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Katholischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Regensburg und München

Gegen Bewegung und Gegenbewegung

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Regensburg, 19. April 2023

München war zwar zur „Hauptstadt der Bewegung“ ernannt worden, faktisch aber war es genauso die „Stadt der Gegenbewegung“ gegen den Nationalsozialismus. Ein Interview mit dem Historiker Prof. Dr.Dr. Peter C. Hartmann über die Vergessenheit - auch in der katholischen Kirche - mit Blick auf den katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Fragen stellte Prof. Dr. Veit Neumann.

Lieber Prof. Hartmann, wie können wir den Widerstand des katholischen Milieus und aus dem katholischen Milieu heraus gegen den aufkommenden und dann ja bekanntlich sich immer stärker etablierenden, ja durchsetzenden Nationalsozialismus in Bayern beschreiben?

Die gut katholische Oberpfalz mit ihrer Hauptstadt Regensburg zählte zu den Regionen Deutschlands, aber auch Bayerns, in denen es der aufkommende Nationalsozialismus am schwersten hatte und in denen die Menschen in der Weimarer Republik besonders wenig NSDAP wählten. Dies galt allgemein für das katholische Milieu und die kirchentreuen katholischen Bewohner in Bayern und Deutschland. Bei den Landtagswahlen von 1932 erhielten die katholische BVP in der Oberpfalz einschließlich Regensburg 53,6 Prozent, die NSDAP nur 20,5 Prozent, ein Ergebnis, das allerdings unter anderen im fast zu 100 Prozent katholischen Bezirksamt Altötting mit 9,7 Prozent noch unterboten wurde. Man kann deshalb durchaus sagen, Hitler wäre nie an die Macht gekommen, wenn alle Deutschen so wie Regensburg und die Oberpfalz oder die anderen gut katholischen Regionen Deutschlands gewählt hätten.

Welche Personen und Kreise sind unbedingt zu erwähnen? Welche Rolle spielte dabei „Regensburg“? 

Da die katholische Kirche und viele Katholiken in der Weimarer Republik einen strikten Kampf gegen die Nationalsozialisten führten, wären in diesem Zusammenhang sehr viele Namen zu nennen. Dies gilt auch für die NS-Zeit, wo die katholische Kirche allerdings wegen des Konkordats und aufgrund des Römerbriefes, aber auch um die Seelsorge aufrecht erhalten zu können, keine Totalopposition leisten konnte, wo aber besonders viele praktizierende Katholiken und Priester, ganz allgemein das katholische Milieu, recht resistent waren. Sie wurden deshalb vielfach benachteiligt, unterdrückt, oft eingesperrt, einige auch hingerichtet.

Viele leisteten passiven, nicht wenige auch aktiven Widerstand. Deshalb will ich mich hier auf ein paar Beispiele beschränken. Heinrich Held, geboren 1868 in Hessen, Mitglied einer KV-Verbindung, geprägt von den Erfahrungen des preußischen Kulturkampfes, kam als Journalist nach Regensburg, wurde 1899 Chefredakteur beim „Regensburger Anzeiger“, 1907 bayerischer Zentrumsabgeordneter, 1919 Fraktionsvorsitzender der BVP, 1924 bis März 1933 bayerischer Ministerpräsident. Er kämpfte als solcher, besonders tatkräftig unterstützt vom bayerischen Innenminister Karl Stützel, einem CVer. Beide wurden am 9. März 1933 in einer dramatischen und von der Reichsregierung Hitler gelenkten Gleichschaltung entmachtet. Damit kam Bayern als letzter Staat in Deutschland unter das Joch des Nationalsozialismus. Stützel wurde noch in der Nacht von SA-Leuten aus dem Bett geholt, ins braune Haus geschleppt und dort, nur mit dem Nachthemd bekleidet, schwer verhöhnt und misshandelt.

