschwitz und im stalinistischen Gulag, in der Christenverfolgung in Ost und West. „Dort wo der Mensch sich über den Menschen erhebt, dort wird er seinem Mitmenschen zum Teufel, dort wird der Mensch zum Verbrecher. Aber dort, wo der Mensch in der Gnade Gottes sich voll Liebe auf den Mitmenschen zubewegt, da werden wir zu Dienern der Freude, des Evangeliums. Dann finden wir uns wieder in der Freiheit der Kinder Gottes.
Auch der Atheismus wird überwunden werden
Bischof Gerhard Ludwig rief alle Gläubigen auf, sich nicht einschüchtern zu lassen vor angeblich nicht mehr rückgängig zu machenden historischen Entwicklungen. „Wir können uns noch erinnern, wie es in Zeiten des Kalten Krieges Spitz auf Knopf stand, wie die Menschheit kurz davor gestanden hat, sich in einem atomaren Krieg selbst auszulöschen. Keiner hat es damals gewagt zu sagen: Der Kommunismus wird einmal zusammenbrechen, der Eiserne Vorhang wird nur noch eine traurige Episode in der Geschichte sein“. Auf einmal aber sei alles vorbei gewesen. Bischof Gerhard Ludwig zitierte Michail Gorbatschow, der den entscheidende Beitrag des Papstes bei der Überwindung des Kommunismus erklärt hatte. „Der Papst hat sein Vertrauen ganz auf Gott und Maria gesetzt hat. Es war das Gebet der ganzen Kirche, dass Gott die furchtbare Bedrohung durch den Kommunismus wegnehme. Und heute, am 1. Mai, am Tag der Gottesmutter, sehen wir, welche Macht Gott hat. Keine menschliche Macht kann den Heilsplan Gottes aufhalten, wenn wir uns ihm nur anvertrauen“.
Auch der Atheismus werde eines Tages überwunden sein. Diese Lebenshaltung sei eine innere Verdiesseitigung des Menschen, eine Säkularisierung des Geistes und der Herzen, eine Stumpfheit gegenüber dem Wort Gottes. „Doch, und davon bin ich fest überzeugt, es wird wieder auf beiden Seiten der Grenze, die uns nun miteinander verbindet, lebendige Pfarrgemeinden und Diözesen geben. Auch Ehe und Familie werden wieder als das entscheidende Ideal für ein gelingendes Zusammenleben, für ein gelingen der Zukunft hoch geschätzt werden“.
Zum Schluss rief Bischof Gerhard Ludwig die Gläubigen auf, den Weg zu gehen, den die Mutter Gottes gewiesen habe. „Maria hat den Jüngern bei der Hochzeit von Kanaa gesagt: Was Jesus Euch sagt, das tut. Das gilt auch für uns, die Jünger Jesu heute. Wenn wir ihm folgen, gehen wir den Weg des Heiles. Dann kann keine menschliche Macht sich dem entgegen stellen. Gott ist und bleibt der Herr der Geschichte.