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Beratungsstellen der KJF Regensburg haben Kinder und Eltern im Blick

Was in den ersten Lebensjahren wichtig ist


Regensburg, 14. März 2025

Eltern und Großeltern neigen häufig dazu, die Zeit während der ersten Lebensjahre ihrer Kinder als die schönsten und glücklichsten Jahre und die großartigste Zeit im Leben zu verklären und zu idealisieren. Mit der Realität hat das manchmal so viel zu tun wie die Begegnungsflächen von Pinguinen und Eisbären in freier Wildbahn. Die Beraterinnen und Berater der Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) Regensburg sehen neben unbeschreiblich schönen Momenten dieser Zeit auch die enormen Herausforderungen.

Erziehungsaufgaben in krisenhaften Zeiten gut bewältigen

Eltern müssen den Bedürfnissen der Babys und Kleinkindern gerecht werden und gleichzeitig ihre Fürsorge erfolgreich unter einen Hut mit den eigenen Bedürfnissen und gegebenenfalls der Geschwister bringen. Das ist nicht selten ein kräftezehrender Spagat. Dabei, erklärt Dr. Simon Meier, Leiter der Regensburger Beratungsstelle und fachlicher Sprecher der zehn KJF-Beratungsstellen, seien Bindungsbedürfnisse von Kindern von Anfang an ohne Zweifel wichtig. „Aber diese Bedürfnisse sind nicht die einzigen Bedürfnisse innerhalb eines Familiensystems“, so Meier. „Unsere Beraterinnen und Berater haben dies im Blick und sind an der Seite junger Familien. Sie begleiten Eltern und ihre Kinder durch deren Entwicklung, gerade auch während der ersten Lebensjahre“.

Wie wichtig flankierende Hilfen und das Angebot der Beratungsstellen ist, unterstreicht KJF-Direktor Michael Eibl: „Aktuell müssen Familien mit mehreren Krisen zurechtkommen. Es sind die Folgen der Corona-Krise, Kriege, der Klimawandel, unsere politische und wirtschaftliche Situation, die verunsichern und als existentiell bedrohlich erlebt werden. Bei starken, resilienten Eltern können Kinder gut aufwachsen, sich sicher und geborgen fühlen. Doch was macht Eltern stark? Hier leisten die Kolleginnen und Kollegen in unseren Beratungsstellen eine enorm wertvolle Arbeit – dafür danke ich ihnen herzlich“, stellt er heraus.

Bei ihrer diesjährigen Jahrespressekonferenz ziehen die Teams der zehn Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern der KJF einmal mehr Bilanz ihrer Arbeit: Wie gelingt in einem Zeitalter der Verunsicherung, gerade auch in Fragen von Erziehung und der Frage nach möglichen Entwicklungsauffälligkeiten oder seelischen Erkrankungen von Kindern, eine Unterstützung von zukunftsorientierten Entwicklungsprozessen? „Was brauchen Babys und kleine Kinder wirklich und wieviel davon? Wann mache ich mir berechtigterweise Sorgen um die Entwicklung meines Kindes? – Was ist denn noch normal? Und bin ich überhaupt eine gute Mutter oder ein guter Vater?“

Eltern als sichere Basis, als sicherer Hafen für ihre Kinder

In keinem anderen Lebensabschnitt geschieht Entwicklung in derart rasantem Tempo und werden die Eltern zugleich in ihrem Fürsorge- und Erziehungsverhalten so sehr herausgefordert. Das menschliche Neugeborene ist nach seiner Geburt existenziell abhängig von seinen primären Bindungspersonen, in der Regel sind das seine Eltern. Ohne diese ist es in den ersten Lebensjahren nicht überlebensfähig, sowohl in Bezug auf Trinken und Essen, in Bezug auf die Fähigkeit sich aus seinem aufgebrachten Schreien wieder beruhigen zu können, mit angenehmer Wärme oder einer sauberen Windel versorgt zu werden, in den Schlaf zu finden und bei nächtlichem Erwachen wieder in den Schlaf gebracht zu werden und vieles mehr.

Von Anfang an sind alle menschlichen Neugeborenen mit zwei Verhaltenssystemen ausgestattet. Zum einen ist dies das Bindungsverhaltenssystem, welches von der Bindungsperson mit nähe-, schutz- und geborgenheitsgebendem Fürsorgeverhalten beantwortet wird. Und zum anderen das Explorationsverhaltenssystem, wodurch das Kind in der Lage ist, im Rahmen seiner wachsenden Fähigkeiten seine Umwelt zu entdecken, Neues zu erkunden und zu lernen. Eltern spüren im feinfühligen Umgang mit ihren Babys zumeist intuitiv, ob Beruhigung oder Ermutigung wirkungsvoll in ihrem Fürsorgeverhalten eingesetzt werden kann. Durch zuverlässige Reaktionen auf die kindlichen Signale entsteht im ersten Lebensjahr allmählich die Bindung zwischen Baby und Elternteil. Voraussetzung dafür ist, dass Eltern ihre Babys und Kleinkinder ausreichend aufmerksam beobachten und begleiten. Hier wirken sich die Herausforderungen einer immer digitaleren Lebenswelt auf die jungen Eltern besonders aus. Die Bedürfnisse und Entwicklungsschritte kleiner Kinder stehen allzu häufig in Konkurrenz zu Smartphones, Smartwatches, Tablets, Computer, Spielekonsolen, TV und Computer.