Ein mutiger Gegner der Nationalsozialisten und Mann des Widerstandes war auch Dr. Otto Hipp, Mitglied der gleichen CV-Verbindung Aenania wie Stützel. Der 1885 geborene Jurist war von 1920 bis 1933 als erster „Schwarzer“ Oberbürgermeister von Regensburg und als solcher ein entschiedener Gegner der NSDAP. Er wurde am 20. März 1933 nach einer dramatischen Auseinandersetzung von SA-Leuten aus seiner Wohnung geholt und gezwungen zurückzutreten. Zusammen mit seinem Bundesbruder Dr. Gebhard Seelos arbeitete er gegen Ende des Krieges führend bei der Widerstandsbewegung „Freiheitsaktion Bayern“ mit, wurde 1945 im Kabinett Schäffer erster bayerischer Nachkriegskultusminister. 1950 fungierte er als Präsident des Katholikentags in Passau und Altötting. Hipp hatte in der NS-Zeit enge Beziehungen zum Regensburger Widerstandskreis, dem neben Dr. Otto Graf, einem KVer, und Dr. Josef Held, einem CVer, der Direktor der Bischofshofbrauerei August Elsen, ein CVer, angehörte, die wieder Kontakt zu anderen bayerischen Widerstandsgruppen, etwa in München zu den Jesuiten, hatten.

Eine wichtige Rolle spielte im Widerstand auch der Freundeskreis der Therese von Konnersreuth, deren Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Neben Pater Ingbert Naab spielte hier der Journalist Fritz Gerlich eine zentrale Rolle, auf den als letztes Beispiel näher eingegangen werden soll. München, das 1935 von Hitler den Titel „Hauptstadt der Bewegung“ erhielt, wurde schon in den späten Jahren der Weimarer Republik immer mehr auch zur Hauptstadt der Gegenbewegung. Ein wichtiges Element war die dort wirkende katholische Presse, unter anderem das vom CV-Seelsorger Pater Professor Dr. Erhard Schlund herausgegebene „Consilium a vigilantia“, ganz besonders aber der von Fritz Gerlich herausgegebene „Illustrierte Sonntag“, seit 3. Januar 1932 „Der gerade Weg“. Gerlich, Calvinist und zeitweilig relativ rechts stehend, dann liberal, war von 1920 bis 1928 Hauptschriftleiter der liberalen Zeitung „Münchner Neueste Nachrichten“. Als sein engagiert katholischer Redaktionskollege Erwein von Aretin einen weltweit Aufsehen erregenden Artikel über „Die Erscheinungen von Konnersreuth“ veröffentlicht hatte, fuhr der sehr skeptische, kritische, liberale und kirchenferne Calvinist, wie sein Biograf Rudolf Morsey zeigt, im Herbst 1927 nach Konnersreuth, in der Absicht, die Mystikerin und stigmatisierte Seherin Therese als Betrügerin zu entlarven. Aber es kam anders. Gerlich wurde durch das Erlebte und Gesehene seelisch zutiefst erschüttert, ergriffen und zum überzeugten Anhänger der Resl. Noch als Protestant veröffentlichte er ein Buch über sie und konvertierte im September 1931 zum Katholizismus.

Von Therese erhielt er den Auftrag, eine „Kampfpublizistik“ gegen Hitler zu betreiben. Gerlich kämpfte in der Folgezeit erbittert gegen die „geistige Pest“ des immer stärker werdenden Nationalsozialismus. Schon im März 1932 wurde der Mahnruf des Redaktionsmitglieds Pater Naab, unter Hinweis auf den „Geraden Weg“ in 1000 Zeitungen nachgedruckt und in Flugblättern verbreitet, insgesamt in einer Auflage von 20 Millionen.

In der Wahlausgabe der von Gerlich herausgegebenen Zeitschrift vom Juli 1932 heißt es: Der Nationalsozialismus bedeute „Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Inneren, Bürgerkrieg, Völkerkrieg“, und Gerlich sprach von der Gewissenspflicht der Katholiken, sich für Zentrum oder BVP zu entscheiden. Er verurteilte scharf den Antisemitismus der Nazis.

