LEONHARD – Patron der Gefangenen, Bauern und Tiere
Kunst – zumindest gute Kunst – ist immer mehrdeutig. Sie ist auf das Auge des Betrachters angewiesen. Ein gutes Kunstwerk hat nicht nur die eine, „richtige“ Deutung – sondern ist unzähligen Deutungen unzähliger Betrachter zugänglich. Eine solche Deutung hat auch die klassische Darstellung des heiligen Leonhard erlebt. Eigentlich ist Leonhard der Patron der Gefangenen. Als solcher hat er in den meisten Darstellungen eine zersprungene Gefangenenkette in der Hand – die irgendwann aber als Viehkette interpretiert wurde. So wurde Leonhard auch zum Patron des Viehs und damit automatisch der Bauern, die auf die Gesundheit ihrer Tiere angewiesen sind. Bis heute finden vielerorts – besonders in Altbayern – Leonhardiritte statt, bei deren Gelegenheit auch die Tiere gesegnet werden.
Der heilige Leonhard wurde in eine Zeit hineingeboren, in der schriftliche Überlieferungen Mangelware sind. Rund um das Jahr 500 nach Christus kam er zur Welt, die erste Lebensbeschreibung stammt aus dem 11. Jahrhundert. Doch viele Legenden, die ihrerseits schon eine lange Überlieferungsgeschichte haben, zeugen von seiner Bedeutung als Person und Persönlichkeit. Leonhard wurde am bischöflichen Hof des Remigius von Reims erzogen, von ihm ließ sich auch taufen. Als Kirchenmann muss er schon bald große Ausstrahlungskraft besessen haben, doch als man ihm die Bischofswürde anbot, lehnte er dankend ab und zog sich als Eremit zurück. Bald schon wandelte sich sein zurückgezogenes Leben, denn fromme und Gott suchende Menschen schlossen sich ihm an. Er gründete schließlich ein Kloster, und seine Brüder bestimmten ihn zum Abt.
Einsatz für Gefangene
Zeit seines Lebens kümmerte sich Leonhard um Gefangene. An seinem Kloster nahm er ehemalige Gefängnisinsassen auf und gab ihnen Arbeit – das vielleicht erste Rehabilitationsprogramm der Geschichte. Aber nicht nur freigelassene Gefangene fanden bei Leonhard Schutz: Beim König habe der heilige Leonhard immer wieder die Freilassung von Gefangenen erbeten und erreicht. Mehr noch: Auf sein Gebet habe es zahlreiche Gefangene gegeben, deren Fesseln abfielen – daher rührt auch die Darstellung des heiligen Leonhard, der zerbrochene Ketten in seinen Händen hält.
Abt Leonhard ging es um Menschen, die unverschuldet und ungerechterweise in Haft saßen, so wie wir das auch heute kennen: Immer wieder werden Menschen unterdrückt, zum Schweigen gebracht, eingesperrt. Ihr Patron ist der heilige Leonhard. Gleichzeitig gibt es auch „Gefangene“, die nicht zwangsläufig hinter Gittern sein müssen. Viele Menschen sind in schwierigen Lebenssituationen gefangen, in Abhängigkeiten und Süchten. Leonhard ist so auch für alle Christen eine Hoffnung darauf, dass es eine Erlösung aus beengenden und bedrängenden Labensumständen gibt. Für diejenigen, die innerlich und äußerlich frei sind, gab es das mahnende Vorbild, sich überall dort für Verbesserung und Befreiung einzusetzen, wo Menschen unterdrückt und verfolgt werden.
Text: Benedikt Bögle
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