Ein Dominikaner an der Schnittstelle von Religion und US-Rechtsprechung

Kolumne Weltkirche


Regensburg, 03. September 2025 

Der Priester und Jurist Pius Pietrzyk setzt sich in den USA für den Zugang einkommensschwacher Menschen zum Justizsystem ein. Kein geringerer als der Präsident der USA hat ihn dazu berufen und ernannt.

In Deutschland gibt es für arme Menschen die Möglichkeit vom Staat sogenannte Prozesskostenbeihilfe zu bekommen, so kann jeder sein Recht auch vor Gericht erstreiten, der sich den Anwalt nicht selbst leisten kann. Das weitaus liberalere System der USA kennt diese Art direkte Zuwendungen nicht. Dennoch sind auch dort das Recht und der Zugang zur Justiz hoch geschätzte Güter. So verabschiedete der Kongress der USA im Jahr 1974 mit dem „Legal Services Corporation Act“ ein Gesetz, das auch Personen mit geringem Einkommen einen gleichberechtigten Zugang zum Justizsystem ermöglicht. Dazu wurde in Folge die Legal Services Corporation (LSC) als unabhängige Organisation gegründet. Der LSC wird von einem überparteilichen Vorstand geleitet, der aus 11 Mitgliedern besteht, die vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt werden. Eines dieser Mitglieder ist der katholische Priester Pius Pietrzyk OP. Der Dominikaner ist in den USA der einzige katholische Priester, der vom Präsidenten der USA in ein Amt berufen wurde. Als Dominikanerpater, also als katholischer Priester, und zugleich führendes Mitglied der Legal Services Corporation (LSC) spielt er eine einzigartige Rolle, in der er quasi in seiner Person das juristische Establishment auf dem Capitol Hill mit den moralischen und ethischen Prinzipien der katholischen Glaubenslehre verbindet. Das ist ein nicht zu unterschätzender Brückenschlag in den recht protestantisch geprägten Vereinigten Staaten. 

P. Pius Pietrzyk OP ist es gewohnt, die Blicke auf sich zu ziehen, wenn er den Capitol Hill betritt. Der Dominikaner baut eine Brücke zwischen dem praktizierten Glauben der Kirche und dem, was wir Rechtspflege nennen. Als Jurist, Priester und Ordensmann wurde sein Leben von zwei sehr unterschiedlichen Aspekten geprägt. Da ist einerseits sein unerschütterliches Engagement für die Gerechtigkeit, insbesondere für die Bedürftigen. Zum anderen ging seinen heutigen Aufgaben eine tiefgreifende intellektuelle und geistliche Ausbildung voraus. Bevor Pius Pietrzyk Priester wurde, absolvierte er eine solide juristische Ausbildung. Er studierte an der „University of Chicago“. Dort schloss er seine Studien mit dem Juris Doc (JD) ab. Dieser Abschluss, der in den USA und Kanada am Ende eines Jurastudiums erworben werden kann, bereitet auf den Beruf des Rechtsanwalts vor. Drei Jahre lang arbeitete der junge Jurist in einer renommierten Anwaltskanzlei in Chicago. Der Ruf Gottes zum Priestertum war stärker als jede noch so beeindruckende Karriere hätte sein können. So folgte der kurzen und dennoch beeindruckenden juristischen Karriere eine nicht minder beeindruckende geistliche Laufbahn. Der junge Mann trat 2002 in das Noviziat der Dominikanerprovinz des Heiligen Joseph ein und wurde 2008 zum Priester geweiht. Seine theologische Ausbildung umfasste ein Lizenziat in Theologie von der Päpstlichen Fakultät der Unbefleckten Empfängnis in Washington, DC. Danach ging er zum Weiterstudium nach Rom und erwarb einen Doktor in Kanonischem Recht (Kirchenrecht) an der Päpstlichen Universität des Heiligen Thomas von Aquin in Rom. Hier an der römischen Dominikaneruniversität war danach Professor für Kanonisches Recht, beigeordneter Professor für Theologie und Direktor für institutionelle Zusammenarbeit.