Feinfühligkeit der Eltern lebt davon, die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie interpretieren zu können und auf sie prompt und angemessen zu reagieren. Übersieht und missversteht die Bezugsperson die Botschaften des Kindes regelmäßig, so kann das Kind kaum einen Zusammenhang zwischen seinen eigenen Signalen und dem Elternverhalten herstellen. Folglich zeigt es zunehmende Probleme sich als kompetent und selbstwirksam zu erleben. Dies wird manchmal beim Thema „Bindung“ übersehen oder überlesen. Bindung fördert die Selbständigkeit, das anfangs stramme unsichtbare Gummiband zwischen Elternteil und Baby leiert aus, Kinder werden durch ihre Fortschritte in der Entwicklung kompetenter und können immer mehr „alleine machen“. So entsteht zwischen Eltern und Kind nicht nur enge Nähe, sondern auch ein autonomer Entwicklungsraum, d. h. Kinder können und wollen ihre eigenen Fähigkeiten ausbauen und in kleinen Schritten unabhängiger von ihren Eltern werden, auch dann, wenn sie dabei ständig kleine Rückschläge hinnehmen müssen. Das Wunder der Entwicklung von Kindern basiert auf Versuch und Irrtum: hinfallen und wieder aufstehen, weinen und den Rotz wieder abwischen. Nicht jede Frustration muss immer von den Eltern getröstet werden. Aber Eltern in dieser Zeit als sichere Basis bzw. sicheren Hafen hinter sich zu wissen, bietet ein existentiell notwendiges Gefühl von Sicherheit, Schutz und Geborgenheit.

Die zehn Beratungsstellen der KJF in der Diözese Regensburg stellen für Familien mit Kindern im Alter zwischen null und fünf Jahren umfangreiche Beratungsangebote zur Verfügung und haben insgesamt eine große Vielfalt individueller und spezifizierter Beratungsangebote für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern. Exemplarisch stellen aus den Teams der Beratungsstellen Laura Ammer (Rottal-Inn), Irmgard Koss (Regensburg), Barbara Winzen (Dingolfing) sowie Dr. Simon Meier (Regensburg) bei der Jahrespressekonferenz drei Beratungsangebote für Familien mit Kindern von null bis fünf Jahren näher vor.

Feinfühligkeit – Wofür ist sie gut und wie sei bei Eltern gefördert werden kann (Feinfühligkeitstraining von Eltern in der Beratungsstelle in Dingolfing)

Bindungsaufbau ist für ein Kind überlebenswichtig. Eine sichere Bindungsqualität ist ein Schutzfaktor für das weitere Leben. Aber wie genau funktioniert der Aufbau einer Bindung zum Kind? Dafür braucht es feinfühlige Verhaltensweisen, welche die Eltern ihrem Kind gegenüber zeigen. Eine feinfühlige Person muss in der Lage sein, die Signale des Säuglings wahrzunehmen, diese richtig zu interpretieren und angemessen und prompt darauf zu reagieren. Geschieht dies überwiegend feinfühlig in den vielen kleinen unspektakulären Momenten jedes Tages kann Bindungssicherheit entstehen.

Das Feinfühligkeitstraining in der Beratungsstelle Dingolfing unterstützt diesen Prozess, indem es den Eltern sowohl die theoretischen Hintergründe nahebringt, sowie diese auch durch kleine Videosequenzen in ihrem Tun stärkt. Eltern, die das Training durchlaufen, fühlen sich sicherer und kompetenter in ihrem Fürsorgeverhalten gegenüber ihrem Kind – und diese Sicherheit wirkt sich wiederum positiv auf die Bindungsentwicklung des Kindes aus. Längsschnittlich betrachtet, erwachsen daraus bis hinein ins Erwachsenenalter gute Kompetenzen in der Regulation von Emotionen und Gefühlen, genauso wie flexible Handlungskompetenzen im Bereich des Sozialverhaltens. Eine sichere Bindung ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die seelische Gesundheit über die Lebensspanne hinweg.

