Schwarzweißfoto von Anna Schäffer, im Bett liegend

Prof. Kreiml über den geistlichen Weg von Anna Schäffer

Im Leiden Jesus begegnen


Regensburg, 25. Juli 2025

Am 5. Oktober begeht die Kirche den Gedenktag der heiligen Anna Schäffer, die 1882 in Mindelstetten (Landkreis Eichstätt) geboren wurde. Heuer jährt sich der Todestag von Anna Schäffer, die am 21. Oktober 2012 von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen wurde, zum hundertsten Mal. Nach langem Leiden ist sie am 5. Oktober 1925 in Mindelstetten gestorben. Jedes Jahr wird am 26. Juli, dem Gedenktag der heiligen Anna, der Mutter der Jungfrau und Gottesmutter Maria, und dem Namenstag der heiligen Anna Schäffer, in Mindelstetten ein großer Anna-Schäffer-Gebetstag begangen. Am kommenden 26. Juli feiert Bischof Dr. Rudolf Voderholzer mit den Gläubigen einen Pontifikalgottesdienst. Dabei wird der Bischof die Anna Schäffer Kirche in Mindelstetten offiziell zum „Diözesanheiligtum der heiligen Anna Schäffer“ (Sanctuarium Dioezesanum) erheben. 

Das Geheimnis des Kreuzes 

Anna Schäffer war eine Frau aus dem einfachen Volk; ihr Schicksal war menschlich tragisch. Doch sie hat in ihrer beengten Situation geistliche Erfahrungen gemacht, die ihren Blick geweitet haben. Behinderung und Leid haben sie zu geistlichem Wachstum geführt. Der Blick einer Frau, deren Lebenspläne zerstört waren, entdeckte einen großen Plan, in dem sie einen wichtigen Platz einnahm. Anna Schäffer kann anderen zeigen, was sie für sich selbst gefunden hat: Auch wenn ich im üblichen Sinne nichts mehr „leisten“ kann, ist mein Leben dennoch wertvoll. Auch wenn ich auf Hilfe angewiesen bin, habe ich etwas zu geben. Meine Behinderung, meine Schmerzen, meine Leiden können zu einer Quelle des Glaubens und der Liebe werden. Das Mysterium des Kreuzes steht – so Papst Benedikt XVI. – „nicht einfach uns gegenüber, sondern bezieht uns mit ein und gibt unserem eigenen Leben einen neuen Rang“ (Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg 2011, S. 260). Im Mittelpunkt des apostolischen Dienstes und der zum Glauben führenden Verkündigung des Evangeliums muss „das Hineintreten in das Geheimnis des Kreuzes stehen“ (ebd., S. 262). 

Die verwandelnde Kraft der Gnade 

Anna Schäffer ist zur Ehre der Altäre erhoben worden. Sie wird uns als ein Mensch vor Augen gestellt, an dem die Gnade Gottes ganz und gar wirksam geworden ist (vgl. zum Folgenden Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, Gott ist es, der uns heilig macht. Predigt zum Anna-Schäffer-Gebetstag am 26. Juli 2012 in Mindelstetten, in: Heilige Anna Schäffer von Mindelstetten/Bayern, Brief 62 / Juni 2013, S. 19-27). Wie ist es möglich, dass ein Mensch sein Leben ganz von Gott durchdringen lässt und so sein Denken, Wollen und Handeln, sein ganzes Lebensgeschick aus der Hand Gottes annimmt? Gott macht uns Menschen heilig. Schon in der Taufe wirkt er in uns, so dass wir von unseren persönlichen Sünden und von der Sünde Adams befreit werden und in ein neues Verhältnis der Heiligkeit und Gerechtigkeit zu Gott eintreten. Die Taufe ist aber nur der Anfang unseres Lebens mit Gott. Der Weg der Nachfolge Christi ist oft beschwerlich. Es besteht die Gefahr, dass wir auf dem Weg stehen bleiben und die innere Entwicklung unseres Lebens mit Gott stagniert. So wäre unser Leben eine nicht eingelöste Gabe und Gnade von Gott her. Der Mensch kann in der Gnade Gottes sein ganzes Lebensgeschick auch innerlich annehmen. Indem er sich Jesus Christus, dem gekreuzigten, leidenden, für uns sterbenden und auferstandenen Herrn ganz gleichgestalten lässt, wird er befähigt, selbst die Leiden und Mühen des Lebens in einer guten Gesinnung anzunehmen und zu ertragen, so dass auch der Leib Christi in dieser Zeit in rechter Weise aufgebaut wird (vgl. Kol 1,24: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“).

