Bischof Gerhard Ludwig Müller hält Laudatio in der Katholischen Akademie München
Ansehnliche Festversammlung,
Verehrter Herr Landesbischof,
Lieber Bruder in Christo Johannes Friedrich!
In Abwandlung eines Wortes von Martin Heidegger möchte ich sagen, einen Ökumeniker ehrt man, indem man mit ihm ökumenisch denkt und lebt. Sie, lieber Bruder Johannes Friedrich, haben Ihre feste Verwurzelung in der evangelisch-lutherischen Kirche als Verpflichtung erkannt, die konfessionelle Identität nicht im Gegensatz zu anderen Konfessionen zu profilieren, sondern sie immer neu zu gewinnen im gemeinsamen Bezug zur una sancta ecclesia Dei, in die wir durch Glaube und Taufe unwiderruflich eingegliedert sind.
In Christus einander vertrauen
Die Sehnsucht nach der tieferen Lebensgemeinschaft mit Christus in seiner Kirche ist im 20. Jahrhundert immer mächtiger geworden. Sie hat uns in eine neue Epoche der Beziehungen der christlichen Kirchen und Gemeinschaften geführt.
Diese Einheitsbewegung geht vom Heiligen Geist aus und wird von Menschen getragen, „die den drei-einen Gott anrufen und Jesus als Herrn und Erlöser bekennen, und zwar nicht nur einzeln für sich, sondern auch in ihren Gemeinschaften, in denen sie die frohe Botschaft vernommen haben und die sie ihre Kirche und Kirche Gottes nennen. Fast alle streben, wenn auch auf verschiedene Weise, zur einen, sichtbaren Kirche Gottes hin, die in Wahrheit allumfassend und zur ganzen Welt gesandt ist, damit sich die Welt zum Evangelium bekehre und so ihr Heil finde zur Ehre Gottes.“ (UR 1).
Mit größter Deutlichkeit ist hier der Paradigmenwechsel von Polemik und Kontroverse – über die Phase der irenischen Konfessionskunde – zur Ökumene der Gegenwart und Zukunft beschrieben. Ihr Kern besteht darin: Wir bestimmen unser Verhältnis zueinander nicht mehr über die tatsächlich existierenden Differenzen in Lehre, Leben und Verfassung der Kirche, sondern über das Gemeinsame, das zugleich das Fundament ist, auf dem wir stehen. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus… (und ihr?) Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? (1 Kor 3,11.16).
Wir setzen im Glauben unser ganzes Vertrauen (fides fiducialis) auf Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist, der uns erschaffen und erlöst hat und der uns einst vollenden wird (fides historica). Der gemeinsame Glaube ist ausgedrückt im Apostolicum, dem Nicaeno-Constantinopolitanum und im Symbolum Athanasianum. Wenn Glaube zuerst Vertrauen zu Gott ist, dann können auch wir uns in Christus vertrauen. Und indem wir Gottes Existenz und die Wahrheit seiner geschichtlichen Selbstmitteilung als Wahrheit und Leben für jeden, der glaubt, erkennen, verstehen auch wir einander in der Wahrhaftigkeit unseres Bemühens, das Wort Gottes in seinem ganzen Reichtum zu verkünden.
Vertrauen und Wahrhaftigkeit aufgrund der Einheit aller Glaubenden in Christus – das sind die Triebfedern einer geistlichen Ökumene, die sich in der theologischen Ökumene bewährt und in der praktischen Ökumene in den Gemeinden aus-wirkt.
Den Kern der Kontroverse finden
Wie verlockend findet es dagegen heute noch mancher Autor bei den klassischen evangelisch-katholischen Kontroversthemen die jeweils andere Position so zu verzeichnen und ad absurdum zu führen, dass demgegenüber die eigene Lehre als einleuchtend und überlegen erscheint? Und wie schwer fällt es uns noch heute, die vom eigenen Bekenntnis abweichenden katholischen bzw. evangelisch-reformatorischen Lehraussagen aus der jeweiligen anderen Gesamtkonzeption her richtig zu erfassen, ohne unseren Dialogpartner zu kränken? Fördert es die Ökumene, wenn man die abweichende Bekenntnisaussage mit der Unterstellung mangelnder Sachkompetenz oder interessegeleiteter Motive erklärt anstatt im Gespräch „par cum pari“ das Wahrheitsgewissen des Partners zu achten? Hier steht uns eine große Aufgabe bevor: die Ereignisse seit dem 16. Jahrhundert aus der Perspektive der historischen und systematischen Theologie so aufzuarbeiten und einem erkenntniswilligen Publikum so darzustellen, dass der theologische Kerngehalt der reformatorisch-katholischen Lehrdivergenzen deutlich wird – jenseits all der sekundären ideen- und kulturgeschichtlichen Interpretationen.
