Marienstatutue im Gegenlicht

Prof. Kreiml über die Marienverehrung Papst Johannes Pauls II.

Maria im Leben der pilgernden Kirche


Regensburg, 1. Oktober 2025

Der Monat Oktober gilt traditionell als der Rosenkranzmonat. Am 16. Oktober 2002, dem 24. Jahrestag seiner Wahl zum Papst, hat Johannes Paul II. sein Apostolisches Schreiben „Rosarium Virginis Mariae“ („Der Rosenkranz der Jungfrau Maria“) veröffentlicht. Der 2014 heiliggesprochene Papst aus Polen, dessen liturgischer Gedenktag der 22. Oktober ist, war ein großer Marienverehrer. Seine tiefe Verehrung der Gottesmutter kommt in seinem auf Maria bezogenen päpstlichen Wappenspruch „Totus Tuus“ („Ganz Dein“) überdeutlich zum Ausdruck. Die theologischen Grundlagen seiner Marienverehrung hat Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Redemptoris Mater“ über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche (1987) entfaltet.

Maria, der wahre „Morgenstern“ 

Papst Johannes Paul II. weist in seinem Lehrschreiben „Redemptoris Mater“ („Die Mutter des Erlösers“) vom 25. März 1987 darauf hin, dass Maria begonnen hat, in der „Nacht“ der adventlichen Erwartung Christi als wahrer „Morgenstern“ (Stella matutina) zu leuchten (vgl. Redemptoris Mater [=RM], Nr. 3). Maria ist dem Kommen des Erlösers, der „Sonne der Gerechtigkeit“ in der Geschichte des Menschengeschlechts, vorausgegangen. Wenn es stimmt, dass „sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt“ – wie das Zweite Vatikanische Konzil („Gaudium et spes“, Nr. 22) gelehrt hat –, dann muss man „dieses Prinzip in ganz besonderer Weise auf jene außergewöhnliche `Tochter des Menschengeschlechtes´ anwenden, auf jene außerordentliche `Frau´, die die Mutter Christi wurde“ (RM, Nr. 4). Durch das Geheimnis Christi leuchtet „am Horizont des Glaubens der Kirche das Geheimnis seiner Mutter voll auf“ (ebd.). 

Das innerste Geheimnis der Kirche 

In seiner Enzyklika verweist Johannes Paul II. auf den „Pilgerweg des Glaubens“, den die selige Jungfrau gegangen ist. Sie hat auf diesem Pilgerweg „ihre Verbundenheit mit Christus in Treue bewahrt“ (Zweites Vatikanisches Konzil, „Lumen gentium“, Nr. 58). Dadurch erhält jenes „doppelte Band“, das Maria mit Christus und der Kirche verbindet, „eine gesamtgeschichtliche Bedeutung“ (RM, Nr. 5). Es geht hierbei um die Geschichte des gesamten Gottesvolkes, um die Geschichte aller, die am selben Pilgerweg des Glaubens teilnehmen. Das „Vorangehen“ Marias als Typus bzw. Modell der Kirche bezieht sich auf das innerste Geheimnis der Kirche, „die ihre eigene Heilssendung verwirklicht und vollzieht, indem sie in sich – wie Maria – die Eigenschaften der Mutter und der Jungfrau vereinigt“ (ebd.). Die Kirche ist Jungfrau, weil sie „das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt“. Sie wird „auch selbst Mutter, weil sie … die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zu neuem und unsterblichem Leben gebiert“ („Lumen gentium“, Nr. 64). Marias außergewöhnlicher Pilgerweg des Glaubens stellt einen „bleibenden Bezugspunkt dar für die Kirche, für die einzelnen und für die Gemeinschaften, für die Völker und Nationen und in gewissem Sinne für die ganze Menschheit“ (RM, Nr. 6). In der Gnadenordnung, die sich unter dem Wirken des Heiligen Geistes vollzieht, gibt es eine „einzigartige Entsprechung“ zwischen dem Augenblick der Menschwerdung Christi und jenem der Geburt der Kirche. Maria vereinigt – in Nazaret und im Abendmahlssaal von Jerusalem – „beide Momente“ (vgl. RM, Nr. 24). 

Maria als Mittlerin und Fürsprecherin 

Im ersten Teil seiner Enzyklika entfaltet Papst Johannes Paul II. verschiedene Aspekte zum Thema „Maria im Geheimnis Christi“ (Nr. 7-24): Der Glaube Marias kann mit dem Glauben Abrahams verglichen werden, den Paulus „unseren Vater im Glauben“ nennt (vgl. Röm 4,12). In der Heilsgeschichte der Offenbarung bildet der Glaube Abrahams „den Anfang des Alten Bundes. Der Glaube Marias bei der Verkündigung eröffnet den Neuen Bund“ (RM, Nr. 14). Die Gottesmutter stellt sich zwischen ihren Sohn und die Menschen in der Situation ihrer Entbehrungen, Bedürfnisse und Leiden. Sie stellt sich „dazwischen“, d. h. sie macht die Mittlerin … in ihrer Stellung als Mutter, und sie ist sich bewusst, dass sie als solche dem Sohn die Nöte der Menschen vortragen kann“ (RM, Nr. 21) Ihre Vermittlung hat den Charakter einer Fürsprache. Als Mutter möchte sie auch, „dass sich die messianische Macht des Sohnes offenbart, nämlich seine erlösende Kraft, die darauf gerichtet ist, dem Menschen im Unglück zu Hilfe zu eilen, ihn vom Bösen zu befreien, das in verschiedenen Formen und Maßen auf seinem Leben lastet“ (ebd.). Das Geschehen in Kana ist gleichsam ein „erstes Aufleuchten der Mittlerschaft Marias“, die ganz auf Christus und die Offenbarung seiner Heilsmacht ausgerichtet ist (vgl. RM, Nr. 22). 