Der „Gerade Weg“, von Ministerpräsident Held finanziell unterstützt, konnte 1932 eine Sonderauflage drucken, die unter anderen an insgesamt 1800 Abgeordnete des Reichstags und der Landtage sowie an 10.300 katholische Geistliche in ganz Deutschland verschickt wurde. Noch am 18. Februar 1933, also lange nach der Machtergreifung Hitlers in Berlin, veröffentlichte Gerlich den Aufruf: „Nein! Nein! Nein! Kein Katholik darf nationalsozialistisch wählen“. Als dann auch Bayern am 9. März 1933 mit Gewalt gleichgeschaltet wurde, drangen Dutzende Braunhemden in die Redaktionsräume Gerlichs ein, verwüsteten dort alles, schlugen Gerlich nieder und schleppten den Verletzten weg. Er kam in Schutzhaft und wurde beim Röhm-Putsch 1934 von den Nazis ermordet.

Woher nahmen die Gläubigen die Kraft, in einer schwierigen und gefährlichen Situation ihren eigenen Weg zu gehen? Es herrschten ja Unsicherheit und Ungewissheit.

Die katholischen Gläubigen nahmen die Kraft aus ihrem tiefen Glauben, bestärkt, ermahnt und geleitet von Bischöfen und Priestern, aber auch gut katholischen Laien, die bis zur Machtergreifung unermüdlich die Unvereinbarkeit von katholischem Glauben und Nationalsozialismus betonten. Zum Teil wurden Katholiken sogar mit Exkommunikation bedroht, falls sie nationalsozialistisch wählten. Auch ein Politiker wie der bayerische Innenminister Franz Xaver Schweyer erklärte immer wieder die Unvereinbarkeit der NS-Weltanschauung mit dem christlichen Glauben. Er verurteilte wiederholt „Hitlers Größenwahn“ und dessen Antisemitismus.

Wie ist die Sicht heute auf diesen Widerstand zu beschreiben? Wie werden die damals mutigen Katholiken gewürdigt?

Der damalige Widerstand der Katholiken, die gut ein Drittel der Bevölkerung Deutschlands ausmachten, wird heute vielfach kleingeredet. Aber er erforderte viel Mut, Zivilcourage, die Bereitschaft, zahlreiche Nachteile im Leben und im Beruf, ja sogar KZ-Haft in Kauf zu nehmen. Die vielen mutigen Katholiken, etwa die 28 in Deutschland und 15 in Österreich hingerichteten Priester oder die 2571 im KZ Dachau inhaftierten Priester aus ganz Europa (darunter besonders viele Polen), von denen mehr als 1000 umkamen, werden von der Öffentlichkeit, der Politik und den Medien, ja sogar teilweise von der katholischen Kirche selbst nicht thematisiert und oft verschwiegen. Ähnliches gilt für katholische Politiker wie die BVP-Politiker Hundhammer, Schäffer, Horlacher, Stang oder J. Müller. Deshalb meine ich, dass die Memoria der zahlreichen katholischen Opfer des NS-Regimes viel mehr gepflegt und in der Öffentlichkeit thematisiert werden sollte.

Bild (Plakat): Stolperstein vor dem Haus am Krauterermarkt, in dem Domprediger Maier wohnte. Auch Dr. Maier leistete Widerstand.

 

Einschlägige Literatur aus der Feder von Prof. Dr. Peter Claus Hartmann:

-Kampf und Widerstand. Münchner Katholiken gegen Hitler 1922-1945, Regensburg (Schnell und Steiner) 2019.

-Bayerns Weg in die Gegenwart, 3. Aufl., Regensburg (Pustet) 2012.

-Die bayerischen Innenminister Franz Schweyer und Karl Stützel und ihre Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus. In: Stickler, Matthias (Hg.), Portraits zur Geschichte des deutschen Widerstandes (Hist. Studien d. Univ. Würzburg, Bd. 6), Rahden/Westf. 2005, S. 41-55.

-Die Gleichschaltung Bayerns unter besonderer Berücksichtigung von Passau. In: OG 29 (1987), S. 172-184.

-Die Hinrichtungen katholischer Geistlicher deutscher Diözesen im Dritten Reich. In: Egler Anna / Rees Wilhelm (Hg.), Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag (Kanonistische Studien u. Texte, Bd. 52), Berlin 2006, S. 19-29.

 



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