News Bild Bischof Rudolf Voderholzer über den Priester, Mönch und Naturwissenschaftler Gregor Mendel (1822–1884)
Bischof Rudolf Voderholzer über den Priester, Mönch und Naturwissenschaftler Gregor Mendel (1822–1884)

Zeuge für die Vereinbarkeit von Glaube und Naturwissenschaft

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Regensburg, 7. Oktober 2022

Über das Verhältnis von Naturwissenschaft und christlichem Glauben sprach Bischof Dr. Rudolf Voderholzer kürzlich bei der Festveranstaltung „200 Jahre Gregor Johann Mendel (1822–1884)  der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Regensburg.  „Schließen sich die beiden Weltanschauungen nicht aus? Hat nicht die Kirche die Naturwissenschaft bekämpft? Vielleicht gelingt es mir wenigstens durch ein paar Argumente aufzuweisen, dass das Gegenteil der Fall ist.“ Der Vortrag des Bischofs im Wortlaut.

Anlässlich seines 200. Geburtstags gilt es einen ganz großen Naturwissenschaftler, Augustiner-Mönch und Sudetendeutschen zu ehren. Mit den Ergebnissen seiner Kreuzungsversuche mit Erbsen, die er ab 1854 im Brünner Klostergarten durchführte, erwarb er sich zurecht den Ehrentitel „Vater der Genetik“. Die öffentliche Anerkennung blieb ihm freilich Zeit seines Lebens versagt. Ein Schicksal, das nicht wenige andere bedeutende Frauen und Männer auch teilten. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurde die ganze Tragweite seiner Forschungsergebnisse erkannt. Ich brauche nun an dieser Stelle nicht das wissenschaftliche Werk Gregor Mendels zu würdigen. Dazu gibt es bei weitem Berufenere. Ich möchte grundsätzlicher fragen und das Thema der Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaften und christlichem Glauben aufgreifen.

Dass ausgerechnet ein Priester, ein Ordensmann, ein gläubiger Katholik Bahnbrechendes auf dem Gebiet der naturwissenschaftlichen Forschung im Bereich der Genetik geleistet hat, ist für viele Zeitgenossen erstaunlich, wenn nicht gar verwunderlich. Ist nicht, so meinen viele, christlicher Glaube und naturwissenschaftlicher Zugang zur Wirklichkeit ein Widerspruch. Schließen sich die beiden Weltanschauungen nicht aus? Hat nicht die Kirche die Naturwissenschaft bekämpft? Vielleicht gelingt es mir wenigstens durch ein paar Argumente aufzuweisen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Klöster als Forschungszentren

Gregor Mendel ist kein Ausnahmefall, der sich vielleicht sogar selbst in Widerspruch zu den Grundlagen seines eigenen Glaubens gebracht hat, sondern er steht in einer langen Reihe von gläubigen Christen, darunter auch Bischöfen und Priestern, die auf dem Gebiet der Naturwissenschaften Großes und bis heute Gültiges geleistet haben. Und es ist der Glaube selbst, der dazu motiviert und legitimiert.

Schon in Brünn war es so, dass Gregor Mendel nicht bei Null anfangen musste. Er fand vielmehr einen Forschungsgarten, eine Orangerie und ein Gewächshaus vor. Sein Abt Franz Cyrill Napp (1792–1867), der das Kloster in Brünn zu einem Ort der Gelehrsamkeit gemacht hatte, erkannte das Talent des neuen Ordensmitglieds und förderte es nach Kräften und wirkte auch mit ihm zusammen. Dass in Klöstern naturwissenschaftlich geforscht wurde, ist überhaupt kein Einzelfall. Ich erinnere nur an das Benediktiner-Kloster Kremsmünster, dessen Sternwarte und den mathematischen Turm aus dem 18. Jahrhundert.

Zeugen für das Miteinander von Naturwissenschaft und Glaube

Wenn ich nun, jenseits von Brünn und Kremsmünster, ein paar weitere Beispiele nennen darf: Einer meiner bedeutendsten Vorgänger auf dem Bischofsstuhl in Regensburg war der Dominikaner-Philosoph und Theologe Albertus Magnus. Er war der Lehrer des Thomas von Aquin und von 1260 bis 1262 Bischof hier in Regensburg. Er gilt nicht nur als hervorragender Kommentator der Heiligen Schriften, sondern er rezipierte die Naturforschungen des Aristoteles und führte sie weiter. Er ging – wie die meisten Theologen seiner Zeit – selbstverständlich von der Kugelgestalt der Erde aus, verfasste ein Handbuch der Zoologie, beschrieb die Barben in der Donau und entdeckte das Element Arsen.