In der Nachfolge Christi

Das bedeutet nicht, Christus habe nicht genug gelitten; vielmehr will das, was Christus als Haupt des Leibes für uns getan hat und was er für uns – die Glieder seines Leibes – bedeutet, auch in der Kirche wirksam werden. Daher liegt es an uns, in voller Freiheit in der Nachfolge Jesu Christi unseren Lebensweg zu gehen. Von Gott begnadet sein bedeutet nicht, dass unsere persönliche Mitwirkung nicht erforderlich wäre. Vielmehr sollen wir mithilfe der Gnade Gottes unseren Beitrag leisten, dass Gottes Reich in unserer Zeit aufgebaut wird. Es ist wichtig, unseren Glauben nicht nur allgemein zu kennen, sondern „im Hinblick auf bestimmte Menschen zu erkennen, welch verwandelnde, erhebende und vollendende Kraft die Gnade Gottes hat“ (ebd., S. 21). Diese Kraft der Gnade Gottes sehen wir an einem einfachen Menschen – an Anna Schäffer. Manche Heilige haben Großartiges für die Kirche geleistet: etwa auf dem Gebiet der theologischen Wissenschaft der hl. Augustinus, der hl. Thomas von Aquin oder der hl. John Henry Newman. Sie haben unter den Bedingungen ihrer je eigenen Zeit den christlichen Glauben brillant durchdrungen und uns von seiner inneren Vernünftigkeit her dargestellt. Oder wir denken an die großen Ordensreformer und Ordensgründer: den hl. Franziskus, die hl. Theresia von Avila. Sie gehören zu den bekannten Heiligengestalten, die Großes geleistet haben und durch ihr Wirken die Kirche zum Leuchten bringen. Durch ihr Leben wird sichtbar, was Kirche von Gott her bedeutet. Sie ist keine von Menschenhand gemachte Organisation. Sie ist vielmehr der Leib Christi, der aufgebaut wird durch die vielen Gaben und Charismen, die der Heilige Geist seiner Kirche schenkt. 

Gebet und Fürbitte 

Anna Schäffer leuchtet durch keine so besondere Begabung oder Leistung hervor; sie war ein ganz einfacher Mensch. Wir wissen aber, welch furchtbares Schicksal sie erlitten hat. Da ihr medizinisch niemand helfen konnte, musste sie bis zu ihrem Tod – 25 Jahre später – furchtbare Schmerzen erleiden und in schrecklicher Armut leben. Jeder Mensch würde in einer solchen Situation – für uns alle wohl verständlich – mit Gott und seinem Schicksal hadern. Anna Schäffer aber war „für die Gnade Gottes innerlich so aufgeschlossen, dass ihre Haltung zu einem Gebet, zu einer Fürbitte wird“ (ebd., S. 22). 

