Bischof Voderholzer fordert Schutzraumklausel für kirchliche Einrichtungen
Assistierte Sterbehilfe widerspricht der Gottesebenbildlichkeit
Regensburg, 22. Juni 2023
In Berlin wird voraussichtlich noch vor der Sommerpause ein Gesetz zur Erlaubnis des assistierten Suizids durch den Bundestag verabschiedet. Bischof Dr. Rudolf Voderholzer warnte in seiner Predigt im Rahmen der Wolfgangswoche, dass mit dieser Entscheidung die vermeintliche Freiheit im Bezug auf das selbstbestimmte Sterben und das Inanspruchnehmen-Dürfen von Sterbehilfe sehr schnell in ihr Gegenteil umkippen kann.
Wir dokumentieren die Predigt des Bischofs hier im Wortlaut:
„Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Zum beeindruckenden spirituellen Erbe des heiligen Wolfgang gehört auch und gerade die Überlieferung der Umstände seines Todes.
Bekanntlich hatte er bei einer Reise Richtung Osten im oberösterreichischen Pupping gespürt, dass sein Tod naht. Er hat sich dort in die dem von ihm sehr verehrten heiligen Othmar geweihte Kapelle bringen lassen. Und denen, die ihn abschirmen wollten, sagte er: „Öffnet die Türen und lasset alle herein, die mich sterben sehen wollen. Sterben ist keine Schande. Schande bringt nur ein schlechtes Leben. Es mag jeder an meinem Tode schauen, was er in seinem eigenem zu erwarten und zu fürchten hat.“ (GL 936,9) So ist Wolfgang auch der Patron der Sterbenden, der Patron für eine gute Sterbestunde geworden.
Dies muss ich heute wieder einmal zum Anlass nehmen, um im Blick auf ein Gesetzesvorhaben deutlich Stellung zu beziehen, das in Berlin kurz vor dem Abschluss steht, nämlich das Gesetz zum assistierten Suizid. Sie erinnern sich: am Aschermittwoch 2020, wenige Tage vor Ausbruch der Corona-Pandemie auch hier in unserem Land, hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot organisierter Beihilfe zum Suizid gekippt mit Hinweis auf die überragende Bedeutung der Autonomie, also des Selbstbestimmungsrechts des Menschen. Damit wurde eine neue Gesetzgebung notwendig und entsprechende Verfahren angestoßen, und jetzt steht dieser Prozess kurz vor dem Abschluss.
Meine Warnung, und dies ist die einmütige Haltung der gesamten Deutschen Bischofskonferenz, war und bleibt: Die vermeintliche Freiheit im Bezug auf das selbstbestimmte Sterben und das Inanspruchnehmen-Dürfen von Sterbehilfe kann und wird sehr schnell in ihr Gegenteil umkippen.
Niemand verkennt die existentiellen Nöte und die Angst von Menschen vor einem qualvollen und unbegleiteten Sterben. Aber diese Angst kann genommen werden. Die Medizin und die Schmerztherapie sind heute so weit, dass niemand unter unerträglichen Schmerzen leiden muss.
Wenn Selbstbestimmung in Fremdbestimmung umschlägt
Aber es liegt doch auf der Hand: Sobald der assistierte Suizid kein Tabu mehr, sobald er eine legale Möglichkeit ist, wird sich der Druck auf unheilbar kranke Menschen ungeheuer erhöhen, nun von dieser Möglichkeit doch auch bitte Gebrauch zu machen, zumal angesichts hoher Kosten und eines Fachkräftemangels im Pflegebereich. Dieser Druck muss gar nicht einmal von außen kommen und z.B. von den Angehörigen mit Blick auf das schmelzende Erbe ins Wort gebracht werden. Gerade viele alte Menschen sind so altruistisch, dass sie selbst ja diese Gedanken in sich aufkommen spüren. Und wenn dann kein Tabu mehr die Unverfügbarkeit des Lebens schützt, und auch keine gesetzlichen Schranken mehr das menschliche Tun eingrenzen, dann, das ist meine und unsere Warnung, werden wir umgehend vor der Situation stehen, dass die angestrebte und erhoffte Autonomie also die Selbstbestimmung, umschlägt in eine gnadenlose Heteronomie, also eine knallharte Fremdbestimmung, wenn dann von alten und unheilbar kranken Menschen erwartet wird oder diese sich selbst unter Druck setzen, von den neuen fortschrittlichen Rechten auch Gebrauch zu machen und sich fürderhin den Erben im wahrsten Sinne des Wortes zu „ersparen“.
Wie es aussieht, liebe Schwestern und Brüder, ist angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der gesellschaftlichen Debatten der letzten drei Jahre ein Gesetz nicht mehr zu verhindern, das genau zu diesem Zustand führen wird.
