News Bild Papst Benedikt zur Bedeutung des christlichen Glaubens
Papst Benedikt zur Bedeutung des christlichen Glaubens

Das Christentum in Europa

Home / News

Regensburg, 17. April 2023

Im September 2007 reiste Papst Benedikt XVI. nach Wien, Mariazell und Heiligenkreuz. Mit Blick auf diesen Österreich-Besuch, der unter dem Motto „Auf Christus schauen“ stand, hat Kardinal Schönborn den Wunsch geäußert, „die tiefe Spiritualität und das profunde theologische und humanistische Wissen dieses Papstes“ möge vielen Menschen „einen neuen Zugang zum Glauben und zur Kirche“ (Christoph Kardinal Schönborn, Zum Geleit, in: Papst Benedikt XVI. in Österreich. Apostolische Reise aus Anlass des 850-Jahr-Jubiläums von Mariazell, Wien 2007, S. 6) eröffnen. Das Leitwort „Auf Christus schauen“ ist – so die österreichischen Bischöfe – „eine Grundvoraussetzung für das Gedeihen der Kirche und für jede Erneuerung ihres Lebens“ (in: Papst Benedikt XVI. in Österreich, S. 11). Als besondere Sorgen, die Papst Benedikt XVI. mit ihnen teilt, nennen die Bischöfe folgende: die Sorge um die Jugend, die Sorge um Ehe und Familie und um das Scheitern von Beziehungen, die Sorge um die zunehmend bedrohte Würde des Lebens und die Sorge um geistliche Berufungen.

Ein Leben ohne Gott bleibt leer

In einem Interview während seines Fluges von Rom nach Wien erklärte Benedikt XVI., dass er die Menschen im Glauben stärken möchte. „Wir brauchen eine Orientierung, die unserem Leben eine Richtung gibt. Man sieht, dass ein Leben ohne Orientierungspunkte, ohne Gott nicht gelingt: Es bleibt leer“ (ebd., 19). Wir brauchen Gott, wir brauchen – so der Papst – Jesus Christus „und die große Gemeinschaft der Kirche, die die Völker vereint und sie miteinander versöhnt“ (ebd.). Seine Pilgerfahrt nach Mariazell versteht er als „Mitpilgern mit den Pilgern unserer Zeit“ (ebd., 26). Wallfahrten haben in den letzten Jahren bei vielen Menschen verstärkt Interesse gefunden. Im pilgernden Unterwegssein finden auch junge Menschen einen neuen Weg der Besinnung. Sie begegnen einander und miteinander der Schöpfung, aber auch der Geschichte des Glaubens und erfahren ihn oft unerwartet als Kraft der Gegenwart. Mariazell zeigt uns – vor allem durch den mütterlichen Hinweis der Gnadenstatue auf Christus – den Weg in die Zukunft. Pilgerschaft ist nicht nur ein Weg zu einem Heiligtum hin. Sie ist wesentlich auch der Weg zurück in den Alltag. Von Maria geführt und ermutigt, wollen wir – so Benedikt XVI. – unseren christlichen Blick schärfen für die Herausforderungen, denen wir uns im Geist des Evangeliums stellen müssen, und dankbar und hoffnungsvoll in die Zukunft aufbrechen.

Bedeutung des christlichen Glaubens für Europa

In seiner Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern des politischen und öffentlichen Lebens in der Wiener Hofburg erinnerte der Papst daran, dass sich die Anwesenden an einer historischen Stätte befinden, von der aus über Jahrhunderte ein Reich regiert wurde, das große Teile des mittleren und östlichen Europa vereint hat. Dieser Ort ist ein Anlass, das ganze Europa von heute in den Blick zu nehmen. Nach den Katastrophen des Krieges und den traumatischen Erfahrungen von Totalitarismus und Diktatur hat Europa den Weg zu einer Einheit des Kontinents eingeschlagen, die eine dauerhafte Friedensordnung und eine gerechte Entwicklung gewährleisten soll. Der Prozess der europäischen Einigung ist ein Werk von großer Tragweite. Besonders für die Völker Mittel- und Osteuropas ist die Beteiligung an diesem Prozess ein weiterer Ansporn, in ihrem Inneren die Freiheit, den Rechtsstaat und die Demokratie zu festigen. Dabei erinnert Benedikt XVI. auch an den herausragenden Beitrag Papst Johannes Pauls II. zu diesem historischen Prozess.