Maria als Vorbild im Glauben 

Der zweite Teil von „Redemptoris Mater“ (Nr. 25-37) enthält Überlegungen zum Thema „Die Gottesmutter inmitten der pilgernden Kirche“: Johannes Paul II. betont, dass der wesentliche Charakter des Pilgerweges der Kirche „innerlich“ ist. Es handelt sich um einen „Pilgerweg im Glauben“. Auf diesem Pilgerweg durch Raum und Zeit und noch mehr in der „Geschichte der Seelen“ ist Maria zugegen als diejenige, die den Glaubensweg geht, indem sie „wie kein anderer Mensch am Geheimnis Christi teilnimmt“ (vgl. RM, Nr. 25). Der heroische Glaube Marias, der den Beginn des neuen und ewigen Bundes Gottes mit der Menschheit in Jesus Christus anzeigt, „`geht´ dem apostolischen Zeugnis der Kirche `voran´ und bleibt im Herzen der Kirche zugegen, verborgen als ein besonderes Erbe der Offenbarung Gottes“ (RM, Nr. 27). Alle, die von Generation zu Generation das apostolische Zeugnis der Kirche annehmen, nehmen teil am Glauben Marias. Alle, die das Geheimnis Christi gläubig aufnehmen, suchen im Glaubensvorbild Marias „Kraft für den eigenen Glauben“ (ebd.). 

Stärkung durch die Begegnung mit Maria 

Die Gegenwart der Gottesmutter findet in der Kirche vielfältige Ausdrucksformen. Sie hat auch einen vielseitigen Wirkungsbereich: durch den Glauben und die Frömmigkeit der einzelnen Gläubigen, durch die Traditionen der christlichen Familien bzw. „Hauskirchen“, der Pfarr- und Missionsgemeinden, der Ordensgemeinschaften, der Diözesen, durch die ausstrahlende Kraft der großen Heiligtümer, in denen bisweilen ganze Nationen und Kontinente die Begegnung mit der Mutter des Herrn suchen. Der Papst erwähnt in diesem Zusammenhang verschiedene Orte: die „Erde Palästinas“, die geistige Heimat aller Christen, so viele Kirchen auf dem ganzen Erdkreis, Guadalupe, Lourdes, Fatima und Tschenstochau. Man kann sogar von einer eigenen „Geographie“ des Glaubens und der marianischen Frömmigkeit sprechen, die alle diese Orte einer besonderen Pilgerschaft des Gottesvolkes umfasst. Die Glaubenden suchen die Begegnung mit Maria, um im Bereich ihrer mütterlichen Gegenwart die Stärkung des eigenen Glaubens zu erfahren (vgl. RM, Nr. 28). 

Die Einheit im Glauben suchen 

Johannes Paul II. unterstreicht auch die Bedeutung der Gottesmutter im Zusammenhang der ökumenischen Bewegung: Die Christen sollen in sich selbst und in jeder ihrer Gemeinschaften jenen Glaubensgehorsam vertiefen, „für den Maria das erste und leuchtendste Beispiel ist“ (RM, Nr. 29). Ihre Einheit können die Christen nur dann wahrhaft wiederfinden, wenn sie diese „auf die Einheit ihres Glaubens gründen“ (RM, Nr. 30). Mit Berufung auf das Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“ (Nr. 20) des Zweiten Vatikanischen Konzils weist der Papst auch darauf hin, dass die Christen dabei „keine geringen Unterschiede in der Lehre vom Geheimnis und vom Dienstamt der Kirche sowie manchmal auch von der Aufgabe Marias im Heilswerk zu überwinden“ (RM, Nr. 30) haben. Johannes Paul II. betrachtet es aber als „gutes Vorzeichen“, dass die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften „in grundlegenden Punkten des christlichen Glaubens, auch was die Jungfrau Maria betrifft, mit der katholischen Kirche übereinstimmen“ (ebd.). 