Geistliche Ökumene integriert Leben und Lehre
Die geistliche Ökumene des Vertrauens und der Wahrhaftigkeit ist anstrengender, aber auch zielführender. Denn sie zielt innerhalb des gemeinsamen hermeneutischen Horizontes der „Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus zum Heil der Welt“ nicht auf die Überwindung des anderen oder gar auf einen billigen Kompromiss, sondern auf eine mögliche wechselseitige Integration von Leben und Lehre und somit zur Wiederherstellung der Einheit (Unitatis red-integratio).
Genauso abwegig wie eine „Rückkehrökumene“, die die ganze 500jährige Geschichte reformatorischen Christentums für einen einzigen Irrweg hält, ist auf der anderen Seite die Vorstellung einer „Nachholökumene“, wobei nun auch bei den Katholiken endlich der Groschen reformatorischer Einsichten fällt und wenigstens in Deutschland die katholische Kirche die Errungenschaften der Reformation einführt, um in der Neuzeit, was immer man darunter auch verstehen mag, anzukommen. Unser Adressat ist der Mensch von heute in seiner Sehnsucht nach der Liebe und Wahrheit Gottes und nicht das ideologische Konstrukt von „Moderne“, bei der zu leicht die Dialektik der Aufklärung vergessen wird und der Fortschritt der Technik, der Medizin, der Globalisierung von Wirtschaft und Information in der Doppelwirkung von Segen und Fluch unbeachtet bleibt. Die geistig-moralische Orientierung an wahr und falsch sowie gut und böse nimmt uns keine jeweils jüngste Entwicklung ab.
Die alten Ressentiments und Vorurteile neu aufzupolieren und sich gegeneinander zu profilieren – jeweils auf Kosten der Brüder und Schwestern der anderen Konfession – das ist der alte und krumme Weg. Sich gemeinsam als Jüngergemeinde Christi zu profilieren in Rede und Antwort mit denen, die uns nach dem Grund unserer Hoffnung fragen (1 Petr 3,15), das ist der gerade und neue Weg, den wir zusammen gehen wollen.
Ökumene kann nur theozentrisch ansetzen und muss in der Christozentrik ihren Dreh- und Angelpunkt haben, wie uns Papst Benedikt in Erfurt mit Blick auf Martin Luther als Zeuge nicht seiner Wahrheit, sondern der Wahrheit Christi erinnerte.
Gemeinsame Wege
Als Propst der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Jerusalem haben Sie, lieber Bruder Johannes Friedrich, das spannungsvolle aber auch fruchtbare Miteinander vieler christlicher Bekenntnisse und Kirchen erlebt, auch, was den interreligiösen Dialog angeht, im Hinblick auf die Gläubigen an den einen Gott im Judentum und im Islam. Von 2002–2005 waren Sie der Catholica-Beauftragte der VELKD und somit der direkte Gesprächspartner des Vorsitzenden der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz. Zu erwähnen ist die institutionalisierte Katholisch-lutherische Arbeitsgruppe, die schon zwei große Dokumente wachsender Gemeinschaft hervorgebracht hat: Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament (1984) und Communio Sanctorum (2000). Im Hinblick auf das vor uns liegende historische Datum „500 Jahre Reformation“ mit den 95 Thesen Martin Luthers vom 31. Oktober 1517 bereiten wir einen Text vor mit dem Titel Gott und die Würde des Menschen. Ein Bekenntnis. Auch als Leitender Bischof der VELKD ab 2005 waren wir regelmäßig mit ökumenisch-theologischen, aber auch ökumenisch-praktischen Fragen beschäftigt im Kontaktgesprächskreis der DBK und der EKD.
