Bild Blick auf sich selbst

Durch das Kirchenjahr

Blick auf sich selbst

  • 26.
    Oktober
    2035
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Durch das Kirchenjahr mit Benedikt

30. Sonntag im Jahreskreis C – Lukas 18,9-14

„In jener Zeit 9erzählte Jesus einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Gleichnis: 10Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11Der Pharisäer stellte sich hin und sprach bei sich dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. 12Ich faste zweimal in der Woche und gebe den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. 13Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Die meisterhafte Sprache Jesu erweist sich in diesem kurzen Gleichnis, in dem sich eine tiefe Kenntnis der Menschen spiegelt, die den Leser in die Mitte seines Herzens treffen will. Zwei Menschen kommen zum Gebet in den Tempel, deren Rollen – von Außen betrachtet – klar verteilt sind. Der Pharisäer ist eine anerkannte geistliche Autorität. Er hat sein Leben Gott und dem Studium der Heiligen Schriften gewidmet. Er wird nicht wenigen anderen Betern im Tempel als frommer und vielleicht sogar heiliger Mann erschienen sein. Auf der anderen Seite steht ein Zöllner, der in den Augen seiner Zeitgenossen sicher zurecht den letzten und hintersten Platz im Tempel eingenommen hat.

Doch Jesus vermag es, das Bild zu drehen. Nur weniger Sätze bedarf es, um zu zeigen, dass die Dinge ganz anders liegen. Der wahre fromme und sogar „gerechtfertigte“ Mann ist nicht der weise Gesetzeslehrer, sondern eben jener Zöllner, der mit den römischen Besatzern kooperiert und vielleicht auch zu hohe Steuern erhoben haben dürfte. Jesus erklärt, dass es nicht um den äußeren Eindruck geht, sondern um die innere Geisteshaltung. Vielleicht hat der Pharisäer sogar Recht – er ist kein Räuber, Betrüger, Ehebrecher. Er hält sich wirklich an die Gebote der Tora. Doch dahinter verschwimmt sein Bewusstsein dafür, wie alle anderen Menschen auch Fehler zu haben und deswegen auf die große Barmherzigkeit Gottes angewiesen zu sein. Eben umgekehrt liegt es beim Zöllner: Er ist sich seiner Schuld – die es, das scheint Jesus vorauszusetzen, auch wirklich gab – wohl bewusst. Er aber akzeptiert es, ganz auf Gottes Gnade verwiesen zu sein.

Daraus folgt eine erste Aussage dieses Gleichnis: Es kommt weder darauf an, welche äußere Gebetshaltung man einnimmt, noch was die anderen Menschen denken – es kommt auf das Herz an und auf den Ruf nach Barmherzigkeit. Gleichzeitig weist Jesus auf eine weitere Haltung des Pharisäers hin: Er kann sich selbst nur vor Gott stellen, indem er andere herabsetzt. Die Beschreibung seiner selbst ist eine rein negative Abgrenzung: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin“. So kann nur sprechen, wer im Anderen nicht auf das Gute schaut, sondern nur auf das Schlechte. So darf es bei den Christen nicht sein: Sie müssen sich immer den Blick dafür bewahren, dass jeder andere Mensch ein geliebtes Kind Gottes ist – mit Fehlern, aber auch mit so viel Gutem, das einen Blick verdient. Wer so auf seine Mitmenschen schaut, kann ehrlich sagen: „Gott, seit mir Sünder gnädig!“

 

Text: Benedikt Bögle

Titelbild: stock.adobe.com (c) hikrcn