Über das Austrittstelefon. Ein Gespräch mit Schwester Maria Benedikta Rickmann
Schwester Maria Benedikta, Sie sitzen derzeit jeden Nachmittag bereit, die Anrufe von ausgetretenen Katholik entgegenzunehmen. Warum tun Sie das?
Jeder hat noch einen Weg vor sich, wer weiß schon, wohin der führt? Aber wer sich diese Frage stellt, der ist auf jeden Fall noch auf dem Weg. Unsere Anrufer sind Menschen, die sich intensiv Gedanken machen und die etwas zu sagen haben, denen der Austritt auch weh tut. Es sind gute Menschen, von denen wir etwas lernen können.
Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Austrittstelefon?
Es soll ein Angebot sein, auf die Wünsche der Anrufer einzugehen. Die Menschen haben ganz unterschiedliche Erwartungen an die Kirche.
Welche Wünsche können Sie am Telefon überhaupt erfüllen?
Bei den Gesprächen geht es sehr viel darum, die Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Die Anrufer sind getaufte Christen, haben die Sakramente empfangen. Wir gehören ja doch immer noch zusammen. Auch Ausgetretene sind nicht einfach weg.
Ist die Aktion vor dem Hintergrund auch eine Möglichkeit zu Apologetik und Katechese?
Ja, das kann durchaus sein. Es geht aber wie gesagt vor allem um Beziehungen der Menschen zu Gott und zur Kirche und darum, was schief gelaufen ist. Das war für mich teilweise schon etwas erschütternd. Ich bin ja kein Stück besser als die, die ausgetreten sind.
Sie meinen, weil Sie selber auch nur eine Sünderin sind?
Ja, natürlich. Und doch sind die Menschen, die gehen, am Ende die Geschädigten, nicht die Sünder, die bleiben. Das ist einfach schade.
Viele Bischöfe und Verantwortliche scheinen derzeit recht genau zu wissen, was sich in der Kirche ändern müsste, damit weniger Menschen austreten - Stichwort Zölibat oder Frauenweihe. Sehen die Menschen, die sich bei Ihnen melden, das auch so klar?
Die Wünsche sind nicht so konkret, wie ich das vorher gedacht hätte. Es geht viel weiter in die Tiefe. Es ist jedenfalls nicht so, dass man sagt, wir schaffen den Zölibat ab und schon bleibt der Anrufer in der Kirche. Oft haben die Menschen aber auch sehr hohe Erwartungen an die Kirche. Sie soll eine Vorbildfunktion erfüllen, der sie aber nicht gerecht wird. Die Kirche wird nie perfekt sein. Es wird immer Unrecht und Verletzungen geben.
Wie gehen Sie damit um, dass Menschen aufgrund der Fehler anderer jetzt der Kirche den Rücken kehren?
Das hat mich erschüttert. Es ist aber nicht so, dass man einigen wenigen die alleinige Schuld zuschieben kann. Die Schuld ist in der Kirche auf viele verteilt. Auch bei den Menschen, die fromm sind und alles gut katholisch aussieht, kann Schuld liegen. Aber denjenigen, der austritt, den hat's erwischt.
Wie kann sich dieses Verhältnis ändern?
Es muss in der Kirche offener über Fehler gesprochen werden. Und zwar ohne immer nur auf die Amtsträger oder die "heißen Eisen" zu kommen. Das steht wirklich nicht im Zentrum. Es gibt ganz andere Formen von Schuld, die Menschen verletzt. Jemand, der sehr fromm ist, dabei aber zu hart mit seinen Mitchristen umgeht oder jemand, der sich verstritten hat und trotzdem zur Kommunion geht. Wir müssen insgesamt ehrlicher miteinander umgehen.
Setzen Sie dabei eine Hoffnung in die synodalen Gespräche, wie sie derzeit in Deutschland oder auch auf weltkirchlicher Ebene immer wichtiger werden?
Gerade nicht. Ich denke, dabei dreht es sich letztlich um Macht. Es geht darum, dass jeder ehrlich mit sich und den anderen ist. Wenn ich mit meinem Nachbarn gestritten habe, kann ich nicht einen halben Tag später zur Kommunion gehen, ohne mich versöhnt zu haben. Und je katholischer ich mich gebe, desto weniger sollte ich streiten. Man darf kein Ärgernis geben und muss sich seine Schuld eingestehen können. Wir sprechen uns selber nur allzu schnell heilig.
Wie sehen Sie in diesem Sinne das Verhalten der Verantwortlichen in der Kirche?
Die Bischöfe und Priester treten in meiner Wahrnehmung heute oft sehr selbstkritisch auf.
Und nehmen Sie ihnen diese Haltung ab?
Das kann ich nicht sagen, ich kenne die meisten ja nicht persönlich.
Haben Sie Verständnis für die Menschen, die Bischöfen und Priestern die Selbstkritik nicht abnehmen?
Ja, habe ich. Selbstkritisches Auftreten muss nicht heißen, dass man sich wirklich auch mit seiner Schuld befasst und sie eingesteht.
Welche Botschaft geben Sie denjenigen mit, die sich deshalb enttäuscht von der Kirche abwenden?
Sie sollten ihre Erwartungen an die Kirche zurückschrauben. Sie ist aus Menschen gemacht. Natürlich tun wir alles zu Gottes Ehre und wollen deshalb in einer weißen Weste vor ihm stehen. Aber die Weste wird oft künstlich reingehalten. So sind Menschen nun einmal. Die Erwartungen sollten nicht zu hoch fliegen, sondern wieder auf die Erde zurückkommen. Da sind wir Menschen schließlich alle noch unterwegs. Wir sind noch nicht am Ziel.
Das Gespräch führte Kilian Martin/ <link https: www.die-tagespost.de kirche-aktuell _blank external-link-new-window>Die Tagespost