Die Bilder der Gottesmutter 

Inzwischen sind – so Papst Johannes Paul II. – 1200 Jahre vergangen, seit auf dem Zweiten Ökumenischen Konzil von Nizäa (787) definiert wurde, dass man nach der Lehre der Väter und der Tradition der Kirche zusammen mit dem heiligen Kreuz auch die Bilder der Gottesmutter, der Engel und der Heiligen in den Kirchen und Häusern sowie an den Straßen den Gläubigen zur Verehrung anbieten dürfe. Dieser Brauch wurde im Osten und im Westen beibehalten. „Die Bilder der Jungfrau Maria haben in den Kirchen und Häusern einen Ehrenplatz. Maria ist dort dargestellt als Thron Gottes, der den Herrn trägt und ihn den Menschen schenkt …, oder als Weg, der zu Christus führt und auf ihn hinweist …, oder als Betende in fürbittender Haltung und als Zeichen der Gegenwart Gottes auf dem Pilgerweg der Gläubigen bis zum Tag des Herrn … oder als Schirmherrin, die ihren Mantel über die Völker breitet …, oder als barmherzige und mitfühlende Jungfrau … Gewöhnlich ist sie zusammen mit ihrem Sohn dargestellt, mit dem Jesuskind auf dem Arm“ (RM, Nr. 33). 

Marias Hingabe an Gott 

Im dritten Teil seiner Enzyklika (Nr. 38-50) denkt Johannes Paul II. über Marias „mütterliche Vermittlung“ nach: Das Zweite Vatikanum stellt die Wahrheit von der Mittlerschaft Marias dar als „Teilhabe an der einzigen Mittlerschaft Christi selbst“ (vgl. RM, Nr. 38). Marias Zustimmung zur Mutterschaft ist vor allem eine Frucht ihrer „vollen Hingabe an Gott in der Jungfräulichkeit“. Die junge Frau aus Nazaret hat die Erwählung zur Mutter des Sohnes Gottes angenommen, „weil sie von bräutlicher Liebe geleitet war, die eine menschliche Person voll und ganz Gott `weiht´. Aus der Kraft dieser Liebe wollte Maria immer und in allem `gottgeweiht´ sein, indem sie jungfräulich lebte“ (RM, Nr. 39). Maria ist nicht nur die Mutter und Ernährerin des Menschensohnes, sondern auch die „ganz einzigartige hochherzige Gefährtin“ („Lumen gentium“, Nr. 61) des Messias und Erlösers. 

Papst Paul VI. über Maria 

Papst Paul VI. hat – so Johannes Paul II. – während des Konzils feierlich erklärt, dass Maria „die Mutter der Kirche“, d. h. „Mutter des ganzen christlichen Volkes“ (Ansprache vom 21. November 1964) ist. Im Jahr 1968 hat derselbe Papst im Glaubensbekenntnis, das unter dem Namen „Credo des Gottesvolkes“ bekannt ist, diese Aussage mit folgenden Worten bekräftigt: „Wir glauben, dass die heiligste Gottesmutter, die neue Eva, Mutter der Kirche, für die Glieder Christi ihre mütterliche Aufgabe im Himmel fortsetzt, indem sie bei der Geburt und Erziehung des göttlichen Lebens in den Seelen der Erlösten mitwirkt“ (Feierliches Glaubensbekenntnis vom 30. Juni 1968). Das Zweite Vatikanische Konzil betont, dass die Wahrheit über die Mutter Christi eine wirksame Hilfe zur Vertiefung der Wahrheit über die Kirche darstellt. Die Mutter der Kirche ist auch Vorbild für die Gläubigen. Von der Jungfrau und Gottesmutter soll die Kirche „die reinste Form der vollkommenen Christusnachfolge übernehmen“ (Paul VI., Ansprache vom 21. November 1964). 

Maria und die Menschheit 

Abschließend erläutert Papst Johannes Paul II. die Absicht, die er mit der Veröffentlichung seiner Enzyklika verfolgt: Die besondere Verbindung der Menschheit mit Maria hat ihn veranlasst, gegen Ende des zweiten Jahrtausends ein „Marianisches Jahr“, das mit dem Pfingstfest 1987 begonnen hat und am 15. August 1988 abgeschlossen wurde, auszurufen. Dieses „Marianische Jahr“ sollte dazu dienen, all das „vertieft zu bedenken“, was das Zweite Vatikanische Konzil über Maria im Geheimnis Christi und der Kirche gesagt hat. Dabei geht es nicht nur um die Glaubenslehre, sondern auch um das Glaubensleben und folglich um die echte marianische Spiritualität und die entsprechende Marienverehrung. Johannes Paul II. erinnert in diesem Zusammenhang auch an den hl. Ludwig Maria Grignion de Montfort (1673-1716), „der den Christen die Weihe an Christus durch die Hände Marias als wirksames Mittel empfahl, um die Taufverpflichtungen treu zu leben“ (RM, Nr. 48; vgl. auch Josef Spindelböck, „Per Mariam ad Jesum!“ Die vollkommene Hingabe an Jesus Christus durch Maria nach dem hl. Ludwig Maria Grignion de Montfort, in: Josef Kreiml / Sigmund Bonk [Hg.], 100 Jahre Botschaft von Fatima, Regensburg 2017, S. 174-186 und J. Kreiml, Maria verehren im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Päpste, Regensburg 2019). 

 

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Vorsitzender des Institutum Marianum Regensburg

(kw)



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