Mächtige Linde neben einer kleinen Kapelle

Brauchtum in Ostbayern: Die Tausendjährige Linde

Ein romantischer Platz


Regensburg, 22. August 2025

Für Jürgen Schuller (Faszinierende Bäume in Niederbayern) ist es eine unfassbar malerische Linde an einem der romantischsten Plätze in ganz Niederbayern, für andere ein eher unheimlicher und geheimnisvoller Ort: die Tausendjährige Linde an der kleinen Kapelle Halbmeile.

Der beeindruckende Baum steht direkt am Waldrand neben einer kleinen Wallfahrtskapelle am früheren Weg von Tittling nach Fürstenstein. Nicht zu verwechseln mit der bekannten Wallfahrtskirche zur Schmerzhaften Muttergottes in Halbmeile bei Deggendorf.

Geheimnisvolle Geschichte

Umgeben von uralten Bäumen regt die kleine Kapelle bei der tausendjährigen Linde seit jeher die Fantasie der Menschen an. Der Legende nach soll sich hier im Mittelalter eine Richtstätte befunden haben. Die ursprüngliche Kapelle soll als Sühnekapelle für die hier gerichteten Verbrecher erbaut worden sein. Die Enthaupteten oder Gehängten seien auch an diesem Ort begraben sein, ist auf einer Tafel zu lesen. Nachgewiesen ist, dass die jetzige kleine Kapelle 1825 von dem Bauern Anton Wallner zum Dank dafür errichtet wurde, dass es beim Bau seines Hauses zu keinem Unfall gekommen war.  

Die Tausendjährige Linde

Gleich in der Nähe der alten Kapelle steht die berühmte Tausendjährige Linde. Schon 1938 wurde sie durch den Beschluss des damaligen Bezirksamtes Passau zum Naturdenkmal erklärt. Der Baum ist mit einem Umfang von 7,64 Metern eine imposante Erscheinung. Ganz besonders ist auch die malerisch-geheimnisvolle Höhle im Stamm des Baumriesen. Drei Menschen sollen hier Platz finden. In ihrem Inneren steht eine Marienstatue, und in manchen Nächten ist die Höhle von Kerzen erleuchtet.

Die ruhelosen Seelen

Dass an dieser Stelle eine mittelalterliche Richtstätte war, ist eher unwahrscheinlich. Auch urkundliche Erwähnungen dazu gibt es nicht. Trotzdem ist nicht verwunderlich, dass dieser geheimnisvolle Ort in früherer Zeit die Fantasie der Menschen angeregt hat. Man erzählte schaurige Geschichten von Geistererscheinungen der ruhelosen Seelen der angeblich Gehängten und Totenlichtern, die in den Bäumen hängen. Der Tittlinger Lehrer Karl Mayrhofer (1894–1935) verfasste sogar ein Gedicht über diese „Richtstätte“:

…Viele Hundert schlafen dort und träumen;
doch zieht die Sommernacht herauf,
dann brennen in den alten Bäumen
der armen Seelen Lichter auf.
Sie flattern durch den Wald und klagen,
und eh‘ der Morgen kommt herbei,
durchbraust’s den Wald wie Schwerterschlagen
und wie ein harter Todesschrei.
Der Wanderer sieht die weißen Flammen,
er flieht zum Kreuze hin und spricht
ein stilles „Vater unser … Amen“, 
da sinkt vom Baume Licht um Licht.

Der Autor Jürgen Schuller, der für sein Buch „Faszinierende Bäume in Niederbayern“ den Ort mehrmals besucht hat, fand nach eigenen Angaben allerdings weder Spuk noch Totenlichter. Nur eine beeindruckende Tausendjährige Linde an einem zauberhaften Ort.


Text: Judith Kumpfmüller

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