Regensburg, 09.02.2034
Jede Woche teilt Benedikt Bögle seine Gedanken zum Evangelium des Sonntags. Am kommenden Sonntag hören wir von den Kleinsten und von den Großen im Himmelreich.
Sechster Sonntag im Jahreskreis A – Matthäus 5,17-37
„In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: 17Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. 18Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. 19Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. 20Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. (…)“
Nachdem Jesus seine „Bergpredigt“ begonnen hat, will er die Bedeutung seiner Lehre ins rechte Licht rücken. Lehrt er völlig neue Dinge, die alles bisher Bekannte ablösen wollen? Gibt er neue Gesetze, macht er die Propheten des Volkes Israel völlig obsolet? Die Antwort Jesu auf diese Frage ist eindeutig: Er ist nicht gekommen, um irgendetwas aufzuheben – nicht die Gebote der Tora, nicht die Worte der Propheten oder der Heiligen Schrift insgesamt. Er ist gekommen, um zu „erfüllen“, nicht um aufzuheben. Wer selbst das kleinste Gebot, das geringste Detail aufhebt, wird im Himmelreich der Kleinste sein.
Jesus bestimmt mit diesen Worten sein Verhältnis zum Volk Israel. Durch die Jahrhunderte hindurch hatte Gott zum Volk Israel gesprochen. Er hat ihnen Gesetze gegeben und den Geist in den Propheten geweckt, die sein Wort verkündeten. All das wird von Jesus nicht beiseite gewischt – im Gegenteil: Noch das kleinste „I-Tüpfelchen“ dieser Geschichte Gottes mit seinem Volk bleibt bestehen und darf nicht aufgehoben werden. Wir werden aber ein erstes Mal innehalten müssen, wenn wir feststellen, dass das Christentum die vielfältigen Regelungen der Tora heute nicht mehr hält. Gott bestimmt ja dort nicht nur den Dekalog – die „zehn Gebote“ – als verpflichtend, sondern trifft vielfältige Vorschriften, die etwa die Speisegebote, die Opfer, die kultische Reinheit oder auch den Ackerbau betreffen. Warum halten wir diese Gebote nicht mehr? Tun wir damit nicht eben das, was Jesus eigentlich verboten hatte – nämlich Gesetze aufzuheben?
Diese Frage musste sich die frühe Kirche bereits stellen. Durch das Evangelium des Apostels Paulus wurden Menschen aus dem ganzen Mittelmeerraum zum Christentum bekehrt. Sie waren noch keine Juden, waren nicht beschnitten, hielten sich nicht an die Regelungen der Tora. Die Apostel einigten sich darauf, dass diese bisherigen „Heiden“ sich an die Gebote der Tora nicht sämtlich halten mussten. Die Gebote selbst und ihre Verbindlichkeit für das Volk Israel wurden dadurch nicht angetastet.
Jesus bestimmt seinen Standpunkt: Er steht fest auf dem Boden der Geschichte Gottes mit seinem geliebten Volk. Jesus erfüllt, er hebt nichts auf. Die ganze Botschaft Jesu reflektiert, was Gott bereits seinem Volk zugesagt hatte. Jesus legt Zeugnis ab von der unendlichen Liebe des Vaters; er zeigt uns als Sohn, wie der Vater ist. Der bisherigen Geschichte Gottes mit den Menschen wird nicht ihre Würde und nicht ihre Bedeutung abgesprochen – vielmehr will Jesus diese Geschichte zur Fülle führen.
Text: Benedikt Bögle / (jw)
Titelbild: ©BillionPhotos.com – stock.adobe.com