News Bild Caritas-Direktor von Odessa äußert sich zur Lage nach Staudamm-Katastrophe
Caritas-Direktor von Odessa äußert sich zur Lage nach Staudamm-Katastrophe

Das Aufräumen wird gefährlich

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Odessa, 29. Juni 2023

Vor rund drei Wochen brach in der Ukraine der Kachowka-Staudamm. Die Caritas in der Regensburger Partnerstadt Odessa leistet seither Nothilfe und wird von der Caritas Regensburg finanziell unterstützt. Wie ist die Lage im Katastrophengebiet?

Am 6. Juni brach am frühen Morgen der Damm des Wasserkraftwerks Nowa Kachowka in der Ukraine. Die Folgen der Flut sind verheerend: Rund 16.000 Menschen sind in der Region Cherson betroffen und etwa 3500 Häuser wurden dort überflutet. Laut Caritas international gelten im gesamten Katastrophengebiet 42.000 Menschen als gefährdet und eine Wasserknappheit droht für rund 200.000 Menschen.

Aktuelle Hilfen sind erst der Anfang

Die Caritas in der Regensburger Partnerstadt Odessa leistet seit der Zerstörung des Staudamms in Kooperation mit dem Dachverband Caritas Ukraine und staatlichen Stellen Nothilfe: Mehr als 25 Tonnen Trinkwasser wurden bislang ins Katastrophengebiet geliefert, zudem hunderte Hygienesets. Der Wasserpegel sinkt, das gesamte Ausmaß der Katastrophe wird damit erst sichtbar. Die Nothilfen, die aktuell geleistet werden, sind erst der Anfang der notwendigen Unterstützung in der Region. „Wir werden langfristig Hilfen leisten müssen“, sagt Vasyl Kolodchyn, Direktor der lokalen Caritas Odesa UGCC. Im Caritas-Interview schildert Kolodchyn die aktuelle Lage im Katastrophengebiet und die Schwierigkeiten, vor denen die Helfer vor Ort stehen.

Am 6. Juni brach am frühen Morgen der Damm des Wasserkraftwerks Nowa Kachowka. Wie und wann haben Sie davon erfahren?

Vasyl Kolodchyn: Ich habe gleich morgens aus erster Hand davon erfahren, und zwar von zwei Priestern aus den Städten Beryslaw und Cherson. Wir haben dort Außenstellen, beide Städte liegen am Fluss Dnirpo, Beryslaw oberhalb des Kachowka-Staudamms, Cherson unterhalb. In Beryslaw bestand die Gefahr der Überflutung nicht. Aber in Cherson haben wir die Menschen sofort informiert und einige evakuiert, um sie vor der Flut zu schützen.

Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert?

Um ehrlich zu sein, hatten wir Angst. In den ersten Stunden nach dem Dammbruch konnten wir überhaupt nicht einschätzen, welches Ausmaß die Katastrophe haben würde. Wieviel Wasser wird kommen? Welche Orte werden überflutet sein? Wie viele Menschen werden betroffen sein? Das waren alles Fragen, auf die wir keine Antworten hatten. Wir wussten nur wenig über die aktuelle Lage, nichts über die Folgen – und mussten trotzdem handeln. Das war die Herausforderung, vor die uns diese Katastrophe stellte. Es war für uns alle eine neue und unbekannte Situation. Zum Glück haben sich schnell staatliche wie kirchliche Akteure zusammengetan und mit den Evakuierungen begonnen. Doch die Kriegssituation erschwerte die Hilfsmaßnahmen zusätzlich: Die Orte, die evakuiert wurden, wurden von der linken, russisch besetzten Uferseite beschossen. Die Situation war beängstigend und furchtbar.

Wie schätzen Sie die Lage mittlerweile ein?

Mittlerweile ist die Lage klarer und besser einzuschätzen: Der Wasserpegel sinkt, wenn auch langsamer als gedacht. Wo anfangs ein Wasserstand von sechs Metern war, liegt er jetzt bei zwei. Es wurden in der Region Cherson 3500 Häuser überflutet, rund 16.000 Menschen sind dort betroffen. Etwa 3500 Menschen haben die Region verlassen, rund 500 von ihnen sind nach Odessa gekommen, zu Freunden oder Verwandten. Die meisten Menschen aber wollen die Region nicht verlassen, sie warten bis die Wasserstände sinken und sie zu ihren Häusern zurückkehren können – oder zu dem, was davon übrig ist. Beryslaw und die umliegenden Dörfer oberhalb des Staudamms sind von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten. Diese Orte haben bislang ihr Trinkwasser aus dem Kachowka-Stausee gewonnen, aber diesen gibt es nun natürlich nicht mehr.

So stellt sich die Lage für das rechte Flussufer dar. Wie es auf der linken Seite aussieht, wissen wir nicht. Diese Region steht unter russischer Besatzung und wir kommen an keinerlei Informationen. Wir wissen aber, dass das Gebiet tiefer liegt und demnach von den Fluten noch schlimmer getroffen sein könnte.

