Frau vor Domtürmen

Person der Woche: Marianne Brandl

Neue Stabsstelle zur Erkennung geistlichen Missbrauchs


Regensburg, 5. September 2025

Es ist eine zentrale Herausforderung in Pastoral und Seelsorge, geistliche Manipulation frühzeitig erkennen und möglichst von vornherein zu verhindern. Die Diözese Regensburg will durch ein Beratungsangebot zum Themenfeld „Missbrauch geistlicher Autorität“ betroffenen Menschen einen geschützten Raum bieten, um bedrückende, tief verletzende Erfahrungen in diesem Feld zur Sprache zu bringen und sie im Umgang mit diesen Erfahrungen unterstützen. Eine neue Stabsstelle zu dieser Thematik wurde eigens dafür im Bistum etabliert. Über das Thema geistlicher Missbrauch sowie über das Beratungsangebot und den Meldeweg sprach Stefan Groß mit der Referentin an dieser neuen Stabstelle, Diplom-Theologin Marianne Brandl.

Frau Brandl, warum ist das Thema Geistlicher Missbrauch heute so aktuell? Das Wissen um die Gefahr von Missbrauch im geistlichen Leben ist nicht neu. Wie kam es dazu, dass sich jetzt die katholische Kirche dieser Thematik intensiv zuwendet? 

Unsere heutige Gesellschaft schreibt der persönlichen Autonomie in vielen Lebensfragen einen hohen Wert zu und nimmt viel bewusster als früher wahr, wo physische oder psychische Grenzen verletzt werden. Außerdem liegt die katholische Kirche quasi in einem Trend: Zunehmend wird man sich – auch innerhalb von Kirchen und Religionsgemeinschaften – bewusst, dass Religionsausübung nicht nur heilsam sein kann. Schon 2015 hat sich eine Clearingstelle für religiösen Machtmissbrauch im Bereich der Freikirchen etabliert. Seit 2018 gibt bei der Deutschen Buddhistischen Union Ansprechpersonen für verbalen, psychischen, emotionalen und sexuellen Missbrauch. Zu den aktuellen Entwicklungen in der katholischen Kirche haben entscheidend auch Betroffene selbst beigetragen. Sie haben mutig von ihren Erfahrungen erzählt, das Gespräch mit Verantwortlichen in der Kirche gesucht und so Anstoß zur innerkirchlichen und wissenschaftlichen Reflexion gegeben. 

Was ist unter „Missbrauch geistlicher Autorität“ zu verstehen?

Missbrauch geistlicher Autorität ist ein vielschichtiges System von psychosozialen Dynamiken, die religiös begründet werden. Wir sprechen von dieser Art des Missbrauchs wenn Menschen, die andere in eine lebendige und freimachende Gottesbeziehung begleiten wollen, spirituell-theologische Aussagen oder kirchliche Vollzüge als Machtmittel missbrauchen. Und wenn sie Menschen, die sich ihnen anvertrauen, in nachdrücklicher und manipulativer Weise ihre eigenen religiösen Auffassungen aufdrängen und sie zu fremdbestimmten geistlichen Verhaltensweisen, Handlungen oder Entscheidungen drängen.

Was unterscheidet die Aufarbeitung des geistlichen vom sexuellen Missbrauch

Die deutschen Bischöfe schreiben dem geistlichen Missbrauch eine „enge Verzahnung von religiös-spirituellen Themen mit strukturell-persönlichen Faktoren“ zu. Im Vergleich zu sexuellem Missbrauch ist geistlicher Missbrauch also deutlich weniger objektivierbar. Auch spielen hier zeitgeschichtliche Faktoren eine Rolle. Vor allem aber ist geistlicher Missbrauch weder ein kirchenrechtlicher noch ein strafrechtlicher Tatbestand und von daher nicht leicht eindeutig zu identifizieren und kaum zu ahnden. Dennoch müssen entsprechende Dynamiken unterbunden werden. 

Wie lässt sich Missbrauch geistlicher Autorität überhaupt identifizieren?

Missbrauch geistlicher Autorität ist kein einmaliges Geschehen. Er bahnt sich an und ist neben den Aspekten, die aus dem Phänomen emotionalen Missbrauchs, also zum Beispiel Manipulation, Zwang, Verängstigung oder Abhängigkeit bekannt sind, vor allem geprägt durch seine inhaltlichen Aspekte und seine mentalen Auswirkungen wie Desorientierung, Verlust der eigenen Urteilsfähigkeit und weitere Phänomene So eine Dynamik kann nur über viele Indizien und deren wiederholtes Vorkommen identifiziert werden. Eine Reihe an Indizien findet sich in der Arbeitshilfe der Deutschen Bischöfe. 

