Bischofskonferenz in Haiti beklagt katastrophal wachsende Bandengewalt
„Es gibt keinen sicheren Ort mehr“
Port-au-Prince, 18. März 2024
Der Vorsitzende der haitianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Max Leroy Mésidor, sieht sein Land am Rande eines Bürgerkriegs, nachdem bewaffnete Banden, von den Einheimischen „Gangs“ genannt, weite Teile des Karibikstaates unter ihre Kontrolle gebracht haben.
„Die Gangs treten wie eine organisierte Armee auf. Sie sind sehr gut ausgerüstet. Es sind enorm viele Waffen im Umlauf“, sagte der Erzbischof im Gespräch mit dem weltweiten katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ (ACN). In einigen Regionen gebe es Gruppen, die versuchten, den Gangs entgegenzutreten. Aber diese Milizen und sogar die Polizei könnten wenig ausrichten gegen die immer weiter um sich greifende Bandengewalt: „Ja, es ist wie ein Bürgerkrieg. Es gibt keinen sicheren Ort mehr.“
Politisches Chaos
In Haiti herrscht nach der Rücktrittsankündigung von Interims-Premier Ariel Henry eine Regierungskrise. Henry hatte die Regierungsgeschäfte kurz nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 übernommen. Ein Übergangspräsidialrat soll nun Neuwahlen vorbereiten.
Bewaffnete Banden hatten sich Ende Februar zusammengeschlossen und Henrys Rücktritt gefordert. Inzwischen sind laut der Internationalen Organisation für Migration mehr als 360.000 Menschen innerhalb Haitis vor der Gewalt geflohen; Beobachter gehen von einer sich ständig verschärfenden Hungersnot im Land aus.
Verbrecher dringen sogar in Kirchen ein
Entführungen seien an der Tagesordnung, erklärte Mésidor: „Egal, ob man arm oder reich, ein Intellektueller oder ein Analphabet ist, jeder kann entführt werden. Das ist eine Plage, es erstickt die Haitianer.“ Auch immer mehr Priester und Ordensleute gerieten ins Visier der Banden. So seien allein in diesem Jahr mindestens sechs Ordensschwestern, sechs Ordensmänner und zwei Priester entführt worden. „Die Gangs gehen sogar so weit, dass sie in die Kirche eindringen, um Leute zu entführen. Manche Pfarreien wurden geschlossen, weil die Pfarrer sich in Sicherheit bringen mussten.“
Er selbst, so Mésidor weiter, habe seit über einem Jahr seine Kathedrale und die Büroräume in der Hauptstadt Port-au-Prince nicht mehr aufsuchen können, da sich diese in einem der unsichersten Stadtviertel in der Nähe des Präsidentenpalastes befänden. Auch seien zwei Drittel seiner Erzdiözese nicht besuchbar. Aktuell sei es kaum möglich, die Hauptstadt zu verlassen.
„Ohne Hilfe von außen wäre es schwer, weiterzumachen“
Angesichts der anhaltenden Krise in Haiti hätten bereits viele wohlhabende Bürger das Land verlassen. Weite Teile der Bevölkerung seien verarmt. Hilfen kämen aber nach wie vor an, sagte der Erzbischof. „Ohne die Hilfe von ,Kirche in Not’ und anderen wäre es sehr schwer weiterzumachen. Es ist dieser Hilfe zu verdanken, dass wir den Menschen etwas Hoffnung geben können.“ „Kirche in Not“ unterstützt in Haiti unter anderem Lebensunterhalt und Ausbildung für Priester, Seminaristen und Ordensfrauen, Programme für Kinder und Jugendliche und die Versorgung von Binnenflüchtlingen.
„Unser Volk will leben. Es beweist viel Widerstandskraft, auch wenn gegenwärtig das Leid ein schreckliches Ausmaß annimmt“, betonte Mésidor. Er sei jedes Mal überwältigt, wenn sich trotz dieser gefährlichen Situation viele Gläubige zu den Gottesdiensten versammelten. „Bei den Prozessionen oder einem Kreuzweg im Stadtzentrum von Port-au-Prince können es bis zu 50 000 Menschen sein. Manchmal bin ich sprachlos.“
Text: Kirche in Not
(sig)
Weitere Infos
Die Arbeit und die Nothilfe der Kirche in Haiti kann mit einer Spende – online unter: www.spendenhut.de – oder auf folgendes Konto unterstützt werden:
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