5 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Gerne erinnere ich mich an den gottesdienstlich geprägten Festakt zum 5. Jahrestag der Unterzeichnung des gemeinsamen Bekenntnisses zur Rechtfertigung des Sünders durch die Gnade im Glauben. Diese Augsburger Erklärung von 1999 ist in Methode und Ergebnis die Frucht eines jahrzehntelangen geistlich-geistigen Prozesses. Es gelang die kirchen-trennende Auffassung von der Rechtfertigung des Sünders theologisch-konzeptionell so zu fassen, dass beide Partner sich darin mit ihrem verbindlichen Glauben wiederfinden konnten, ohne ihrem Wahrheitsgewissen und ihrer Treue zum eigenen Erbe Gewalt anzutun. Es handelt sich nicht nur um eine Arbeit für theologische Experten, sondern um ein starkes Bekenntnis zur Gnade Gottes, die uns in allem trägt und uns befähigt, andere mitzutragen und Verantwortung zu übernehmen für eine Welt in Gerechtigkeit und Frieden.
Wechselseitige Anerkennung der Taufe
In diesem Zusammenhang erwähne ich mit Dankbarkeit die gemeinsame Tauferinnerung und wechselseitige Anerkennung der Taufe, die wir 2007 im Dom von Magdeburg feiern konnten.
Rechtfertigung und Taufe bilden eine Einheit wie die zwei Seiten einer Medaille. Deshalb sollte auf Anregung von Kardinal Kasper und anderer weltweit und gerade auch in Deutschland das Projekt der Taufanerkennung auf die Augsburger Erklärung folgen. Die Gespräche dazu waren in der deutschen Arbeitsgruppe ins Stocken geraten und das Vorhaben drohte zu scheitern.
Lieber Bruder Friedrich, wir beide wurden beauftragt, einen letzten Versuch zu wagen. In Würzburg trafen wir uns und konnten mit Gottes Hilfe den Text entwerfen, der dann am 29. April 2007 von 11 Kirchen in Deutschland unterzeichnet werden konnte.
Dort heißt es u. a.: „Als ein Zeichen der Einheit aller Christen verbindet die Taufe mit Jesus Christus, dem Fundament dieser Einheit. Trotz Unterschieden im Verständnis von Kirche besteht zwischen uns ein Grundeinverständnis über die Taufe (… Wir bekennen mit dem Lima-Dokument): „Unsere eine Taufe in Christus ist ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren.“ . Das entspricht dem Ökumenismus-Dekret: „Die Taufe begründet also ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind.“ (UR 22). Die Taufe ist das grundlegende Zeichen, das uns sakramental in Christus eint und vor der Welt als die eine Kirche sichtbar macht. Wir sind als katholische und evangelische Christen also auch in dem schon vereint, was wir die sichtbare Kirche nennen. Es gibt daher – genau genommen – nicht mehrere Kirchen nebeneinander, sondern es handelt sich um Trennungen und Spaltungen innerhalb des einen Volkes und Hauses Gottes: Credo unam ecclesiam … confiteor unum baptisma.
Unschwer lässt sich im trinitarischen, ekklesialen und sakramentalen Bezugsrahmen unseres Credo das biblische Zeugnis erkennen: „Ein Leib, ein Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller“ (Eph 4, 4-6). Was wir als getrennt wahrnehmen, ist nicht eine Spaltung in mehrere Kirchen, sondern eine Trennung innerhalb des einen Hauses Gottes, anders gesagt, die unvollendete Communio der Heiligen und der communicatio in den Heilsmitteln des einen Leibes Christi, der die Kirche ist.
Die Aufgabe der geistlichen, theologischen und praktischen Ökumene besteht also nicht in der Fusion von empirisch gegeneinander abgegrenzten Kirchentümern, sondern in der Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft, der plena communio
im Bekenntnis,
im sakramentalen-liturgischen Leben und
in den Elementen, die konstitutiv sind für die Verfassung der sichtbaren Kirche.
Hier gibt es nur den Weg das Erreichte zu sichern durch ökumenische Bildung, die diese Erkenntnisse in ein breites Bewusstsein der wachsenden Gemeinschaft hineinträgt (vgl. Harding Meyers Anregungen für In-via-Erklärungen und Walter Kaspers nun auch auf Deutsch greifbare Veröffentlichung Die Früchte ernten ) und nach Möglichkeiten zu suchen, die unterschiedlichen Positionen zu integrieren oder zu einer höheren Synthese zu führen, ohne dass wir das einfach erzwingen könnten. Ökumene ist nicht eine Frage der Geschwindigkeit, sondern der Wahrhaftigkeit. Die Ungeduld des Druckmachens führt in die Sackgasse und produziert Enttäuschung. Nur Geduld in Liebe und Achtung „bewirkt Bewährung und Bewährung Hoffnung“ (Röm 5, 4) auf die volle ekklesiale und eucharistische Koinonia.
