"Katholische Zeitgeschichte - Kirche, Religion und Politik in Bayern nach 1945": Bayerische Archivare und Historiker treffen sich im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg
"Das Ziel ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen , wie wichtig die Religion im Allgemeinen und der Katholizismus im Speziellen auch noch nach 1945 gesellschaftlich in Bayern war", so formulierte Dr. Camilla Weber, Bischöfliche Archiv- und Bibliotheksdirektorin in Regensburg, die Intention eines zweitägigen Workshops, der am 23. und 24. Februar in Regensburg im Bischöflichen Zentralarchiv am St.-Peters-Weg stattfand. Die Initiative dafür war vom Institut für Zeitgeschichte in München und dem Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg ausgegangen. Das dieses Format eines Workshops ein Novum darstellt und auch die Auseinandersetzung mit der katholischen Zeitgeschichte sehr wichtig ist, so Dr. Weber weiter, griff sie die Idee gerne auf und holte die Veranstaltung nach Regensburg ins Bischöflichen Zentralarchiv, "an dem Ort, wo die Überlieferung zu diesem Thema aufbewahrt wird".
"Kirche und Politik in Bayern 1945 bis 1981"
Unter diesem Titel fasste der Historiker Professor Dr. Ferdinand Kramer von der Ludwig-Maximilians-Universität München seine Ausführungen zusammen, die einen Überblick über die bewegten Wechselbeziehungen von Kirche, Gesellschaft und Politik gaben. Bei diesem öffentlichen Abendvortrag am ersten Tag wählte er bewusst den Zeitraum bis 1981, weil sich die religiös-politischen Koordinaten in dieser Zeit geändert hätten. Der Umbruch der 68er, so Professor Kramer, sei erst Anfang der 80er voll zur Geltung gekommen. Dieses große Forschungsfeld erörterte er in mehreren Schlaglichtern, dabei nannte er u.a. folgende:
• Religiosität behält nach 1945 noch einen hohen Stellenwert in der bayerischen Gesellschaft, rund 70% der Bevölkerung sind katholisch, rund 30 % evangelischen Bekenntnisses
• die amerikanischen Besatzer nehmen in Bayern die Katholische Kirche als einen entschiedenen Gegner des NS-Herrschaft wahr
• Bayern erhält wieder eine staatliche Ordnung und eine Verfassung mit Gottesbezug, der aber nicht ausschließlich ein christlicher ist, auch die Europabewegung hat in Bayern Wurzeln
• der Eucharistische Weltkongress in München (1960) und das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) rücken die Katholische Kirche durch die mediale Verbreitung mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit
• besonders in den 70er Jahren wächst das Bewusstsein für den Umweltschutz, die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht 1980 die Erklärung "Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit"
• die kirchliche Jugend distanziert sich von der Amtskirche und den etablierten Parteien, "Schöpfung bewahren" ist ein zentrales Thema der Jugendarbeit
• die Philosophisch-Theologischen Hochschulen werden in Katholisch-Theologische Fakultäten umgewandelt, die Katholische Universität Eichstätt wird gegründet
• Religion, Geschichte und Landschaft stellen in Bayern einen hohen Identitätswert dar
"Kirche und Flüchtlinge - Flüchtlinge in der Kirche"
Mit der Frage: "Welche Rolle könnte Kirche und Religion im Modernisierungsprozess Bayerns gespielt haben" und seiner These "Der wichtigste Beitrag dazu war wohl die Hinterfragung desselben, diese hat vielleicht zu einer ganz eigenen Qualität geführt, in der der Mensch und die Gesellschaft mehr geschont wurde als anderswo" leitete Professor Dr. Ferdinand Kramer in die Diskussion mit den anwesenden Archivaren und Historikern über. Eine Aspekt war dabei die Bedeutung der Flüchtlinge aus Schlesien und dem Sudetenland für das Glaubensleben der Katholiken in Bayern und auch die Integrationsleistung der Kirche nach 1945 sowie die Seelsorge für die vom Krieg traumatisierten Menschen. Nicht nur als Ordentliches Mitglied der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste sondern vor allem als Sohn einer Egerländer Mutter und Schüler des Kapuzinerpaters Victricius Berndt aus dem Sudetenland ergriff Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, der auch unter den Hörern des Vortrages weilte, das Wort. Sei zur damaligen Zeit der Volksgesang in der Kirche in Bayern noch nicht so verbreitet gewesen, habe das Erbe der Sudetendeutschen, die bereits durch die Reformen Kaiser Joseph II. im Habsburgerreich damit seit Jahrhunderten vertraut waren, das kirchliche Leben in Bayern befruchtet.
Drehten sich am ersten Tag die Impulsreferate und Diskussionen um das grundsätzliche Thema "Katholische Zeitgeschichte und Archiv. Aktenzugang, Quellenlage und Findmittel in den bayerischen Diözesanarchiven", so standen am zweiten Tag "Desiderate (Wunschobjekte) und Perspektiven der Forschung" im Mittelpunkt, so z.B. die Herausgabe der Tagebücher des Münchner Erzbischof Michael Kardinal Faulhaber (1869–1952) oder Bischofsbiographien als Themen kirchlicher Zeitgeschichte am Beispiel von Erzbischof Julius Kardinal Döpfner (1913-1976).