News Bild 10 Jahre Bischofsamt: Interview der Katholischen Sonntagszeitung mit Bischof Rudolf Voderholzer

10 Jahre Bischofsamt: Interview der Katholischen Sonntagszeitung mit Bischof Rudolf Voderholzer

Bischof Rudolf möchte wissen, wo den Gläubigen der Schuh drückt

Home / News

Regensburg, 25. Januar 2023

Vor zehn Jahren, am 6. Dezember 2012, hat Papst Benedikt XVI. Professor Dr. Rudolf Voderholzer zum 78. Bischof von Regensburg ernannt. Im Interview mit der Katholischen SonntagsZeitung spricht Bischof Rudolf rückschauend und ausblickend über Bereiche, die ihm besonders am Herzen liegen.

Herr Bischof, groß war die Freude, als man im Bistum erfuhr, dass Papst Benedikt XVI. Sie am 6. Dezember 2012 zum 78. Bischof von Regensburg ernannt hat. Erinnern Sie sich noch an Ihre damalige Gefühlslage?

Daran kann ich mich sehr gut erinnern. Es war ambivalent. Natürlich fühlte ich mich geehrt durch das Vertrauen, das mir der Heilige Vater dadurch entgegengebracht hat. Mit der Ernennung hat er mir ja das ganze Volk Gottes im Bistum Regensburg sozusagen in Obhut gegeben. Was für eine Aufgabe! Andererseits fühlte ich mich aber auch aus vielen laufenden Prozessen herausgerissen, die mir sehr ans Herz gewachsen waren. Die Arbeit mit den Studenten und Professorenkollegen an der Theologischen Fakultät Trier, die Pfarrseelsorge mit vielen ehrenamtlichen und hochengagierten Frauen und Männern, Mädchen und Buben in der Pfarrei St. Nikolaus in Kasel und nicht zuletzt die Aufbauarbeit im Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg – wir hatten gerade die Arbeiten an dem besonders spannenden Band 7 über die Mitarbeit Joseph Ratzingers am Zweiten Vatikanischen Konzil hinter uns, bei der wir einige Neuentdeckungen machen durften. Sehr schnell setzte sich dann eine gesunde, aber deutliche Nervosität durch im Hinblick auf die bevorstehenden großen Aufgaben.

In einem Grußwort an unsere Leser anlässlich ihrer Bischofsweihe am 26. Januar 2013 haben Sie geschrieben: „Wir katholischen Christen werden in den nächsten Jahren enger zusammenrücken, mehr aufeinander hören, uns intensiver bestärken müssen, damit wir uns immer wieder in Christus erneuern können.“ Erahnten Sie damals schon die Dimension der aktuellen Krise der Kirche?

Ich bin selbst ein wenig überrascht, wenn ich diese Zeilen heute nochmal höre. Sie bringen das auf den Punkt, was ich auch gegenwärtig als große Aufgabe wahrnehme und was wir seit einigen Jahren mit Papst Franziskus mit dem Stichwort „Synodalität“ zusammenfassen. Leider werden das Zusammenrücken, das Aufeinander-Hören und die gegenseitige Bestärkung durch unnötige und unheilvolle Grabenkämpfe allzu oft torpediert. Aber mehr noch als in vergangenen Zeiten muss uns Katholiken klar sein: Wir sind in Deutschland in der absoluten Minderheit und können nur überzeugen, wenn wir wie die Urgemeinde festhalten „an der Lehre der Apostel [...] und an der Gemeinschaft [communio], am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42).

Wallfahren ist "Beten mit den Füßen", sagt Bischof Rudolf Voderholzer (hier beim Abmarsch der traditionellen Altöttinger Fußwallfahrt).

Viele sehen in den weltweiten Missbrauchsskandalen die Ursache für die Krise der Kirche, aus der hierzulande der Synodale Weg herausführen soll. Im Zusammenhang mit der MHG-Studie haben Sie schon früh von einem „Missbrauch des Missbrauchs“ gesprochen. Was läuft Ihrer Meinung nach schief am Synodalen Weg?

