Kolumne Weltkirche

Das hat Moses gesagt


Regensburg, 10. September 2025 

Ein archäologischer Fund, der schon lange bekannt ist, könnte eine Sensation bergen. Man ist Moses in Ägypten auf der Spur. Das Alter der Schriften passt ebenso, wie andere Rahmenbedingungen. Da wird echte Detektivarbeit geleistet. 

Eine neue Entdeckung in einem alten Fund macht gerade in der Fachwelt von sich reden. Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte Sir William Flinders Petrie in Serabit el-Khadim, einer Türkismine auf Ägyptens Sinai-Halbinsel eine antike Inschrift. Diese ist in Proto-Sinaitisch verfasst, das ist keine Bilderschrift wie die ägyptischen Hyroglyphen, es ist eine der frühesten Alphabetschriften. Die protosinaitische Schrift gilt Vorläufer der phönizischen Konsonantenschrift, die wiederum als Grundlage des aramäischen, des hebräischen und des griechischen Alphabets angesehen wird. Die Inschrift auf einer Wand wurde von semitischsprachigen Arbeitern während der Regierungszeit von Pharao Amenemhat III. (ca. 1800 v. Chr.) angefertigt. Wir befinden uns in der Zeit um den Aufbruch des Volkes Israel aus Ägypten. Seit Auffindung der Wand mit Inschriften arbeiten Forscher daran, den Text zu entschlüsseln. Einen neuen, für Theologie und biblische Archäologie interessanten Impuls hat nun der unabhängige Forscher Michael S. Bar-Ron gegeben, Bar-Ron ist derzeit Doktorand an der Ariel University in Land of Israel Studies and Archaeology und hat die Inschriften fast ein Jahrzehnt lang mittels hochauflösender Bilder und 3D-Scans des Semitischen Museums der Harvard-Universität neu untersucht. Er ist zu der Ansicht gelangt, dass die Inschriften zwei direkte Bezüge zu Moses enthalten: „zot mi’ Moshe“– „Das ist von Moses“ und „ne’um Moshe“ – „Ein Spruch von Moses“, glaubt der Wissenschaftler identifiziert zu haben.

Biblische Zeugnisse stehen oft unter dem Verdacht, ziel- und zweckgerichtete religiöse Texte zu sein, mit denen Priester oder Anführer des Volkes bestimmte Ziele verbunden haben oder im Nachhinein zu erklären versuchen, warum etwas so geschehen sein muss. Außerbiblische Zeugen sind zwar oft wesentlich schlechter belegt als biblische Quellen gelten aber eher als unabhängige Zeugen. Historisch-kritische Untersuchungen biblischer Texte neigen oft genug dazu, soweit übers Ziel hinauszuschießen, dass sie sogar die historische Existenz konkreter biblischer Personen in Frage stellen. Unter Theologen kursiert der uralte Witz, der berichtet, man habe das Grab Jesu gefunden und es sei leer gewesen. Einem großen Erschrecken unter Theologen, die alle schnell ihre Bücher überarbeiten lassen, setzt ein älterer Jesuit die Krone auf, indem seinem Assistenten zuraunt, man hätte nicht gedacht, dass der wirklich gelebt hat. 

So notwendig eine historisch-kritische Untersuchung der biblischen Texte sein mag, um die Entstehung der Texte tiefer zu verstehen, so unbedingt notwendig ist es, nie aus Augen zu verlieren, dass es sich um heilige Schrift handelt. Noch einmal besonders ist hier das Alte Testament, das nicht nur allen Christen, sondern auch Christen und Juden gemeinsam heilige Schrift handelt. Insofern ist den Texten auch immer mit der gebotenen Ehrfurcht zu begegnen. Bei einem sehr wesentlichen Ereignis, das uns Christen in jeder Osternacht vorgelesen wird, der Durchzug durchs Rote Meer, gibt es unter den Wissenschaftlern jede Menge Theorien, die das Geschehen teilweise recht klein reden. Im Kern ist es jedoch für das Volk der Juden die Anfangserzählung ihrer Freiheitgeschichte. Für Christen ist im Durchzug durch das Rote Meer Ostern vorerklärt. Natürlich stimmt es, dass wir mangels historischer Quellen keine historischen Aussagen machen können. Doch eines lässt sich sagen, das Fluchtgeschehen des Volkes aus Ägypten war so beeindruckend, dass es sich bis heute als eminent wichtige Erzählung in das Gedächtnis der meisten Völker auf der Erde eingeprägt hat. 