Menschen aus der Ukraine mit Paketen von Wasserflaschen

Nothilfe nach dem Staudammbruch: Oberste Priorität hat das Bereitstellen von Trinkwasser. © Caritas Odesa UGCC

Wenige Tage nach dem Dammbruch hat die Caritas Regensburg die Nothilfen der Caritas Odesa UGCC mit 25.000 Euro unterstützt. Welche Nothilfen leisten Sie und Ihr Team?

Wir haben uns sofort mit unserem Dachverband Caritas Ukraine, mit staatlichen Stellen und vielen Freiwilligen vernetzt, mit dem gemeinsamen Ziel, den Menschen im Katastrophengebiet schnell zu helfen. Wir haben Menschen aus der Region Cherson evakuiert. Wir sind auf die Suche nach Ressourcen gegangen und haben Trinkwasser, Lebensmittel, Hygieneartikel und Bettwäsche organisiert. Wir haben 20 Tonnen Trinkwasser nach Beryslaw und in die umliegenden Dörfer geliefert. Nach Cherson haben wir 6900 Liter Trinkwasser geliefert. Zudem haben wir 500 Hygienesets in die Region geliefert und Kohletabletten besorgt, die Darmerkrankungen vorbeugen.

Welche Hilfen wird die Caritas Odesa UGCC längerfristig leisten?

Wir planen, in den Orten, die bislang ihr Trinkwasser aus dem Kachowka-Stausee gewonnen haben, Trinkwasserbrunnen zu bohren. In den überfluteten Gebieten stehen Reparaturen und der Wiederaufbau von Häusern an.

Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung der Lage ein?

Ich fürchte den Ausbruch von Krankheiten. Das hängt auch damit zusammen, dass durch die Flut viele Tiere gestorben sind, die Kadaver kommen mit dem Rückgang des Wassers nun zum Vorschein, locken Fliegen an. Hinzu kommt, dass das Aufräumen sehr gefährlich wird. Das Wasser hat Minen aufgespült, mit sich gerissen, verschoben. Bevor wir den Müll wegräumen, müssen die Gebiete entmint werden. Wir werden sogar bei uns in Odessa gewarnt, nicht an den Strand zu gehen, weil dort angespülte Minen liegen könnten.

Sind weitere Folgen der Flut sogar in Odessa sichtbar?

Ja. Der Fluss Dnirpo, in dem der Damm brach, mündet ins Schwarze Meer, Odessa liegt am Schwarzen Meer und ist auf dem Wasserweg rund 250 Kilometer vom Staudammbruch entfernt. Teile von Häusern, Mauerbruchstücke oder ganze Dächer, Müll und tote Tiere wurden bis zu uns an den Strand gespült. Auch ein lebendes Tier kam bei uns an: Ein Hund trieb auf einem Holzstück, das ihm als Floß diente. Wir konnten den Hund retten. Welch ein Wunder, oder?

Zwei Männer

Kooperation über Grenzen hinweg: Vasyl Kolodchyn (li.), Direktor der Caritas Odesa UGCC, besuchte im April 2023 Michael Weißmann, Direktor der Caritas Regensburg. © Landauer/Caritas Regensburg

Partnerschaft zwischen Caritas Regensburg und Caritas Odesa UGCC

In der Region Odessa waren bereits Anfang des Jahres rund 120.000 Binnenvertriebene registriert. Die Zahl der Mitarbeitenden von Caritas Odesa UGCC lag vor Kriegsausbruch bei 17 - heute beschäftigt derselbe Verband 120 hauptamtliche Mitarbeitende. Die Organisation hatte bislang insgesamt 15 Projekte, mit denen sie Binnenvertriebene unterstützt.

Odessa ist Partnerstadt von Regensburg. Die Caritasverbände in Regensburg und Odessa arbeiten seit Ausbruch des Krieges eng zusammen. Die Spendengelder aus Regensburg flossen bislang in das Projekt "Child Friendly Space" (Raum für Kinder) und versorgen die entsprechenden Räume mit Strom- und Wärmeaggregaten. "Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung. Die Caritas aus Regensburg war eine der ersten Organisationen, die uns bereits kurz nach Kriegsbeginn kontaktiert hat", sagt Vasyl Kolodchyn, Direktor von Caritas Odesa UGCC.

Text: Caritas Regensburg

(kw)

Eine ältere Frau erhält Trinkwasser in ihrem Zuhause.

Eine ältere Frau erhält Trinkwasser in ihrem Zuhause. Die Stadt Beryslaw und umliegende Dörfer oberhalb des Kachowka-Staudammbruchs sind von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten. © Caritas Odesa UGCC

Weitere Infos

Spenden für die Caritasarbeit in Odessa

Spendenkonto:

Caritasverband für die Diözese Regensburg

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BLZ: 75090300

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