Immer auf Christus schauen 

Wir alle kennen Menschen, die von schweren Schicksalsschlägen heimgesucht werden. Alle diese Menschen können sich an Anna Schäffer orientieren. Deshalb kann sie in der Tat als eine Volksheilige bezeichnet werden. Jeder von uns kann sich in irgendeiner Weise mit ihr identifizieren. Schließlich sind wir alle von Schicksalsschlägen bedroht und müssen am Ende einmal sterben. Die Begrenztheit menschlicher Existenz macht uns darauf aufmerksam, dass der letzte, tiefste Sinn menschlichen Lebens nicht in Gesundheit und Jugend, in Reichtum und Lebensgenuss bestehen kann. All das vergeht. Anna Schäffer zeigt uns, worauf es wirklich ankommt – nämlich in allen Situationen unseres Lebens auf Christus zu schauen. Er hat unser Leiden getragen und an sich selber erlitten: in Geißelung, Dornenkrönung, Kreuztragen, Kreuzigung, aber auch im Verraten-, Verspottet- und Verkanntwerden seiner Sendung. Er, der gekommen war, um das Reich Gottes zu den Menschen zu bringen, wird zurückgewiesen bis auf den heutigen Tag. Diese leiblichen, aber auch die inneren geistigen Leiden Jesu wollen uns Orientierung dafür sein, dass wir in Freud und Leid des irdischen Lebens den Blick immer offenhalten müssen auf die Ewigkeit hin, für die wir bestimmt sind. Kein Mensch kann von sich sagen, dass sein Leben sinnlos oder vertan wäre und er an einem Punkt angekommen ist, an dem es für ihn keine Hoffnung mehr gäbe. Der gekreuzigte und auferstandene Herr schenkt uns Mut für unser Leben. Wer die Kirche erneuern will, „muss im Glauben ganz tief, in der Hoffnung fest und in der Liebe zu Gott und zum Nächsten brennend werden“ (ebd., S. 25). Gott schenkt uns die Heiligen, die die Macht seiner Gnade, die uns Menschen verwandelt und erneuert, sichtbar machen. Das ist das wichtigste Vermächtnis der hl. Anna Schäffer, dass sie mitten im Leid auf Christus geschaut hat, der gegenwärtig ist im allerheiligsten Sakrament des Altares (vgl. Ludwig Mödl, Auch Leid und Schmerz können mit Sinn erfüllt werden. Predigt zum Anna-Schäffer-Gebetstag am 26. Juli 2012 in Mindelstetten, in: Heilige Anna Schäffer von Mindelstetten/Bayern, Brief 62 / Juni 2013, S. 10-14).

Anna Schäffers „Gedanken und Erinnerungen“ 

In ihren Aufzeichnungen „Gedanken und Erinnerungen meines Krankenlebens und meine Sehnsucht nach der ewigen Heimat“ (herausgegeben von Georg Franz X. Schwager, Regensburg 2012) öffnet Anna Schäffer ihr Herz und gibt Einblicke in ihr reiches Innenleben. „Es wurde geformt vom Kreuz Jesu Christi und war gespeist aus dem göttlichen Sakrament der heiligsten Eucharistie“ (Georg Franz X. Schwager, Einführung, in: Anna Schäffer, Gedanken und Erinnerungen, S. 7). Annas Aufzeichnungen haben an vielen Stellen die Form eines Gebetes, eines vertrauten Sprechens mit Christus. Die Niederschriften erfolgten in den Jahren zwischen 1922 und 1925. Anna Schäffers Gesundheitszustand hat sich seit 1923 rapide verschlechtert. „Sie wurde in ihren letzten Lebensjahren von unermesslichen Schmerzen am ganzen Körper … heimgesucht“ (Schwager, Einführung, S. 9). In ihrem jahrzehntelangen Leiden und in ihrer Armut ist sie gleichsam mit Christus gekreuzigt worden. Er wurde aber auch immer mehr ihr Leben. 

Eine tiefe Liebe zum eucharistischen Herrn 

Anna Schäffer hat in einem 26-seitigen Schulschreibheft kleine Einträge – nach Art eines geistlichen Tagebuches – niedergeschrieben. Folgende Aussagen geben in anschaulicher und authentischer Weise Einblicke in die Zwiesprache der Verfasserin mit Gott. Anna Schäffer notiert: „Unter dem Schatten des Kreuzes und in der strahlenden Liebesglut vor dem Tabernakel will ich die Tage meines Leidens verbringen“ (Gedanken und Erinnerungen, S. 17). Oft hat Anna Schäffer unter schlaflosen Nächten gelitten: „O mein Herr und Heiland, wenn Du mir manchmal für ein paar Stunden Schlaf schenkst, so ziehe auch unterdessen mein Herz zu Dir, so dass ich auch im Schlafe in Deiner Nähe weile“ (ebd., S. 18). Anna Schäffers tiefe Liebe zum eucharistischen Herrn kommt in folgenden Worten zum Ausdruck: „Vereint mit Jesus ... bin ich allzeit glücklich. Und wenn auch die Schmerzen meinen Leib durchwühlen, so fühle ich im Herzen doch eine solche Seligkeit, die ich nie auszusprechen vermag“ (ebd., S. 19). Anna Schäffer ist bemüht, ihr Leben ganz am Willen Gottes auszurichten: „Der Wille des Herrn genügt mir … Diese Vereinigung in den Willen Gottes lässt mich in allem erkennen, dass das Leiden meine Erziehung für den Himmel ist“ (ebd., S. 20). Alles soll von der Liebe zu Christus bestimmt sein: „O Jesus, es schlage mein Herz nur aus Liebe zu Dir. Die ganze Aufgabe meines Lebens soll und muss sein: Liebe für Liebe – Dem lieben Heiland gegenüber. O liebster Jesus, Du willst, dass ich nur das liebe, was Du selber bist und Du selber liebst“ (ebd., S. 21). 