Können Sie uns konkrete Beispiele für „geistlichen Missbrauch“ nennen?

Ein Beispiel sind massive Eingriffe in die Lebensplanung eines Menschen. Da werden Gespräche über eine mögliche Berufung zum Beispiel nicht im Modus eines gemeinsamen Suchens geführt, sondern der Gesprächspartner sagt der betroffen Person wiederholt, dass Gott mit ihr etwas ganz Besonderes vorhabe, und drängt sie zu einer Entscheidung. Kommen dazu noch emotional manipulative Dynamiken wie das übertriebene Zeigen besonderer persönlicher Wertschätzung, kann so ein Verhalten Kriterien des Missbrauchs geistlicher Autorität erfüllen. Oder wenn persönliche Zweifel am eigenen Lebensweg in einer Geistlichen Gemeinschaft wiederholt mit einer Aussage wie „Wer geht, verrät den Herrn!“ beantwortet werden. 

Welche Möglichkeiten gibt es, den Missbrauch anzuzeigen?

Der Verdacht auf Missbrauch geistlicher Autorität kann – am besten mit einem persönlichen Schreiben, das Sachverhalte möglichst genau darstellt – bei der neu eingerichteten Stabsstelle des Bistums Regensburg gemeldet werden. Dieser Meldung kann eine vertrauliche Beratung vorausgehen. Diese Beratung ist ein Angebot. Eine Meldung kann selbstverständlich auch unabhängig davon erfolgen.

Was muss vom Missbrauch geistlicher Autorität unterschieden werden?

Nicht jeder zwischenmenschliche Konflikt in religiösen Fragen, nicht jede Grenzverletzung im kirchlichen Alltag, nicht jedes unglücklich verlaufene Seelsorgegespräch und vor allem auch nicht jedes Fehlverhalten eines Geistlichen stellt einen Missbrauch geistlicher Autorität dar. Insbesondere der Aspekt der religiösen Manipulation, welche dann zu fremdbestimmten Entscheidungen, Verhaltensweisen oder Denkmustern führt, kann ein Hinweis für Missbrauch geistlicher Autorität sein.

Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es? 

Eingriffe wie Sanktionen oder rechtliche Verfahren setzen voraus, „dass Taten des Geistlichen Missbrauchs genau umschrieben sind und kirchenrechtlich verfolgt werden können“, so die Arbeitshilfe der Bischöfe. Das ist bisher nur bei ganz wenigen Tatbeständen möglich, nämlich da, wo das kirchliche Strafrecht ohnehin schon Eingriffsmöglichkeiten bietet. Die Arbeitshilfe nennt auch einige Interventionsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Anordnung einer Supervision, eine Rüge, den Entzug einer Beichterlaubnis. Auch Visitationen von Gemeinschaften oder die Auflösung von Niederlassungen von Gemeinschaften haben wir in den letzten Jahren gesehen. Momentan fehlen aber weitgehend noch objektive Kriterien für konkrete Maßnahmen.

Was will eine Anlaufstelle „Missbrauch geistlicher Autorität“ leisten?

Die „Anlaufstelle“, wie sie in der Arbeitshilfe der Deutschen Bischöfe genannt wird, besteht im Bistum Regensburg aus einer Stabsstelle und einem Beratungsangebot. Die Aufgabe dieses Angebots ist es, Betroffene ernst- und wahrzunehmen. Damit sie in einem sehr geschützten Raum über ihr Erleben sprechen können, sondieren können, für sich selbst Handlungsoptionen entwickeln können: Was ist mir passiert? Wie kann ich meine Situation verändern? Möchte ich mich aus meiner Situation lösen, wenn ja, welche Schritte kann ich tun? Möchte ich das Bistum über die Situation zwischen mir und meiner geistlichen Begleitung oder in einem Orden oder einer Geistlichen Gemeinschaft informieren und so ein Prüfverfahren einleiten? Die Beraterinnen und Berater begleiten, wenn gewünscht, Betroffene hin zu einer Meldung an die Stabsstelle. Die Stabsstelle ist damit beauftragt, dafür zu sorgen, dass diese Meldungen fachlich korrekt und zielführend bearbeitet werden. 


Interview: Stefan Groß

(sig/chb)

Weitere Infos

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Eine Kontaktaufnahme mit der Stabsstelle zur Vermittlung an die externen und diözesanen Berater/innen ist auch anonym möglich.

Dipl. Theol. Marianne Brandl M.A phil.
Referentin an der Stabsstelle Missbrauch geistlicher Autorität
Obermünsterplatz 7
D-93047 Regensburg

Telefon: (0941) 597-2433
E-Mail: marianne.brandl@bistum-regensburg.de



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