News Bild Betrachtung zum Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci
Betrachtung zum Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci

„Strebt nach dem, was oben ist!“

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Regensburg, 5. April 2023

An der Wand des Klosterrefektoriums von Santa Maria delle Grazie in Mailand befindet sich das weltberühmte Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci. Als der Künstler die ersten Porträtstudien zu diesem Fresko anfertigte, fand er einen jungen Mann, der ihm für das Antlitz Christi Modell stand. Dann skizzierte er über ein Jahr lang die Apostelfiguren. Schließlich fehlte ihm nur noch der Entwurf zum Verräter Judas.

Lange suchte Leonardo nach einem Gesicht, aus dem unverkennbar innerer Zerfall sprach. In einer Mailänder Taverne fand er das Modell, das er suchte. Er begann zu zeichnen. Auf einmal erschrak Leonardo. Irgendwie kannte er diese Gesichtszüge und wollte es doch nicht glauben. Der Mann mit dem Judasgesicht offenbarte sich. Er war derselbe, der ihm sein Gesicht für das Antlitz Christi geliehen hatte. Das Christusgesicht war zum Judasgesicht geworden. Was konnte das offene und strahlende Gesicht dieses Menschen in der Zwischenzeit so verfinstern? Es war die Tatsache, dass seine Augen inzwischen eine andere Blickrichtung genommen hatten und sein Herz auf Abwegen seine Erfüllung gesucht hatte. Immer nämlich schreibt sich in das Gesicht, was ein Mensch mit seinen Augen sucht, und in sein Herz, womit er innerlich umgeht.

Was habe ich im Blick?

Was haben wir im Auge und im Herzen? Wir wissen es oft gar nicht. Wir gehen darüber hinweg, auch über das Schönste unseres Lebens und unseres Glaubens. Was wir im Herzen haben, das ruft uns Paulus in der zweiten Lesung des Ostersonntags ins Gedächtnis: „Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so strebt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt! Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische! … euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3,1-3). Der Apostel erinnert uns daran, dass wir seit der Taufe göttliches Leben in uns tragen, das göttliche Leben des auferstandenen Herrn. Mitten in dieser Welt des Sterbens haben wir göttliches Leben empfangen. Das ist das Geheimnis unseres Lebens. Das tragen wir im Herzen. Wir kennen uns oft selber nicht. Wir wissen nicht um die eigene Tiefe; wir müssen sie uns zeigen lassen. Lebendige Christen können wir nur sein, wenn wir uns um Christus sammeln. Wenn wir Gottes Heiligen Geist in uns wirken lassen, wird unser Blick nach „oben“ gerichtet.

Ostern, die Wende für unsere Welt

Jesus Christus hat für unsere Welt die Wende gebracht. Das hat Folgen auch für mein Leben. Uns ist jene große Hoffnung gegeben, von der alle Menschen insgeheim träumen. Mit dieser Hoffnung im Herzen sehen wir die Welt mit anderen Augen; mit ihr leben wir anders. Bei einem Schülerwettbewerb haben Kinder eine Stadt gebaut: Häuser, Bäume, Menschen und Tiere. Ein Plakat darüber nennt das Thema dieser Arbeit: „Unsere Stadt aus Wegwerfgegenständen“. Und tatsächlich: Der Baum war ein alter Rasierpinsel. Der Rumpf eines Menschen bestand aus einer leeren Streichholzschachtel. Das Dach eines Hauses war mit dem Rest eines Kartons gedeckt. Was kindliche Phantasie hier darstellt, ist sehr hintergründig. Einerseits äußert sich das Erleben, zu einer Wegwerfgesellschaft zu gehören. Andererseits zeigt sich der Wunsch, aus dem Alten Neues hervorzubringen.

Hoffnung auf ein Morgen

Aber was sagt uns der Blick auf den Gekreuzigten, den Weggeworfenen, der jetzt „zur Rechten Gottes sitzt“? Wir sind nicht zum Wegwerfen bestimmt. Gott wird die Wegwerfwelt in die neue Stadt Jerusalem verwandeln. Das lässt uns an unserer Welt nicht verzweifeln, auch wenn der Terror allgegenwärtig ist. All dies hat nicht das letzte Wort. Wenn wir den auferstandenen Herrn im Auge und im Herzen haben, werden auch andere durch uns auf ihn aufmerksam – wie durch jene Frau, die der Schriftsteller Victor Hugo in einem seiner Werke schildert: Sie hat gearbeitet, Kinder erzogen und Undank geerntet. Aber sie hat die Hoffnung im Herzen. Sie hilft, wo sie kann. Sie ist ein Segen für alle. Jemand sieht sie ihren Weg gehen und sagt: „Das muss ein Morgen haben!“

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Bild: Paris Orlando

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