Dank und Anbetung Gottes 

Ihr ganzes Leben soll – so Anna Schäffer – vom Dank und von der Anbetung Gottes geprägt sein: „Ich danke täglich dem lieben Gott, dass er mir den Verstand geschenkt und erhalten hat, dass ich Ihm doch danken kann für alle Gnaden und Leiden. Jeder Atemzug soll eine Anbetung des Dankes und der Liebe sein und möchte auch jede Minute gut nützen, dazu finde ich besonders in den vielen schlaflosen Nächten großen Trost im betrachtenden Gebet, wo ich dann im Geiste vor dem heiligsten Sakrament verweile. O wie vieles kann ich da immer dem lieben Heiland sagen und Ihn trösten … und da ist es wieder der heilige Rosenkranz, den ich sehr zu beten liebe ... Ich habe den Rosenkranz, als treuen Begleiter, die ganze Nacht in meinen Händen ... Und so ist mir der Rosenkranz stets ein treuer Freund am Krankenbett; er lehrt mich, Jesu Leben, Leiden, Sterben und Seine Herrlichkeit zu schauen und zu betrachten. Er ist mir die beste Vorbereitung auf die heilige Kommunion; er ist mein Tröster … in Trübsalen; er ist mein Wegweiser in die ewige Heimat“ (ebd., S. 24). 

Beten in der Sprache des Herzens 

Die Heilige aus Mindelstetten wünscht sich, dass sie in der „Sprache des Herzens“ beten kann: „Zur Vorbereitung und Danksagung nach der heiligen Kommunion benütze ich nicht jedesmal ein Gebetbuch, sondern recht oft mache ich meine Vorbereitung und Danksagung aus dem Kopf. O wie vieles habe ich da dem lieben Heiland zu sagen bzw. zu danken für Seine große Liebe mir armseligen Sünderin gegenüber. O wie glücklich bin ich da jedesmal nach der heiligen Kommunion ... Nicht finde ich da so geeignet das Gebetbuch, um den lieben Heiland anzubeten, zu danken usw. als wenn man es mit der eigenen Herzenssprache tut“ (ebd.). Anna Schäffer notiert auch: „Herr, lehre mich beten, Herr, lehre mich lieben, Herr, lehre mich leiden“ (ebd., S. 26). Das Ziel von allem ist die Christusliebe. 

Sehnsucht nach dem Himmel 

Anna Schäffer macht sich auch mit dem Gedanken vertraut, dass sie einmal im Grab ruhen wird: „O heilige Grabesruhe, nach Dir sehnt sich mein müdes Herz ... Jenseits erst vom Grab wird mein Glück voll und meine Sehnsucht gestillt, welches ist: Jesus allein“ (ebd.). Die tiefe eucharistische Frömmigkeit der Verfasserin kommt in der folgenden Notiz zum Ausdruck: „Die Sehnsucht nach dem Himmel kann hier nur gestillt werden bei der heiligen Kommunion, der innigen Vereinigung mit Jesus ... Dies ist ja jedesmal eine Vorfeier zum ewig dauernden Gastmahl. Die heilige Kommunion ist mein Himmel auf Erden; sie ist mein Himmel im Leiden; sie ist mein Himmel in der gänzlichen Hingabe an Ihn, den ich liebe und der in meiner Seele wohnt“ (ebd., S. 28). 