Plädoyer für Inseln der Menschlichkeit
Für die katholische Kirche und ihre zahlreichen sozial-caritativen Einrichtungen konzentriert sich die Frage nun auf eine so genannte „Schutzraumklausel“. Es sieht so aus, liebe Schwestern und Brüder, dass wir uns als Katholiken in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich insgesamt von den gemeinsamen christlichen Überzeugungen wegbewegt hat, diese Inseln der Menschlichkeit, Reservate des Schutzes und der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens erkämpfen und erhalten müssen. Jedenfalls möchte ich heute, auch mit der Bundesleitung des Malteserhilfsdienstes, folgende drei Punkte klarstellen:
„1. Gemeinsames Ziel aller katholischen Träger und Einrichtungen ist es, auf Basis unseres Glaubens den versorgten und begleiteten Menschen, insbesondere einsamen, schwachen und kranken Personen – nicht nur alter, sondern auch immer mehr junger Menschen, die aufgrund ihrer Lebenssituation besonders verletzlich sind, einen geschützten Raum für das Leben anzubieten und zudem in der Gesellschaft für den Schutz des menschlichen Lebens einzutreten. Eine solche Kultur der Lebensbejahung will Menschen in Krisen Lebensperspektiven eröffnen. (...) Wir brauchen eine offene, zugewandte und respektvolle Kommunikation, eine seelsorgliche Begleitung, einen Ausbau von suizidpräventiven Angeboten und Strukturen sowie eine Sensibilisierung, Qualifizierung und Unterstützung der Mitarbeitenden.
2. Mit dieser Kultur der Lebensbejahung und den Grundsätzen der katholischen Kirche ist eine Suizidassistenz in katholischen Einrichtungen nicht vereinbar. Dies schließt - nach unserer Überzeugung - die Vorbereitung und die Durchführung eines Suizids durch Mitarbeitende, aber auch jedwede Unterstützung oder Duldung einer Suizidassistenz durch Dritte mit ein.“ (Georg Khevenhüller, Elmar Pankau, Brief an Bischof Voderholzer vom 15. Juni 2023, Herv. i. Orig.) Einrichtungen in katholischer Trägerschaft müssen Inseln der Menschlichkeit und der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens bleiben.
„3. Der Deutsche Bundestag will Anfang Juli dieses Jahres über eine gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid entscheiden. Nach derzeitigem Stand wird es darin keine (zumindest keine umfassende) institutionelle Schutzraumklausel geben, die es allen Trägern auf der Grundlage eines Lebensschutzkonzeptes ermöglicht, nicht nur die Mitwirkung, sondern auch die Duldung des assistierten Suizids in ihren Einrichtungen und Diensten auszuschließen.“ (Georg Khevenhüller, Elmar Pankau, Brief an Bischof Voderholzer vom 15. Juni 2023, Herv. i. Orig.)
Es entspricht unserem Glauben: nicht nur die Mitwirkung, sondern auch die Duldung von Suizidassistenz in katholischen Einrichtungen und Diensten muss ausgeschlossen sein. Ich kann mir auf keinen Fall eine Duldung des assistierten Suizids in unseren Einrichtungen und Diensten vorstellen. Die Menschen, alte und verletzliche, aber auch ihre Angehörigen, müssen sich darauf verlassen können, dass sie in unseren Einrichtungen sicher sind. Die Autonomie, die einsame Entscheidungsnot eines Menschen, ist nicht das höchste Gut, sondern der Mensch ist ein Beziehungswesen, und als solcher wird er von uns ernstgenommen.
Liebe Schwestern und Brüder, ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Ihr Verständnis, dass ich heute ein so schwieriges Thema ansprechen musste. Aber wir dürfen nicht vor lauter innerkirchlicher Themen die großen gesellschaftlichen Debatten verschlafen, um dann in einer Gesellschaft aufzuwachen, die von einer Kultur des Todes beherrscht wird. Wir stehen für eine Kultur der Lebensbejahung und der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens. Und ich bitte Sie, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bauen wir gemeinsam an solchen Inseln der Menschlichkeit, helfen Sie mit, jeder und jede dort, wo es möglich ist, für eine Kultur des Lebens sich einzusetzen. Wir stehen dafür, dass wir alles in unseren Kräften stehende tun, um jungen Menschen zur Lebensbejahung zu verhelfen, aber auch und gerade alte Menschen auf ihrer letzten Wegstrecke zu begleiten, damit sie nicht durch unsere Hände, sondern gehalten von unseren Händen in die Nacht ihres Todes hineingehen, um dann ihrem Herrn Jesus Christus zu begegnen, dem einzigen und wahren Herrn des Lebens, der gekommen ist, nicht zu richten, sondern zu retten und uns Menschen auf die Weide des ewigen Lebens zu führen. Amen.“
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