STEEPTM-Programm („Steps to enjoyable and effective parenting“ von Martha Erickson und Byron Egeland) – Einsatz in der Beratungsstelle Regensburg

Mit Modulen aus diesem Programm begleitet das Team der Beratungsstelle junge Mütter und Väter im Haus Mutter und Kind in Regensburg. Beim Fokus auf das Kind beobachten die Fachkräfte dessen Entwicklung und machen das anwesende Elternteil darauf aufmerksam. Ziel ist es, eine gute Entwicklung für das Kind zu erreichen, dafür zu sensibilisieren und die Mütter und Väter darin zu unterstützen sich gut in ihrer Elternrolle zu fühlen. Um die Eltern-Kind-Beziehung bindungspsychologisch zu stärken, werden Videoaufnahmen gemacht. Diese zeigen Signale des Kindes, die im Alltag oft übersehen oder anders interpretiert werden. Dies hilft den Eltern beim Sehen, Verstehen und Handeln. Im Vordergrund stehen zunächst die Stärken der Eltern. Um eine gute Zusammenarbeit zu ermöglichen, ist es notwendig in Beziehung zu den Eltern zu gehen. Erst wenn sie den Beraterinnen und Beratern Vertrauen schenken, bekommen diese die Möglichkeit in einen tiefergehenden Reflexionsprozess zu ihrer Feinfühligkeit im Umgang mit ihrem Kind einzusteigen. Oft geht es dabei um die Differenzierung von eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen des Kindes.

Schlafregulation – Beratung am Beispiel der Beratungsstelle Eggenfelden 

Häufig kommen Eltern von Säuglingen und Kleinkindern mit Fragen rund um das Thema Schlaf an die Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern. Die Fragen reichen von “Ist es ok, wenn mein einjähriges Kind noch im Elternbett schläft?“ über „Unser Kind schläft nur in unserem Arm ein, was können wir tun?“ oder „Unser Kind wacht alle 30 Minuten auf und wir sind alle total übermüdet und genervt, was machen wir falsch?“ bis zu „Jeder Abend und jede Nacht ist für unsere ganze Familie ein einziger Horror. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Bitte helfen Sie uns.“ Nachdem mit den Eltern ein Ziel für die Zusammenarbeit festgelegt wurde, versuchen die Beraterinnen und Berater mit den Eltern Strategien zu finden, damit alle besser schlafen können. Dabei orientieren sie sich am jeweiligen Entwicklungsstand und den Bedürfnissen des Kindes und daran, was im Alltag der Familien umsetzbar ist und an welchen Stellen Unterstützungsangebote hierzu sinnvoll und zielführend sein können.

Konstant hohe Nachfrage im Jahr 2024: Die personellen Kapazitäten in der Beratung hinken dem Beratungsbedarf deutlich hinterher, weiter steigende Wartezeiten sind die Folge. 

2024 wandten sich insgesamt 5.436 Familien mit Kindern und Jugendlichen (Vorjahr: 5.379) zur persönlichen Beratung an eine der zehn Beratungsstellen der KJF bzw. an eine ihrer zusätzlich 18 Außenstellen. Das sind über 1 % mehr Familien als 2023 und etwa 21 % mehr als vor zwei Jahren. Die Beratungsstellen haben in diesem Jahr 1.249 (23 %) Familien mit Kindern im Alter zwischen 0 und 5 Jahren beraten. Hieran zeigt sich, dass Familien mit Kindern in diesem Altersbereich sehr gut mit den Angeboten erreicht werden. Wie bereits im Jahr 2023 ist die Mehrheit der Familien, die Beratungsangebote aufsuchen, von Trennung und Scheidung betroffen (53,7 %).

Zusätzlich zu den oben genannten Beratungsfällen in Präsenz beraten unsere zehn Beratungsstellen über die Portale der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) und der Caritas Familien auch online. Im Jahr 2024 ist dabei die Onlineberatung drastisch angestiegen. Waren es beispielsweise in der Regensburger Beratungsstelle im Jahr 2023 noch 96 Fälle, so hat sich im Jahr 2024 die Zahl in Regensburg mehr als verdoppelt auf 210 Beratungsfälle. Das entspricht in diesem Bereich einer Zunahme von 119 %. Das digitale Zeitalter ist vollends in den Beratungsstellen angekommen und die Beraterinnen und Berater widmen sich mit hohem Engagement der Weiterentwicklung von Digitalisierungsprozessen in der Beratung und beraten bereits jetzt sowohl strategische als auch ethische Aspekte hinsichtlich eines zukünftigen Einsatzes von künstlicher Intelligenz in der Erziehungsberatung.

Text: Dr. Simon Meier (Regensburg), Laura Ammer (Eggenfelden), Barbara Winzen (Dingolfing) und Irmgard Koss (Regensburg)

Foto: Sebastian Schmid

(lg)

 



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