Nikolaus Kopernikus (1473–1543) war Domherr in Frauenburg und zeitlebens anerkannter Mathematiker. Sie wissen, dass aufgrund seiner Forschungen das heliozentrische Weltbild nach ihm benannt wird.

In Regensburg muss man den Namen Johannes Kepler (1571–1630) wenigstens erwähnen, ein tiefgläubiger Protestant, der das heliozentrische Weltbild vertrat.

Kalender, Urknall und haltbare Milch

Der Kalender, der weltweit akzeptiert ist und nach dem wir unsere Jahre einteilen, ist im Jahr 1582 eingeführt worden, in der Nacht, als die Große Theresia von Avila gestorben ist, es war die Nacht vom 4. auf den 15. Oktober. Da wurden 11 Tage übersprungen, die sich im (nach Julius Cäsar benannten) Julianischen Kalender mittlerweile angesammelt hatten und auf Dauer den Kalender schwer durcheinandergebracht haben. Unseren jetzt gültigen Kalender hat Papst Gregor XIII. eingeführt, indem er – beraten von der Avantgarde der Wissenschaft ‑ die Schwächen des Julianischen Kalenders korrigierte. Papst Gregor hat ihn eingeführt auf der Basis der neuesten Beobachtungen des Sternenhimmels, und zwar auf der Basis des kopernikanischen Weltbilds. Der Kalender ist so gut, dass er in den nächsten 400 Jahren nur minimalste Abweichungen zeitigen wird. Dass er von einem Papst eingeführt wurde, hat dazu geführt, dass etliche Protestanten ihn nicht einführen wollten. Die russisch-orthodoxe Kirche hat sich ebenfalls schwergetan, einen päpstlichen Kalender zu akzeptieren.

Die Theorie vom Urknall, also das mittlerweile weitgehend anerkannte wissenschaftliche Erklärungsmodell für die Entstehunsmodalitäten des Universums, stammt von dem katholischen Priester und Astrophysiker Georges Lemaître (1894–1966) aus Belgien, der zeitlebens ein gläubiger Christ und treuer Gottesmann war. 1927 stellte er die Hypothese auf, dass der Kosmos explosionsartig aus einem Zustand extrem hoher Dichte hervorgegangen ist und weiter expandiert. Er konnte mit seiner luziden Theorie schließlich auch den anfangs skeptischen Albert Einstein überzeugen.

Ein Zeitgenosse von Gregor Mendel, in demselben Jahr 1822 geboren, war Louis Pasteur, zeitlebens bekennender Katholik. Er hat Bahnbrechendes geleistet auf dem Gebiet der Bakteriologie, des Impfwesens und der Impfpraxis. Die von ihm gefundene Möglichkeit der Haltbar-Machung von Milch nennt man bekanntlich nach ihm „Pasteurisieren“. Louis Pasteur besitzt in Frankreich dieselbe Autorität, die bei uns in Deutschland Robert Koch hat. Das entsprechende Institut heißt in Frankreich „Institut Pasteur“, eines der weltweit führenden Institute für biologische und medizinische Grundlagenforschung in Paris. Louis Pasteur ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es zu allen Zeiten hervorragende Naturwissenschaftler gab und gibt, denen auch bahnbrechende Entdeckungen zu verdanken sind, die zugleich überzeugte und bekennende Christen waren und sind. Bis ins frühe 17. Jahrhundert wäre also eine Diskrepanz zwischen oder ein Sich-Ausschließen von Naturwissenschaft und Glaube eigentlich ganz undenkbar gewesen.