Eine Mahnung der Heiligen Schrift, die mich im Zusammenhang mit der Missbrauchsaufarbeitung im Bistum Regensburg immer begleitet hatte und mir Ansporn zu konsequentem Handeln im Sinne der Opfer und Betroffenen war und weiterhin ist, lautet: „Wehe dem nichtsnutzigen Hirten, der die Schafe im Stich lässt!“ (Sach 11,17). Eingedenk dieser prophetischen Mahnung habe ich im Blick auf die Betroffenen des sexuellen Missbrauchs in meinem Hirtenbrief im Jahr 2017 gesagt: Das erlittene Unrecht „wiegt umso schwerer, als diese Kinder in gutem Glauben Priestern und kirchlichen Angestellten anvertraut wurden, die im Auftrag Christi, des Guten Hirten, den Zehn Geboten und dem Gebot der Nächstenliebe verpflichtet waren. Liebe Mitchristen, angesichts der obigen Schilderungen kann ich nur in Demut um Entschuldigung bitten. Als Bischof der Kirche von Regensburg bitte ich anstelle der Täter, von denen die meisten verstorben sind, um Vergebung und bitte, dass diese Entschuldigung von den Betroffenen angenommen werde“ (Hirtenbrief am 23. Juli 2017 zum Abschluss der Arbeit der Kommission zur Aufarbeitung der Fälle körperlicher Gewalt und sexuellen Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen). Vor allem durch die Veröffentlichung der MHG-Studie im Jahr 2018 hatte uns das Thema mit neuer Wucht eingeholt. Als Folge dessen wurde der „Synodale Weg“ ins Leben gerufen. Durch die Vermischung mit kirchenpolitischen Themen hat die Auseinandersetzung erheblich an Schärfe gewonnen. Diese Verkoppelung halte ich für das Grundproblem des „Synodalen Weges“. Dadurch wird sowohl das Anliegen der Aufarbeitung im Interesse der Betroffenen gefährdet wie auch das Bemühen um Erneuerung der Kirche belastet. Dies bestätigte auch der Präfekt der Bischofskongregation Marc Kardinal Ouellet bei unserem Ad-limina-Besuch in Rom.

Mit viel persönlichem Engagement haben Sie sich an die Aufarbeitung des Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen gemacht. Wie schmerzlich ist dieser Prozess für Sie gewesen, was hat Sie besonders betroffen gemacht?

Sehen Sie, ich bin selbst seit meiner Geburt in den Glauben und das Leben der Kirche hineingewachsen und kirchlich-katholisch sozialisiert worden. In meiner Familie habe ich den Glauben an Gott als die alles überragende geistige Realität kennengelernt, die zugleich das tragende Fundament unseres Lebens ist. In der Pfarrei, der Schule und im gesellschaftlichen Leben in München habe ich den kirchlichen Glauben in seiner Vielfalt und seinem Facettenreichtum kennengelernt. Natürlich waren mir, beispielsweise in meiner Bundeswehrzeit, auch die kritischen Anfragen und Anfeindungen nicht fremd geblieben. In meiner Zeit als Seminarist und danach als Priester mit unterschiedlichsten Einsatzorten war ich nie – ebenso wie zuvor – mit einem Fall von sexuellem Missbrauch oder körperlicher Gewalt durch einen Kleriker in Berührung gekommen. Und dann höre ich in den Gesprächen mit den Opfern davon, dass es kirchliche Orte gab, die für Kinder buchstäblich die Hölle auf Erden waren. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mich das sehr mitgenommen hat. Das Bild, das sich aus diesen Gesprächen für mich ergeben hatte, war zutiefst verstörend. Das kann ich nicht anders sagen.

Auch am Synodalen Weg haben Sie sich engagiert beteiligt und sich dafür wenig schmeichelhafte Bezeichnungen eingehandelt. Einige Ihrer Äußerungen im Forum wurden gar als „zynisch“ und „menschenverachtend“ bezeichnet. Wie sehr trifft Sie solche Kritik und wie gehen Sie damit um?