Ein solides moralisches Fundament

Das „Haus Europa“ wird – so Papst Benedikt XVI. – nur dann ein für alle gut bewohnbarer Ort, wenn es auf einem soliden kulturellen und moralischen Fundament von gemeinsamen Werten aufbaut, die wir aus unserer Geschichte und unseren Traditionen gewinnen. Europa darf seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen; sie sind ein Ferment unserer Zivilisation im dritten Jahrtausend. Das Christentum hat diesen Kontinent zutiefst geprägt. Der Glaube wird bezeugt von den unzähligen Menschen, die er bis zum heutigen Tag „zu einem Leben der Hoffnung, der Liebe und der Barmherzigkeit bewegt hat“ (ebd., 37). Mariazell, das große österreichische Nationalheiligtum, ist ein Ort der Begegnung für verschiedene europäische Völker. Das Marienheiligtum ist einer jener wichtigen Orte, an denen sich Menschen die „Kraft von oben“ für ein rechtes Leben holen. Mit dem häufig so genannten „europäischen Lebensmodell“ ist – so der Heilige Vater – eine Gesellschaftsordnung gemeint, „die wirtschaftliche Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit, politische Pluralität mit Toleranz, Liberalität und Offenheit verbindet, aber auch das Festhalten an Werten bedeutet, die diesem Kontinent seine besondere Stellung geben“ (ebd.). Angesichts der Zwänge der modernen Ökonomie steht dieses Modell heute vor starken Herausforderungen. Für die Politiker stellt sich die dringende Aufgabe, der Globalisierung Regeln und Grenzen zu geben, damit sie „nicht auf Kosten der ärmeren Länder und der Ärmeren in den reichen Ländern realisiert wird und nicht den kommenden Generationen zum Nachteil gereicht“ (ebd.).

Fähigkeit zur Selbstkritik

Europa hat auch schreckliche Irrwege erlebt und erlitten. Dazu gehören ideologische Engführungen von Philosophie, Wissenschaft und auch Glaube, der Missbrauch von Religion und Vernunft zu imperialistischen Zielen, die Entwürdigung des Menschen durch einen theoretischen oder praktischen Materialismus und schließlich die Degeneration von Toleranz zu einer Gleichgültigkeit ohne Bezug zu bleibenden Werten. Zu den Eigenschaften Europas gehört aber auch die Fähigkeit zur Selbstkritik, die diesen Kontinent im Kontext der Weltkulturen besonders auszeichnet. Der Begriff der Menschenrechte ist – so Benedikt XVI. – zuerst in Europa formuliert worden. Das grundlegende Menschenrecht, die Voraussetzung für alle anderen Rechte, ist das Recht auf das Leben selbst. Abtreibung kann „demgemäß kein Menschenrecht sein – sie ist das Gegenteil davon“ (ebd.). Sie ist eine „tiefe soziale Wunde“. Der Papst macht sich „zum Anwalt eines zutiefst menschlichen Anliegens und zum Sprecher der Ungeborenen ..., die keine Stimme haben“ (ebd., 37 f). Dabei verschließt er nicht die Augen vor den Konflikten vieler Frauen. Er ist sich dessen bewusst, dass die Glaubwürdigkeit unserer Rede auch von dem abhängt, was die Kirche selbst für betroffene Frauen tut.

Der prophetische Einspruch des Evangeliums

Bei einer ähnlichen Fragestellung verwies Christoph Kardinal Schönborn in einem Vortrag 2010 vor dem Überseeclub in Hamburg (Fremdkörper oder Wurzel? Das Christentum und seine Bedeutung für Europa, in: Internationale Katholische Zeitschrift 40 [2011], 366-380) auf den britischen Oberrabbiner Jonathan Sacks, der eine Kultur des „Konsumismus und der sofortigen Befriedigung“ materieller Wünsche für den Geburtenrückgang in Europa verantwortlich macht: „Wir erleben das moralische Gegenstück zum Klimawandel, und keiner spricht darüber“ (zit. nach: ebd., 366). Schönborn schätzt die Situation des Christentums in Europa als paradox ein. Es scheint weitgehend marginalisiert. Dennoch sei es kein „Auslaufmodell“ in einem Europa, „in dem die Sinnressourcen knapp werden.“ Der Wiener Erzbischof schätzt die Situation des Christentums in Europa „als höchst spannend und chancenreich“ (ebd., 378) ein. „Europa braucht den prophetischen Einspruch des Evangeliums als heilsame Unruhestiftung“ (ebd.).