Natürlich hat die Theorie eine wissenschaftliche Kontroverse ausgelöst, der Mentor von Bar-Ron, der renommierte Alttestamentler und biblische Archäologe Pieter van der Veen, hat die Ansicht bestätigt, dass es sich sehr wahrscheinlich um eine Erwähnung des biblischen Mose handeln könnte. Die neuen von Bar-Ron vorgenommenen kritischen Übersetzungen umfassen fast den gesamten proto-sinaitischen Korpus von Serabit el-Khadim. Seine Erkenntnisse legen nahe, dass diese Inschriften tatsächlich historische Spuren der biblischen Überlieferungen des Aufenthaltes der Hebräer, der Sklaverei und des Auszugs aus Ägypten enthalten könnten. 

Eine Veröffentlichung der Ergebnisse steht noch aus. Die Kirche hat sich bislang noch nicht offiziell zu den Entdeckungen des Wissenschaftlers geäußert. Die genannten Inschriften finden ferner sich neben Anrufungen an El, das ist der alte semitischen Namen für Gott, der so auch in der Bibel vorkommt. Es gibt ferner Bezügen zu Baʿalat, das ist die semitische Bezeichnung der ägyptischen Göttin Hathor. Interessant wird es, wenn festzustellen ist, dass einige der Inschriften über Baʿalat absichtlich unkenntlich gemacht wurden.  Es könnten möglicherweise von Anhängern von El gewesen sein, was auf einen religiösen Konflikt oder Diskurs hindeutet. Die Inschriften fanden sich in einem Steinbruch und wurden offensichtlich von Arbeitern angefertigt. Das ist so, als fände sich heute am Schwarzen Brett in der Kantine eines Industriebetriebes eine religiöse Diskussion. Weitere Inschriften in der Nähe eines ausgebrannten Tempels am selben Ort enthalten Wörter wie „Aufseher“, „Sklaverei“ und einen Satz, den einige Interpreten als „ni’mosh“ gelesen haben, was möglicherweise „lasst uns aufbrechen“ bedeutend. Bar-Ron und andere biblische Archäologen sehen hier einen potenziellen thematischen Bezug zur Exodus-Erzählung. Darüber hinaus wurden die Stele des altägyptischen Königs Reniseneb und das Siegel eines asiatischen ägyptischen Beamten gefunden, was nach Ansicht der Wissenschaftler eine starke semitische Präsenz am Ort belegt. Bar-Ron spekuliert sogar über eine Verbindung zum biblischen Josef.

Was an dem Fund in der Tat sensationell ist, dass hier die Möglichkeit eines archäologischen Beweises besteht, welcher direkt mit Anwesenheit von Moses in Ägypten in Verbindung gebracht werden könnte. Es kann dazu einladen, noch einmal neu und tiefer über die historischen Wurzeln der Schrift nachzudenken. Die historisch-kritische Forschung hatte die Existenz der Person des Mose durchaus in Frage gestellt, ein Verständnis des Mose als „mythologisches Konstrukt“ konnte sich nie durchsetzen. Andererseits sind zahlreiche Versuche von Alttestamentlern und Ägyptologen immer wieder gescheitert, die Person Moses in alten Schriften zu identifizieren. Sollte Bar-Ron sich mit seiner Theorie durchsetzen, hätte man erstmals einen handfesten archäologischen Hinweis auf die historische Person Moses und zusätzlich noch auf dessen Rolle beim Exodus. Es ist eine Sache, die biblischen Zeugnisse zu haben, die sicher glaubhaft sind, aber eben als Glaubenszeugnisse aufgeschrieben wurden. Biblische Befunde und Erkenntnisse mit Hilfe archäologischer Funde zu ergänzen, ist seit langer Zeit das Bestreben der biblischen Archäologie. 

Unabhängig davon, ob die genannten Inschriften tatsächlich den Propheten Moses erwähnen, zeigen die die Funde in Serabit el-Khadim jedoch noch etwas anderes. Sie erneuern und vertiefen – auch im Licht der biblischen Schriften – noch einmal das Verständnis davon, wie die semitischen Arbeiter, auch Hebräer genannt, in Ägypten ihre kulturelle und religiöse Identität entwickelt haben. Der Prozess der Volkwerdung Israels steht in untrennbarem Zusammenhang mit dem Glauben an den einen Gott, der hier noch „El“ genannt wird. Die Abwehr fremder Götter gehört unbedingt zu diesem Prozess. Da jedoch gerade die proto-sinaitische Schrift sehr schwer zu entziffern ist, steht uns sicher noch ein langer Diskussionsprozess um die Bedeutung der Funde von Serabit el-Khadim bevor. Andererseits wecken Erkenntnisse, wie die jüngst von Michael S. Bar-Ron gemachten, immer wieder neu das Interesse sich in antiken Schriften auf die Suche zu machen. Es hat schon seinen ganz eigenen Reiz über einen Zeitraum von fast vier Jahrtausenden dem größten Propheten der Bibel auf die Spur zu kommen. 

Text: Peter Winnemöller
Foto: Wikimedia_CC BY-SA 4.0
(chb)



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