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Zur Neuigkeit
Professor Paul Kirchhof im Interview
„Die christlichen Wurzeln hegen und pflegen“
Regensburg, 8. Juli 2025
Eine Verfassung kann noch so klug formuliert sein, ohne die Bürger, die die Inhalte der Gesetze in ihrem Leben umsetzen, wäre alles nur Theorie. Vor diesem Hintergrund spielt auch das Verhältnis zwischen Recht und Religion eine zentrale Rolle. Denn die Religion prägt den Bürger in seinen Wertvorstellungen. Was heißt das heute, wo die religiöse Bindung nachlässt? Das Bistum Regensburg führt am 10. und 11. Juli dazu eine Tagung durch, bei der Recht und Religion aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Den Auftaktvortrag hält Professor Paul Kirchhof. Die Tagespost hat ihn interviewt.
Herr Professor Kirchhof, um die christliche Prägung des Grundgesetzes zu verdeutlichen, verwenden Sie ein eindrückliches Bild. Die Verfassung ist danach ein Baum, der verschiedene Wurzeln hat. Und eine dieser Wurzeln ist das Christentum. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass sich selbst dann, wenn die Zahl der Christen in Deutschland abnehmen sollte, christliche Werte in der Gesellschaft widerspiegeln? Gibt es also eine Gewissheit, dass das Christentum die Gesellschaft weiter prägen wird?
Diese Gewissheit gibt es nicht. Mit Blick auf das Baum-Bild heißt das: Die Verfassung kann nur gedeihen, wenn diese Wurzeln nicht verdorren. Zu diesen Wurzeln zählt neben der Aufklärung auch das Christentum. In diesem Zusammenhang wird oft der Satz meines Kollegen Ernst-Wolfgang Böckenförde zitiert: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieser Aussage stimme ich zu. Ich gehe aber über Böckenförde hinaus: Wir sind verpflichtet, diese Voraussetzungen für unser Gemeinwesen zu schaffen. Oder, um in dem Baum-Bild zu bleiben: Wir müssen die Wurzeln hegen und pflegen.
Welche Aufgabe kommt dabei dem Staat zu?
Der freiheitliche Staat hat den Auftrag, den Rahmen dafür zu schaffen, dass die Bedingungen für die Hege und Pflege dieser Voraussetzungen möglichst gut sind. Er sorgt dafür, dass es Schulen, Universitäten, aber auch Opernhäuser gibt. Er garantiert den Religionsunterricht, schützt die Feiertage, bietet den Kirchen den Körperschaftsstatus an. Der Staat hat hohe Erwartungen an die christlichen Kirchen, aber auch an andere Religionsgemeinschaften. Der rechtlich gewährleistete Freiraum für Religion und Kirchlichkeit muss beherzt genutzt werden.
Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, dass im Grundgesetz Gott angerufen wird?
Gott ist der Gott, nach dem die Menschen – jeder nach seiner Tradition, seinen Riten, seinen Formen – suchen. Die Verfassung wird nicht im Namen Gottes erlassen, sondern in Verantwortung vor Gott. Es bildet sich hier eine Verantwortungsgemeinschaft, deren Antwort von Gott entgegengenommen wird. Dieser Gottesbegriff ist beim Entstehen des Grundgesetzes ersichtlich durch die christliche Kultur geprägt. Aber der durch diese Verfassung entstehende religiös-weltanschaulich neutrale Staat bietet auch Angehörigen anderer Religionen, auch Agnostikern und Atheisten, Frieden und Freiheit. Ein christlicher Gelehrter aus dem 16. jahrhundert, Nicolaus Cusanus, hat den Begriff der „Coincidentia oppositorum“, also des „Zusammenfallens der Gegensätze“ geprägt. Auch unsere Verfassungsordnung führt jedenfalls die großen monotheistischen Religionen zusammen. Es gibt sicherlich Unterschiede, beispielsweise im Frauen- oder im Familienbild, in der hierarchischen Struktur. Aber uns Christen verbindet mit den Muslimen und den Juden die Suche nach dem einen Gott. Diese Suche hat unterschiedliche Traditionen und Formen.
Aber gerade bei Christen und Juden gibt es einen zentralen, verbindenden Aspekt…
Das gemeinsam Verbindende ist die Verantwortung vor diesem einen Gott. Damit zeigt sich ein Kernpunkt unseres freiheitlichen Staates: Der Mensch ist frei, weil er sein Leben selbstbestimmt gestaltet. Der Staat erwartet aber von ihm, dass er sich durch Gewissensanstrengung sittliche Standards setzt, nach diesen Maßstäben handelt und dem Nächsten begegnet. Diese Idee von Freiheit entspricht auch dem christlichen Menschenbild. Nur wer frei ist, kann verantwortlich sein. Nur wer frei ist, kann schuldig werden. Nur wer frei ist, kann erlöst werden.
Wie wirkt sich das auf Alltagsleben aus?
Diese Vorstellung ist grundlegend für den Bürger-Typus, den sich dieser Staat wünscht. Es ist ein Bürger, dem er vertraut. Er vertraut auf seine Ehrbarkeit und seinen Anstand. Wenn alle Bürger nach diesen Maßstäben ihr Leben selbst gestalten, ihre Freiheit also als Freiheitsrecht verstehen, das auf den anderen und die Gemeinschaft abgestimmt ist, entsteht Gemeinwohl. Dabei ist zwischen Bürger- und Menschen rechten zu unterschieden.
Inwiefern?
Menschenrechte sind die Rechte, die jedem Menschen zukommen. Bürger leitet sich hingegen von der „Burg“ ab. Bürgerrechte sind gemeinschaftsverantwortliche Rechte, die für die Bewohner einer Burg gelten. Die Bewohner haben die Burg zu verteidigen, müssen wehrfähig sein. Sie wahren untereinander den Burgfrieden. Sie achten darauf, dass das Wasser in der Burg sauber bleibt. Jede Burg folgt diesen Prinzipien, entwickelt aber Unterschiede in Kultur und Lebensstil. Diese Einheit in Vielfalt kann man auf die europäischen Staatsvölker — „Nationen“ — übertragen. Diese Staatsvölker, die sich in den Vereinten Nationen zur Friedlichkeit verpflichten, haben in der Europäischen Union eine wirtschaftliche und politische Gemeinschaft gegründet, bewahren dabei aber ihre Eigenheit als Franzosen, Italiener, Polen oder Deutsche. Freiheit braucht auch Unterschiede in Region und örtlicher Gebundenheit.
Sie haben deutlich gemacht, dass sich der Kirche ein großer Freiraum bietet. Nimmt sie den wirklich wahr?
Reale Freiheit hängt vom Bildungssystem ab: Nur wer den Ball zu spielen gelernt hat, hat die reale Freiheit zum Mannschaftssport. Nur wer ein Musikinstrument eingeübt hat, kann sich am Orchester beteiligen. Nur wer mit seinen Eltern zusammen gebetet hat, kommt der Gottesbegegnung näher. Der Religionsunterricht ergänzt und vertieft diese Erfahrung. Er sollte vor allem existenzielle Fragen behandeln – das Denken über die eigene Existenz hinaus, das Geheimnis Gottes und seine Sichtbarkeit in Gleichnissen.
Text: Tagespost
(sig)