Missverständnisse klären
Im Umfeld des Papstbesuches fragten manche etwas ratlos und bitter: was soll die Ökumene, wenn der Papst die Evangelischen nicht einmal als eine Kirche anerkennt, ohne zu merken, dass es nicht darauf ankommt, als eine Kirche neben anderen anerkannt zu werden, sondern Kirche Christi zu sein und die empirischen Kirchen als Teil der einen Kirche des Herrn zu verstehen.
Die Bezugnahme auf der Erklärung der Glaubenskongregation zur Einzigkeit Christi und der Kirche Dominus Jesus (2000) ist ebenso häufig wie unpräzis.
Das Missverständnis hat seinen oft übersehenen Ursprung in der anderen Verwendung des beiderseitig gebrauchten Terminus technicus ecclesia in proprio sensu. Nach CA 8 ist die Kirche „eigentlich nichts anders als die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen“, also der wirklich durch den Glauben Gerechtfertigen, sichtbar in Predigt und Sakrament jenseits ihrer organisatorischen Gestalt in der Welt, während im katholischen Sprachgebrauch „Kirche im eigentlichen Sinn“ die bischöflich verfasste Ortskirche meint in ihrer Verbindung mit den anderen Ortskirchen und dem Bischof von Rom (communio ecclesiarum), was eben nach CA 7 für die Einheit der Kirche nicht konstitutiv ist, also nicht zur Kirche im eigentlichen Sinne gehört. Hinter den gemeinsamen, aber unterschiedlich gefüllten Begriffen verbirgt sich aber das entscheidende Problem, wie die Kirche als Gnadengemeinschaft und als sichtbar sakramental-rechtlich verfasste Gemeinschaft zueinander gefügt ist. (Dass die Communitates ecclesiales, die den gültigen Episkopat nicht bewahrt haben … nicht Kirchen (Plural!) seien in proprio sensu, plakativ so zu übersetzen mit „die evangelische Kirche ist eigentlich gar keine Kirche“, ist theologisch nicht richtig. Denn der Plural meint die Kirchen als die bischöflich verfassten Ortskirchen). Nicht das Kirchesein der reformatorisch geprägten Konfessionskirchen ist das Thema, sondern die Frage, ob für die Verfassung einer Ortskirche, eines Bistums, das sakramentale Bischofsamt konstitutiv ist oder nicht. Der Unterschied einer evangelischen Landeskirche und einem katholischen Bistum wird beschrieben – nicht bewertet.
Kirche – Medium des Heils
Das katholische Lehramt ist weit davon entfernt, „den getrennten Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften im Abendland“ (UR 19), die Kirchlichkeit oder das Kirchesein abzusprechen. Das bezieht sich auf die Kirche als Communio mit Gott in der Gnade. Denn auch die Christen, die nicht in voller Gemeinschaft der Lehre, der Heilsmittel und der apostolisch-bischöflichen Verfassung mit der katholischen Kirche stehen, sind durch Glaube und die Taufe gerechtfertigt und in die Kirche Gottes als Leib Christi voll eingegliedert. So sind wir untereinander Brüder und Schwestern und gehören wirklich zum „ganzen Christus, Haupt und Leib, ein Christus“ (vgl. UR 3). Aber die getrennten Kirchen und Gemeinschaften, die sich durch ihr eigenes Bekenntnis empirisch-soziologisch von der katholischen Kirche als sichtbarer Gemeinschaft abheben, sind dennoch bedeutsam im Geheimnis des Heils. Denn es ist der Heilige Geist, der sie als Media salutis gebraucht (vgl. UR 3). Es werden also nicht nur die Gnadenmittel der Predigt und der Taufe, sondern auch die Communio derer, die zu einer Konfession gehören – eben als Repräsentanten der Kirche Christi – als Vergegenwärtigung der Heilsgemeinschaft mit Gott theologisch bekannt und nicht nur im Sinne eines menschlichen Respekts anerkannt (vgl. UR 3). Das ist die Kirche als Sakrament oder Medium in der Hand Gottes. Vielleicht ist katholischerseits mehr an Sakramentalität festgestellt auf Grund der Verbindung mit denselben Gnadenmitteln in der katholischen Kirche als der evangelischen Seite wegen der Zurückhaltung gegenüber der Bezeichnung der Kirche als Sakrament lieb ist. Der Unterschied besteht nach CA 7 nicht in der Frage der Existenz der sichtbaren Kirche (quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit) und ihrer Bedeutung für die Vermittlung des Heils durch Wort und Sakrament, sondern im Umfang der notwendigen Heilsmittel, also der Einzelsakramente (Et ad veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum). Es kommt hinzu die apostolisch-bischöfliche Verfassung der Kirche in ihrer sichtbar-sakramentalen Gestalt, obgleich CA 28, wenn ich es recht sehe, sehr nah am authentischen katholischen Verständnis des Bischofsamtes ist und als Brücke einmal ernsthaft getestet werden müsste.