Der Spagat zwischen seinem priesterlichen Dienst und der Mitwirkung in der US-Rechtsprechung begann im Jahr 2010. Pater Pietrzyk erhielt für ihr völlig überrraschend einen Anruf von einem Mitarbeiter des damaligen Minderheitsführers im Repräsentantenhaus, Senator Mitch McConnell. Der Senator ließ den Pater fragen, ob er an einer Tätigkeit im Vorstand der Legal Services Corporation (LSC) interessiert sei. Ein Ordensmann kann eine solche Entscheidung nicht allein fällen. Nach Zustimmung seiner Oberen im Orden und nachdem das OK des Weißen Hauses vorlag, wurde seine Nominierung am 29. September 2010 vom US-Senat bestätigt. Derzeit ist Pater Pietrzyk Vizevorsitzender des LSC-Vorstands. Zu seinen Aufgaben gehört die Überwachung der Verteilung staatlicher Mittel an Organisationen, die bedürftige unterstützen und einkommensschwachen Menschen in den gesamten Vereinigten Staaten Rechtsdienstleistungen anbieten. Die LSC konzentriert sich ausschließlich auf zivilrechtliche Fragen wie Mietrecht, Sorgerecht und häusliche Gewalt. Sie unterstützt mit ihrer Dienstleistung jährlich über 5,2 Millionen bedürftige Menschen in den USA.

Seine eigene Rolle im System der US-Rechtsprechung, so beschreibt es der Pater selbst, sei tief von seinem Glauben geprägt. Er betont dabei, die zentrale Mission der LSC sei "Gerechtigkeit für die Armen". Eindringlich weist der Priester darauf hin, dass etwa 16% der US-Amerikaner unterhalb der Armutsgrenze leben und ohne Hilfe keinen Zugang zu einem Anwalt in kritischen Zivilfällen haben und fragt: "Wo bleibe dann die Gerechtigkeit?". So misst der Priester und Jurist den Erfolg der Organisation an ihrem Engagement, den Armen zu helfen, und darauf, „das Bild der Armen in all unserer Arbeit in den Vordergrund zu stellen“. Pater Pius bewegt sich dabei bewusst auf einem schmalen Grat zwischen seinem priesterlichen Dienst und seinen bürgerlichen Pflichten. Er möchte in und mit seinem Dienst im LSC nicht missionieren oder in Verdacht geraten, Hilfe mit Mission zu verbinden. Hier geht es darum allen Bedürftigen Menschen weltliches Recht zu verschaffen, wird er nicht müde zu betonen. Gleichzeitig ist der Priester, der im Kapitol ein- und ausgeht, nicht schüchtern, wenn es darum geht, seine eigenen religiösen Ansichten zu äußern. 

Seine Präsenz als der „Pater Pius“ wird in der Regel gut aufgenommen. Seine Kollegen, wie der LSC-Präsident Ronald Flagg und der Vorstandsvorsitzende John Levi, schätzen die einzigartige Perspektive, die der Priester mit seinen Glaubensüberzeugungen einbringt. Levi beschreibt die Kombination aus Pietrzyks juristischem Hintergrund und seinem Priestertum – einem „gut ausgebildeten Gewissen und der Liebe zu den Armen“ – als eine „mächtige Kombination“. Pietrzyk selbst empfindet es so, dass seine Arbeit mit der LSC sein Priestertum bereichert hat, indem diese Aufgabe ihn für die Nöte der Armen sensibilisiert hat. Zugleich hofft er, dass sein Priestertum wiederum die Herangehensweise der Organisation an den Dienst für die Armen beeinflusst. Dies sagte er dem US-Portal „The Pillar“. Der Priester scheut sich ebenfalls nicht, seine kirchlichen Netzwerke zu nutzen, um Unterstützung und Informationen für die LSC zu gewinnen. So bindet er beispielsweise Bischöfe in Arbeitsgruppen für Veteranen und den Dienst im ländlichen Amerika ein. 

Als Jurist ist sich der Ordensmann seiner persönlichen Gratwanderung bewusst, denn es gibt rechtliche Grenzen für Kleriker in öffentlichen Ämtern. Der Kanon 285 § 3 im Kirchenrecht untersagt Geistlichen die Übernahme öffentlicher Ämter, die eine Beteiligung an der Ausübung der zivilen Macht mit sich bringen. Die Mitarbeit im LSC stelle P. Pius zufolge keine Ausübung ziviler Macht dar. Dennoch kann er dieses Amt nur mit Einverständnis seiner Oberen ausführen. Als Ordensmann und Priester ist Pater Pius Pietrzyk OP eine einzigartige Persönlichkeit in der US-Rechtspflege. Seine Präsenz im LSC-Vorstand wird von vielen als ein lebendiges Beispiel dafür gesehen, wie religiöser Glaube und bürgerliche Verantwortung auf produktive Weise zusammenwirken können. An dem Anblick einer Ordenstracht hat man sich im Kapitol inzwischen gewöhnt.

Text: Peter Winnemöller
Foto: CC BY-SA 3.0
(chb)



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