In einem politischen Prozess wird mit harten Bandagen gekämpft. Insofern hat mich das nicht überrascht. Ich muss allerdings zugeben, dass ich anfangs noch davon ausgegangen war, dass ein theologisches Ringen um Argumente im Rahmen des Synodalen Weges möglich wäre. Darauf hatte ich mich eingelassen und war auch gerne bereit, viel Arbeitszeit und -energie dafür zu investieren.

Bei seinen zahlreichen Pastoralbesuchen im Bistum Regensburg trifft Bischof Voderholzer viele Priester, Pastorale Mitarbeiter, Gläubige und auch die ganz kleinen Christen.

Zurück zu Ihrer Bischofsweihe im Dom: Damals nannte der Apostolische Nuntius Erzbischof Jean-Claude Périsset Ihre Aufgabe, die Werke Joseph Ratzingers/Papst Benedikt XVI. herauszubringen, „fast übermenschlich“. Nicht nur als Gründungsdirektor des Instituts Papst Benedikt XVI. haben Sie eine besondere Beziehung zu Joseph Ratzinger. Was bedeuten der emeritierte Papst und sein theologisches Werk für Sie?

Inspiriert von der Theologie Joseph Ratzingers bin ich seit meiner Abiturzeit, wo ich die „Einführung ins Christentum“ gelesen habe und verstanden habe, dass das zentrale Glaubensgeheimnis des Christentums die Dreifaltigkeit Gottes ist, das heißt: Gott ist von Ewigkeit her Liebe, in Gott gibt es das Wir, Gott ist Fülle von Beziehung. Seither habe ich alles, was ich von ihm bekommen konnte, zu lesen versucht. In den auch sprachlich schönen, bilderreichen, abwechslungsreich biblisch, philosophisch und dogmengeschichtlich argumentierenden Ausführungen Joseph Ratzingers bekam für mich die Antwort des Glaubens gleichsam Fleisch und Blut sowie ein Gesicht. Inhaltlich sehe ich drei wichtige Themenbereiche seiner Theologie: Erstens: Die Verwiesenheit von Glaube und Vernunft aufeinander. Vernunft ohne Glauben wird blind, das heißt, sie fesselt sich selbst und verschließt sich ihre größten Möglichkeiten. Glaube ohne Vernunft dagegen wird fanatisch und kann sich auch nicht mitteilen. Zweitens: Hinsichtlich des Verständnisses von Offenbarung hat Joseph Ratzinger schon im Vorfeld des Zweite Vatikanischen Konzils die Weichen gestellt für eine Versöhnung von Offenbarung und Geschichte. Die Bibel ist nicht selbst Offenbarung, sondern geschichtliches, vom Geist inspiriertes Zeugnis der Offenbarung. Drittens: Im Bereich der Lehre über die Kirche hat Joseph Ratzinger maßgeblich zur Wiederentdeckung der „Eucharistischen Ekklesiologie“ beigetragen. Nicht nur meiner Meinung nach wird Joseph Ratzinger in die Geschichte eingehen als einer der ganz großen Prediger. Vor einiger Zeit sagte mir ein amerikanischer Mitbruder: „In 100 Jahren wird man seine Texte im Brevier lesen.“ Ich antwortete: „Ja, so wie die Lesepredigten von Leo oder Gregor, den Großen.“

2014 haben Sie das Akademische Forum Albertus Magnus gegründet, 2016 das neue Ostkircheninstitut der Diözese und 2017 das Institutum Liturgicum Ratisbonense. Allgemein sind Ihnen Bildung und Wissenschaft offensichtlich ein Herzensanliegen.