Es wäre ein ökumenischer Fortschritt, wenn wir über das sprechen, was, recht verstanden, divergent ist, und nicht über das, was, weil missverstanden, eigentlich unstrittig ist. Unbestritten ist, dass die Kirche im Christusereignis begründet ist und geschichtlich-kontinuierlich als Bekenntnisgemeinschaft existieren muss (medium salutis) und immer neu aufgebaut und ernährt wird als Heilsgemeinschaft im Wort (creatura verbi) und in den Sakramenten, besonders im Herrenmahl (ecclesia de eucharistia). Der Unterscheid zwischen katholischer und orthodoxer Ekklesiologie auf der einen Seite und dem reformatorisch geprägten Kirchenverständnis ist die Zuordnung von Gnadengemeinschaft und sichtbarer Heilsvergegenwärtigung, also von Gehalt und Gestalt.
Christus gemeinsam im Heute bekennen
Ihre ökumenische Gesinnung zeigt sich darin, lieber Johannes Friedrich, dass Sie schon früh erkannt haben, im ökumenischen Zeitalter können das Reformationsgedenken oder bei uns die herannahenden Gedenkfeiern der Konzilien von Konstanz, Trient und des II. Vatikanums nicht nach alten konfessionalistischen Mustern ablaufen, wo jeweils zu bestimmten Anlässen die Überlegenheit über „die andere Reichshälfte“ zelebriert worden ist. Heute ist die Zeit, sich im Glauben als die Glieder der einen Kirche des Herrn zu erkennen und darum gemeinsam Christus zu bekennen als Mitte und Mittler, Fundament und Eckstein, Alpha und Omega. Bevor wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Kirchen- und Amtsverständnis mit aller gebotenen Sorgfalt und Sensibilität abwägen, sollten wir die volle Einheit im Gottesglauben und im Christus-Bekenntnis vor der Welt kraftvoll und heilsgewiss bezeugen. „Ihr sollt meine Zeugen sein bis an die Enden der Erde“, das ist Kirche missionarisch im Heute.
Ökumene ist die schmale Gratwanderung zwischen Identität durch Abgrenzung, die alte Wunden aufreißt, oder Identität durch größere Treue zu Christus, die zusammenwachsen lässt. In diesem Sinn haben Sie in einer Predigt beim Ökumenischen Gottesdienst im Liebfrauen-Dom in München am 19. Januar 2010 einen Gedanken des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger aufgegriffen, mit dem ich schließen möchte. „Gemeinsamkeit nicht Preisgabe der eigenen Identität. Der ökumenische Weg ist, dass Kirchen Kirchen bleiben und doch immer mehr eine Kirche werden.“
Ich beglückwünsche Sie zur Auszeichnung für alle Ihre Bemühungen in der geistlichen, theologischen und pastoralen Ökumene und danke Ihnen für Ihr vertrauensvolles, aber auch kenntnisreiches Verhältnis zu uns, Ihren katholischen Brüdern und Schwestern.
Gottes Segen begleite Sie zusammen mit Ihrer Familie auch in Ihrer künftigen Arbeit als „Diener Christi und Verwalter von Geheimnissen Gottes“ (1 Kor 4, 1).