Naturwissenschaft als Frucht des biblischen Schöpfungsberichts

Tatsache ist, dass der biblische Schöpfungsbericht selber die Grundlage dafür liefert, dass überhaupt Naturwissenschaft im Sinne einer rationalen Durchdringung der Gesetzmäßigkeiten der Natur sich etablieren konnte. Alles, was ist, ist durch das Wort, griechisch, durch den Logos geschaffen. Die gesamte Wirklichkeit ist logos-haft, und daher auch durch Wissenschaft – wir benennen die einzelnen Wissenschaften durch Wortzusammensetzungen mit -logie, Biologie, Zoologie, etc. – erkennbar. Der biblische Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4a) selbst beinhaltet die Grundlagen für eine Entmythologisierung und eine Entdivinisierung der Welt und ihrer Freigabe für die menschliche Erforschung. Er beschreibt die Gestirne, die Sonne und den Mond nicht mehr als übernatürliche Gottheiten wie in manchen Naturreligionen, sondern sehr prosaisch als „Lampen am Himmel“, von Gott dort hingesetzt, um unsere Zeit zu strukturieren (vgl. Gen 1,15). Die Sonne ist das Gestirn für den Tag, der Mond das Gestirn für die Nacht. Dabei ist vielen Interpreten der frühen Kirche schon aufgefallen, dass natürlich der erste Schöpfungsbericht nicht in einem wortwörtlichen Sinne zu verstehen ist, sondern dass er eine tiefe theologische Aussage birgt, die man entschlüsseln muss. Wie sonst könnte es sein – das hat Augustinus schon beobachtet –, dass es heißt: „es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag […], es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag […], es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag“ (Gen 1,1–13). Und erst am vierten Tag wird die Sonne geschaffen, die überhaupt die Voraussetzung dafür bildet, dass wir von Tag und Nacht reden können. Also kann man das nicht wortwörtlich verstehen. Dahinter steht eine theologische und nicht eine naturwissenschaftliche Aussage. Es geht um die Sabbat-Struktur der Schöpfung. Die Einsicht, dass uns die Hl. Schrift nicht erklären will, wie die Welt entstanden ist, sondern dass sie sich restlos, von Anfang bis Ende, der göttlichen Schöpfermacht verdankt, ist eigentlich in der Theologiegeschichte und in der Glaubensgeschichte bei den Reflektierten, die sich mit der Frage beschäftigt haben, klar gewesen. Die Hl. Schrift sagt uns nicht wie die Welt entstanden ist, sondern: warum und wozu: Alles verdankt sich Gott. Die Details, die Einzelheiten, das muss und darf dann die Naturwissenschaft und unser menschliches Forschen herausbringen.

Die beklagenswerte Ausbeutung der Natur ist nicht die Konsequenz dieses Schöpfungsglaubens, sondern hat ihre Voraussetzungen u.a. in der Lehre von Francis Bacon (1561–1626), der die biblische Erlösungslehre in ihr Gegenteil verkehrte, indem er sich Erlösung nicht mehr von Gott, sondern von der Weltbemächtigung des Menschen durch Wissenschaft und Technik erwartete. (vgl. hierzu Benedikt XVI. Enz. Spe salvi 2009, 16 ff.)

Das wahre Problem beim Galileo-Galilei-Konflikt

Wenige Jahre nach der Kalenderreform spielt sich in Rom einer der seltsamsten Konflikte der Geistesgeschichte ab, zwischen Galileo Galilei und Robert Bellarmin. Auch hier sind etliche Halbwahrheiten im Umlauf. Aufgrund eines merkwürdigen Biblizismus meint man nun plötzlich Galileo Galilei maßregeln zu müssen, wegen seiner offensiven Verteidigung des kopernikanischen Weltbildes. Das wäre noch wenige Jahrzehnte vorher kein Problem gewesen. Interessanterweise hat sich während des Verfahrens Galileo Galilei als der bessere Theologe und Robert Bellarmin, sein theologischer Gegenspieler, als der bessere Naturwissenschaftler erwiesen. Bellarmin hat Galileo Galilei eigentlich nur geraten, er solle seine Thesen als „Hypothesen“ ausgeben und nicht als „wissenschaftliche Dogmen“. Wenn er sie als „Hypothesen“ ausgegeben hätte, also als naturwissenschaftliche Aussagen, dann hätte niemand etwas dagegen sagen können. Aber – das muss man Bellarmin leider ankreiden – er hat zur Begründung eine Schriftstelle zitiert, die er mit dem kopernikanischen Weltbild nicht in Einklang bringen konnte, dass nämlich auch in den Psalmen von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang die Rede sei. Und er wollte das als theologisches Argument gewichtet sehen. Galileo Galilei hat dem entgegengehalten: Gott hat uns nicht offenbaren wollen, wie der „Himmel“ (firmamentum) funktioniert, sondern dass und wie wir in den „Himmel“ (coelum) hineinkommen. Also eine wirklich bedrückende Konstellation, die dann im 19. Jahrhundert zur Gründungslegende eines prinzipiellen Konflikts zwischen Glaube und Naturwissenschaften aufstieg. Obwohl der eigentliche Konflikt gelöst ist, harrt er im Verständnis vieler unserer Zeitgenossen einer wirklichen Aufarbeitung. Um Robert Bellarmin, den Gegenspieler von Galileo Galilei, noch ein bisschen besser verstehen zu können, muss man sagen, dass man sich auf katholischer Seite so sehr auf die aristotelisch naturwissenschaftliche Grundlegung mit dem empirischen Ansatz versteift hatte, wonach alle Erkenntnis von den Sinnen ausgeht, dass man es plötzlich als Problem empfunden hat, dass eine Position die besser begründete sei, die so offenkundig kontra-faktisch und kontra-intuitiv ist. Natürlich reden wir heute auch vom Sonnenaufgang und vom Sonnenuntergang. Wenn wir heute einen schönen Sonnenaufgang erleben, dann sagen wir alle auch in poetischer Sprache: „Was für ein schöner Sonnenaufgang!“ Wissenschaftlich müssten wir ja sagen: Was für eine schöne Erd-Wegdrehung.

