Ein geistiger Stolperstein
Der Stolperstein zu ihren Ehren „ist ein geistiger Stolperstein, der uns auch in der Gegenwart daran erinnert, dass wir heute sensibel und besonders achtsam mit den Hilfsbedürftigen und Schwachen umgehen“, so Bischof Rudolf. Das gelte besonders auch für jene Menschen, die für die Gesellschaft scheinbar nicht von Nutzen sind. Jeder Mensch, so der Bischof, habe eine unvertretbare Würde und damit eine von Gott gegebene Einzigartigkeit. Gerade die Stolpersteine sind Zeichen dafür, dass Werte wie Menschlichkeit und Achtsamkeit im Gedächtnis bleiben. Sie verweisen darauf, dass wir gemeinsam in Liebe auf einander Acht geben, sie sind in den Boden gelegte Hinweise - sowie Warnschilder, die zu einem „sensiblen Umgang miteinander“ aufrufen.
Vita von Anna Walter
Aus Datenschutzgründen bleiben medizinische Gutachten und Diagnosen ungenannt, wie die Historikerin Seifert betonte. „Die ärztliche Schweigepflicht verbietet eine Veröffentlichung dieser Daten. Frau Anna Walter wurde am 22 Juni 1906 in Röhrmoos im Bezirk Dachau geboren und katholisch getauft. Ihr Vater Franz Walter und ihre Mutter Anna verstarben wenige Jahre später, sodass die kleine Anna bei ihrer Tante Clara in Tölz Aufwuchs. Nach Beendigung ihrer Schulzeit arbeitete Anna Walter als Dienstmädchen, zuerst in München und später Schönau. Sie blieb ledig und kinderlos. Im Oktober 1929 im Alter von 23 Jahren zog Anna Walter nach Regensburg und bezog anfangs eine Wohnung in der Wirtstraße zehn, also in unmittelbarer Nähe, die sie jedoch bald wieder aufgab. Sie arbeitete einige Monate im Theresianum in der Landshuter Straße, einem Heim für bedürftige junge Frauen, in dem sie auch Unterkunft erhielt. Im Juni 1930 nahm Anna Walter eine Stellung als Dienstmädchen bei Frau Flach in der Wörthstraße 27. Ein Zimmer in Untermiete wurde ihr zur Verfügung gestellt. Nach wenigen Monaten, im Februar 1931, suchte sie das Krankenhaus der barmherzigen Brüder auf. Obwohl sie über Schmerzen klagte, konnte der Oberarzt der Frauenabteilung keine medizinische Ursache finden und bat um Überstellung in die Heil- und Pflegeanstalt von Karthaus Prüll. Seinem Antrag wurde zwei Tage später stattgegeben, sodass Walter in die Pflegeanstalt verlegt wurde. In den ersten Monaten beteiligte sie sich in der Arbeitstherapie, einem neuen und fortschrittlichen Ansatz der Klinikleitung, um die Patienten und Bewohner mit ihren persönlichen Einschränkungen zu stabilisieren und ihnen eine feste Tagesstruktur zu geben. Anna Walter betätigte sich vor allem mit Stricken und Nähen, das ihr viel Freude bereitete. Später half sie in der Küche und putzte das Gemüse, das auf eigenen Feldern angebaut und geerntet wurde. Jedoch verschlechterte sich ihr gesundheitlicher Zustand in den folgenden Jahren, dass sie keine regelmäßigen Tätigkeiten innerhalb der Heil- und Pflegeanstalt mehr nachgehen konnte. Sie wurde entmündigt und erhielt einen Vormund. Ihr älterer Bruder Franz erkundigte sich von Zeit zu Zeit bei der Anstaltsleitung nach ihrem Befinden. Da er in Weilheim wohnhaft war, scheinen regelmäßige Besuche nur selten möglich gewesen zu sein. Aus einem Schreiben des Jahres 1940 an die Anstaltsleitung lässt sich entnehmen, dass ihr Bruder Franz verstorben war und daraufhin ein Angehöriger der Familie die Vormundschaft übernehmen würde. Doch dazu kam es nicht mehr. Am 19 November 1940 wurde Anna Walter mit weiteren 128 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt nach Hartheim bei Linz deportiert. Es war der zweite von fünf Transporten aus Regensburg, nachdem die Gutachterkommission in Berlin in der Tiergartenstraße über ihren Tod verfügt hatte. Nach Auswertung von Meldebögen, die an alle Heil- und Pflegeanstalten reichsweit verschickt worden waren, hatten die Ärzte entschieden, dass Anna Walter kein Recht auf ein Leben habe und ihren Tod durch Kohlenmonoxid verfügt. Sie starb am Tag der Ankunft in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz im Alter von 34 Jahren.“ (Diese Vita wurde von Syliva Seifert erstellt.)
Text und Fotos: Stefan Groß