Ein Klima der Zuversicht schaffen

Bei seiner Ansprache in Wien im Jahr 2007 appellierte Papst Benedikt XVI., alles dafür zu tun, dass die europäischen Länder „wieder kinderfreundlicher werden“. Alle diesbezüglichen Bemühungen werden nur dann etwas nützen, wenn es gelingt, in unseren Ländern wieder ein Klima der Freude und der Lebenszuversicht zu schaffen, in dem Kinder nicht als Last, sondern als Geschenk für alle erlebt werden. Große Sorge bereitet dem Heiligen Vater auch die Debatte über eine aktive Sterbehilfe. „Die richtige Antwort auf das Leid am Ende des Lebens ist Zuwendung, Sterbebegleitung – besonders auch mit Hilfe der Palliativmedizin“ (Papst Benedikt XVI. in Österreich, 38). Zur Durchsetzung einer humanen Sterbebegleitung bedarf es verschiedener Schritte.

Die Grundüberzeugung des Christentums

Zum europäischen Erbe gehört eine Denktradition, für die eine grundlegende Korrespondenz von Glaube, Wahrheit und Vernunft wesentlich ist. Dabei geht es um die entscheidende Frage, ob die Vernunft am Anfang aller Dinge steht oder nicht. Ist das in der Welt Gegebene aufgrund von Zufall und Notwendigkeit entstanden? Ist die Vernunft ein zufälliges Nebenprodukt des Unvernünftigen und im Ozean des Unvernünftigen letztlich bedeutungslos? Oder bleibt die Grundüberzeugung des christlichen Glaubens wahr? Diese besagt: „Am Beginn aller Dinge steht die schöpferische Vernunft Gottes, der beschlossen hat, sich uns Menschen mitzuteilen“ (ebd., 39). Europa ist Träger einer Denktradition, die Glaube, Vernunft und Gefühl verbindet. Bedeutende Philosophen haben – auch unabhängig vom Glauben – die zentrale Rolle anerkannt, die vom Christentum entfaltet wurde, „um das moderne Bewusstsein vor dem Abgleiten in Nihilismus oder Fundamentalismus zu bewahren“ (ebd., 93).

Argumente für Gott

In seiner Rede im Deutschen Bundestag am 22. September 2011 (vgl. Papst Benedikt XVI., Die Ökologie des Menschen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.09.2011, S. 8) erinnerte der Papst – mit Verweis auf das hörende Herz König Salomons (vgl. 1 Kön 3,9) – auf „die der Sprache des Seins geöffnete Vernunft“. Die heute im öffentlichen Bewusstsein weithin festzustellende „alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft“ führt in eine „dramatische Situation“. Das positivistische Konzept von Natur und Vernunft ist „nicht selbst als Ganzes eine dem Menschsein in seiner Weite entsprechende und genügende Kultur“. Im Deutschen Bundestag stellte Benedikt XVI. die Frage: „Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeigt, nicht eine schöpferische Vernunft, einen Creator Spiritus voraussetzt?“ In diesem Zusammenhang zitiert Benedikt XVI. den bedeutenden Philosophen Jürgen Habermas, der sich selbst nicht zum christlichen Glauben bekennt. Habermas sagt: „Das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur Katalysator gewesen. Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative“ (zitiert nach: Papst Benedikt XVI. in Österreich, 39).

Verantwortung für die Zukunft

Aus der Einmaligkeit seiner Berufung erwächst Europa – so Benedikt XVI. – auch eine einmalige Verantwortung in der Welt. Dabei darf es sich vor allem nicht selbst aufgeben. Der demographisch rapide alternde Kontinent soll nicht ein geistig alter Kontinent werden. Europa wird seiner selbst dann besser gewiss werden, wenn es eine seiner einzigartigen geistigen Tradition, seinen außerordentlichen Fähigkeiten und seinem großen wirtschaftlichen Vermögen angemessene Verantwortung in der Welt übernimmt. Bei der Bekämpfung der Armut und im Einsatz für den Frieden sollte die Europäische Union eine Führungsrolle übernehmen. Die Länder Europas sind – so der Papst – reich gesegnet: mit landschaftlichen Schönheiten, mit einem unerhörten kulturellen Reichtum, mit vielen künstlerisch begabten Menschen und großen schöpferischen Kräften. Länder, die so viel bekommen haben, müssen auch viel geben. Sie dürfen sich viel zutrauen und einiges zumuten an Verantwortung in Europa und der Welt. Der christliche Glaube hat den Charakter der Länder Europas und seine Menschen tief geprägt. Daher muss es unser Anliegen sein, nicht zuzulassen, dass in den Ländern dieses Kontinents eines Tages womöglich nur noch die Steine vom Christentum reden.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Fotos: altrofoto.de



Nachrichten