Was das Miteinander von Naturwissenschaften und Schöpfungsglauben betrifft, so haben wir eine Wolke von Zeugen.

Biologie-Verbot schwächt Naturwissenschaft und Schöpfungsglauben

Vom Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg (1901–1976) wird die Aussage überliefert: „Der erste Schluck aus dem Kelch der Naturwissenschaften macht atheistisch. Auf dem Boden allerdings wartet der Glaube.“ Unser großes Problem, so glaube ich, ist, dass viele unserer Zeitgenossen vom Kelch der Naturwissenschaft nur nippen, aber nicht wirklich in die Tiefe gehen, und dann meinen, es mit einem gläubigen Zugang zur Wirklichkeit nicht in Einklang bringen zu können.

Was mich gegenwärtig sehr besorgt macht, das ist, dass die Biologie als grundlegende Lebenswissenschaft an den Rand gedrängt, ja in ihrer Bedeutung zum Teil völlig negiert wird. Ich denke an den skandalösen Vorgang, dass an der Humboldt-Universität in Berlin vor einigen Wochen der Vortrag einer Nachwuchs-Biologin abgesagt wurde, abgesagt werden musste, weil sie zuvor schon in der Tageszeitung „Die Welt“ mit drei Kolleginnen und Kollegen behauptet hatte, biologisch gebe es nur zwei Geschlechter, „männlich“ und „weiblich“, und diese biologische Tatsache nun auch in dem angekündigten Vortrag begründen wollte. Die angedrohten Störaktionen der Queer-Lobby, die nur als eindeutig wissenschaftsfeindlich bezeichnet werden können, ließ die Verantwortlichen an der Humboldt-Universität zur Entscheidung gelangen, den Vortrag abzusagen. Er wurde dann, wenn ich richtig informiert bin, online gehalten.

Ähnlich ging es Frau Professor Christiane Nüsslein-Volhard (Jahrgang 1942). Sie erhielt 1995 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin, und zwar für ihre Forschungen über die genetische Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung. Sie gab vor ein paar Wochen der von der Feministin Alice Schwarzer herausgegebenen Zeitschrift „Emma“ ein Interview, in der sie ganz sachlich die Zweigeschlechtlichkeit der Säugetiere erklärte und aufzeigte, wie die von bestimmter Seite für die Begründung von angeblich einer Vielzahl von Geschlechtern herangezogenen Phänomene die Zweigeschlechtlichkeit nicht infragestellen, sondern noch einmal bestätigen. Ein Artikel auf bild.de berichtete von ersten Forderungen in sozialen Medien, dass Frau Professor der Nobelpreis wieder aberkannt werden sollte. Ich finde, wir sollten uns alle, auch im Sinne von Gregor Mendel, diesem versuchten Biologie-Verbot widersetzen.

Mendel war ein großer Mann, als Priester, Lehrer, Ordensmann und Abt. Er wurde von seinen Mitmenschen, denen seine enorme wissenschaftliche Bedeutung unbekannt war, vor allem geschätzt, weil er demütig war, voller Nächstenliebe und Barmherzigkeit, ehrlich und fest im Glauben verwurzelt. Aus seinen letzten Lebensjahren ist eine Aussage von ihm überliefert, die uns heute in ihrer schlichten Tiefe ein wichtiger Impuls sein kann. Gregor Mendel sagt über sich: Er „besitzt den Mut, der Wahrheit überall und unter allen Umständen die Ehre zu geben.“[1]

 

(mk)

Titelbild: (c) Giovanni Cancemi - stock.adobe.com


[1] Johann Gregor Mendel, zitiert nach: Josef Sajner, Johann Gregor Mendel. Leben und Werk, Würzburg 21974, 99.



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