Es kann in der Kirche nie zu viel Wissenschaft geben. Leider nicht nur im Volksmund hat sich ja das Vorurteil der Wissenschaftsfeindlichkeit des Glaubens und der Kirche verbreitet. Das Akademische Forum Albertus Magnus hat zur Aufgabe, zu zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Glaube und Wissenschaft befruchten sich gegenseitig, wenn beide ihre wesensmäßigen Grenzen beachten. Und es braucht Orte, an denen die vorhandenen Schätze gehoben und der Pastoral zur Verfügung gestellt werden. Solche Orte sind die von Ihnen genannten Institute ebenso wie das Institut Papst Benedikt XVI. Dabei ist Wissenschaft kein Elfenbeinturm, der dem alltäglichen Leben völlig entrückt wäre. Viele Publikationen unserer Institute beispielsweise dienen Verkündern und weiteren Multiplikatoren als Quelle, aus der sie schöpfen, um damit Menschen Nahrung für den Glauben im Alltag zu bieten.

Auch religiöse Kunst und religiöses Brauchtum sind Ihnen ein besonderes Anliegen. Welche Bedeutung messen Sie beiden Bereichen in der Glaubensvermittlung zu?

Ich mache bei meinen Krippenführungen immer wieder die Erfahrung, dass Menschen, denen man erklärt, welche tiefere Bedeutung Darstellungen haben, die sie schon oft gesehen, aber noch nie „dahinter geblickt“ haben, „Aha-Erlebnisse“ machen, die ihren Glauben stärken oder sie motivieren, mehr über ihren Glauben zu erfahren, um eben noch mehr solcher „Aha-Erlebnisse“ zu machen. Das ist aus meiner Sicht eine schöne Form der Neu-Evangelisierung, die die Freude am Glauben aufflammen lässt.

Diözesane Wallfahrten mit Gläubigen aus dem Heimatbistum gehören ebenfalls in das feste Programm des Bischofs. Hier in der Erscheinungsgrotte im französischen Lourdes.

„Hinein in das Bistum!“ lautet Ihr Motto, wenn es darum geht, den Gläubigen in vielfältiger Weise zu begegnen. Was ist Ihnen bei diesen Begegnungen besonders wichtig?

Ehrlichkeit. Ich will wissen, wo der Schuh drückt, will wissen, was los ist vor Ort, auch was gut läuft, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten, was die Menschen konkret bewegen und was sie bewegt. Die Begegnungen in den Pfarreien sind für mich von außerordentlich hoher Bedeutung. Alles, was wir „im Ordinariat“ machen, hat ja zum Ziel, den Menschen in den Pfarreien zu dienen. Natürlich weiß ich, dass bei einem Bischofsbesuch nicht der graue Alltag sichtbar wird, sondern dass alle sich bemühen, dem Bischof eine möglichst „heile Welt“ zu präsentieren. Aus vielen Gesprächen weiß ich aber auch um die Not der Pfarrer, die sich von Verwaltungsaufgaben erdrückt fühlen, und kenne den Schmerz über die Vergeblichkeit pastoraler Bemühungen. All dem will ich mich stellen und will versuchen, Lösungen und Unterstützung anzubieten.

In jüngster Zeit haben Sie sich in mehrtägigen Pastoralreisen in die neu gegliederten Dekanate aufgemacht und sehen das Bistum daher nicht nur im „Sonntagsgewand“. Wie beurteilen Sie aus Ihren Erfahrungen heraus den religiösen Grundwasserspiegel im Bistum?

Das ist immer eine Frage der Relation. Ich kann dazu nur sagen: Ich bin froh, hier in Regensburg Bischof sein zu dürfen.

Kirchenkrise, Ukrainekrieg, Corona-Pandemie, Energiekrise, Klimakrise ...: Angesichts der zahlreichen Krisen derzeit sprechen viele von einer Zeitenwende. Was lässt Sie auf eine Wende zum Guten hoffen?

Es gibt zu viele Menschen auf der Welt, deren Maßstab nicht die Welt, sondern Gott ist. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich auch innerweltlich das Gute immer wieder durchsetzt.
 

Anm. d. Red.: Das Interview wurde Anfang Dezember 2022 geführt.

Interview: Stefan Mohr, Katholische Sonntagszeitung, Fotos: Bischöfl. Pressestelle, Titelfoto: altrofoto



Nachrichten