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Behörden bagatellisieren oft Gewalt gegen Frauen

Ägypten: Übergriff auf Christin bleibt unbestraft

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München/Kairo, 26. August 2022

Am 27. April 2022 betrat die koptische Christin Niveen Sobhy eine Dorfapotheke im Gouvernement al-Minufiyya im Norden Ägyptens. Sie wollte Medikamente besorgen für ihren kleinen Sohn. Es war Ramadan, der muslimische Fastenmonat. 

Beim Betreten der Apotheke schrie der Besitzer sie an, weil sie ein kurzärmliges T-Shirt und keinen Schleier trug. Er habe gewusst, dass sie Christin sei, erklärte Niveen Sobhy im Gespräch mit dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. Sie habe dem Apotheker entgegnet, dass ihn ihre Bekleidung nichts angehe. Daraufhin habe er sie zwei Mal kräftig ins Gesicht geschlagen.

 

Schikaniert und unter Druck gesetzt

Die Christin verständigte ihre Familie. Die gingen mit ihr zur örtlichen Polizeistation, um den Übergriff anzuzeigen. „Der Polizist und unser Bürgermeister haben den Apotheker angerufen. Er gab die Tat auch sofort zu. Er behauptete aber, es habe sich dabei nur um einen ,Scherz’ gehandelt, und die Ohrfeigen seien nicht so schlimm gewesen“, erzählt Sobhy.

Auch habe man sie und ihre Familie bei der Polizei schikaniert und unter Druck gesetzt: „Sie ließen mich bis zwei Uhr nachts warten, obwohl mein Kind schwer krank zu Hause lag. Sie weigerten sich zuerst, einen Bericht über den Vorfall zu schreiben. Als ich darauf bestand, Anzeige zu erstatten, drohten sie damit, mich festzunehmen.“ Als der Bericht schließlich fertig war, hätte man ihr nicht ermöglicht, ihn zu lesen, bevor sie ihn unterschrieb.

Die Überraschung kam, als sie den Polizeibericht später bei der Staatsanwaltschaft einsehen konnte: Dort war zu lesen, der Apotheker sei ein Freund der christlichen Familie und habe sich nur einen Spaß erlaubt. Dabei sei ein solcher Übergriff nicht zum ersten Mal passiert: „Am vergangenen Osterfest hat der Apotheker eine andere Christin aus dem Dorf geschlagen. Er hat es schon öfter getan, aber die Frauen haben Angst, ihn anzuzeigen“, berichtet Niveen Sobhy.

Kreuz

Ein koptisches Kreuz auf einer Kirche in Ägypten. © KIRCHE IN NOT

„Beschämende Versöhnung“

Deshalb kommt es immer wieder zu Scheinlösungen, wie im Fall der geohrfeigten Niveen Sobhy. Sie war fest entschlossen, den Vorfall diesmal nicht auf sich beruhen zu lassen. Deshalb hatte sie an den Nationalen Frauenrat Ägyptens, den Innenminister und sogar an das Büro von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi geschrieben. Dennoch setzten die Behörden die Christin und ihre Familie unter Druck.

Schließlich stimmten sie einem außergerichtlichen Vermittlungstermin zu, der in einer erzwungenen Versöhnung mit dem Täter endete. Der Apotheker ging straffrei aus. Ein Foto nach dem Termin zeigt alle Beteiligten mit den muslimischen und christlichen Geistlichen des Ortes. Die Enttäuschung steht Niveen Sobhy ins Gesicht geschrieben.

„Das war eine typische beschämende Versöhnung“, kommentiert Kamal Sedra. „So wird üblicherweise bei extremistischen Angriffen gehandelt. Eine Frau hat nicht das Recht, sich einer solchen erzwungenen Versöhnung zu verweigern und Nein zu sagen. Es war von vornherein zu erwarten, dass es so ausgehen würde.“

Es gäbe nach wie vor eine Spaltung zwischen den verfassungsmäßig garantierten Rechten und dem gesellschaftlichen Druck, der durch das muslimische Recht entstehe, erklärt Sedra: „In Ägypten ist in der Verfassung zwar festgelegt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Aber es gibt nach wie vor einen Artikel, der besagt, dass die Scharia Hauptquelle der Gesetzgebung ist.“

Bischof mit anderen Christen

Die Christin Niveen Sobhy (links außen) mit weiteren Beteiligten nach der vermeintlichen Versöhnung. Rechts ist der mutmaßliche Täter zu sehen. © KIRCHE IN NOT

Christen erfahren mehr Solidarität, trotzdem halten Übergriffe an

Nachdem die koptischen Christen Ägyptens jahrelang schweren extremistischen Anschlägen ausgesetzt waren, hat sich die Regierung stärker des Themas angenommen – auch auf internationalen Druck hin. Präsident al-Sisi hat zum Beispiel an Weihnachten den Gottesdienst besucht und die Zugehörigkeit der Christen zur ägyptischen Gesellschaft betont.

Auch wurden nachträglich zahlreiche Kirchenbauten für legitim erklärt, nachdem die Behörden jahrzehntelange keine Baugenehmigungen erteilt hatten. Verantwortliche kritisieren jedoch, dass die Vorschriften für den Bau von Kirchen nach wie vor viel strenger seien als für den Bau von Moscheen.

Präsident al-Sisi ernannte kürzlich zum ersten Mal in der Geschichte des Landes einen koptischen Richter zum Vorsitzenden des Verfassungsgerichts. Auch in Teilen der Mehrheitsbevölkerung und unter muslimischen Geistlichen haben viele Zeichen der Solidarität mit den christlichen Nachbarn eingesetzt.

Dennoch sind Christen nach wie vor Diskriminierungen und Übergriffen ausgesetzt, vor allem in den ländlichen Regionen. Im Fokus der Gewalt stehen christliche Frauen. „Kirche in Not“ hat Fälle dokumentiert, in denen koptische Frauen und Mädchen von radikalen Muslimen verschleppt, zwangsverheiratet und zur Konversion gezwungen wurden.

 

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Verwendungszweck: Ägypten

 

Text: Kirche in Not / amh

Titelbild: Koptische Christinnen beim Gottesdienst © Ilona Budzbon/KIRCHE IN NOT



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