Anderen eine Freude bereiten 

Die Verfasserin ist bereit, zu leiden, wenn das dazu dient, dass andere zu Christus finden: „Wie gerne möchte ich ein Martyrium erdulden, einzig nur darum, dass der liebe Jesus im heiligsten Sakrament mehr erkannt und geliebt werde und dass recht viele Seelen im Verlangen nach dem höchsten Gut entbrennen. Ich habe auf Erden keinen anderen Wunsch mehr, als in den Flammen Deines heiligsten Herzens verzehrt zu werden ... Mein Glück, meine Freude und Seligkeit ist: Jesus allein, den ich liebe und der in meiner Seele wohnt“ (ebd., S. 32). Anna Schäffer will alles aus der Hand Gottes annehmen und anderen Menschen Freude bereiten: „Täglich will ich auch dem lieben Gott danken, für alle Gnaden und Wohltaten. Und so bin ich allzeit glücklich … und was mir irgendwelche Anstrengung macht, im Stricken, Schreiben, oder was ich gerade tue, so tue ich es mit besonderer Vorliebe und achte nicht auf die Anstrengung hierbei; sondern ich bin glücklich, wenn ich anderen mit irgendeiner Arbeit oder mit meinen armseligen Zeilen eine Freude bereiten kann“ (ebd., S. 33). 

Den Willen Gottes suchen 

Der Gedanke des Opfers bzw. der Selbsthingabe ist für Anna Schäffer zentral: „Unter gänzlicher Hingabe, o mein Gott, habe ich mich Dir als Opfer übergeben … Mit Bereitwilligkeit nehme ich den Kelch der Bitterkeit entgegen und danke Dir bis zum letzten Atemzug“ (ebd., S. 36). Anna will ihr ganzes Leben am Willen Gottes ausrichten: „… nur der Wille Gottes ist in meinem Herzen als alleiniger Herrscher aufgestellt und Ihm allein, – den ich liebe und der täglich mein armes Herz in der heiligen Kommunion aufs Neue besucht, – Ihm allein habe ich mich … mit vollster Hingabe übergeben“ (ebd., S. 38). Anna Schäffer fasst ihr Leben so zusammen: Kreuz und Leiden sind „meine Himmelsleiter“ (ebd., S. 36). 

Im Blick auf den gekreuzigten Christus 

Das Bild des gekreuzigten Christus macht „den ganzen Ernst menschlicher Not, menschlicher Verlorenheit, menschlicher Sünde“ (Joseph Ratzinger, Dogma und Verkündigung, Donauwörth 2005, S. 331) sichtbar. Dennoch ist dieses Bild in allen Jahrhunderten immer wieder als Bild des Trostes und der Hoffnung empfunden worden. Der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, „vielleicht das erregendste Kreuzbild der Christenheit überhaupt“ (ebd.), stand in einem Antoniterkloster, in dem die Menschen gepflegt wurden, die von den schrecklichen Seuchen befallen waren, von denen das Abendland im Spätmittelalter heimgesucht wurde. Von diesem Bild her wussten sich die Kranken und Geschlagenen „gerade durch ihre Krankheit mit dem gekreuzigten Christus identisch, der als Geschlagener mit allen Geschlagenen der Geschichte eins geworden war; sie erfuhren die Gegenwart des Gekreuzigten in ihrem Kreuz und wussten sich durch ihre Not hineingehalten in Christus und damit in den Abgrund ewigen Erbarmens. Sie erfuhren sein Kreuz als ihre Erlösung“ (ebd.).

Es gibt eine Frage des Menschen, die über alles hinausreicht, was Politik und Wirtschaft bewirken können, eine Frage, die „nur durch den gekreuzigten Christus zu beantworten ist, durch den Menschen, in dem unser Leid an das Herz Gottes, an die ewige Liebe rührt. Denn nach ihr dürstet der Mensch und ohne sie bleibt er trotz aller möglichen und nötigen Verbesserungen ein absurdes Experiment“ (ebd., S. 334). Der Trost, der vom leidenden Herrn ausgeht, ist auch heute für uns nötig, gerade heute. „Er ist in Wahrheit der einzige Trost, der nicht vertröstet. Gebe Gott, dass Augen und Herz uns aufgehen für diesen Trost; dass wir in ihm zu leben und von ihm weiterzugeben fähig werden; dass wir inmitten des Karfreitags der Geschichte das österliche Geheimnis … empfangen und darin zu Erlösten werden“ (ebd., S. 335; vgl. auch Abt Columban Luser OSB, Das Rätsel des Kreuzes, in: Josef Kreiml [Hg.], Katechesen zum Credo, Regensburg 2014, 73-83). 


Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Leiter der Hauptabteilung Orden und Geistliche Gemeinschaften im Bistum Regensburg 

(kw)



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