News Bild Heimspiel für den „Boris Becker der Philosophie“: Der Regensburger Philosoph Vittorio Hösle sprach im „Akademischen Forum Albertus Magnus“ über Geisteswissenschaften

Heimspiel für den „Boris Becker der Philosophie“: Der Regensburger Philosoph Vittorio Hösle sprach im „Akademischen Forum Albertus Magnus“ über Geisteswissenschaften

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Der Veranstaltungssaal des Diözesanzentrums Obermünster ist am Mittwochabend bestens gefüllt, eifrig werden noch weitere Stühle hineingetragen, die Stimmung ist erwartungsvoll: Denn einer der bedeutendsten deutschsprachigen Philosophen der Gegenwart ist beim „Akademischen Forum Albertus Magnus“ zu Gast – und er ist auch noch ein Regensburger. Die Rede ist von Vittorio Hösle, Professor für Philosophie und Politische Wissenschaft an der University of Notre Dame (Indiana/USA).

Viele Zuhörer kennen ihn persönlich, freuen sich sichtlich, „den Vittorio“ einmal wieder in Regensburg zu sehen. Hösle selbst ist ebenfalls erfreut über viele ihm bekannte Gesichter und begrüßt einige Besucher sehr herzlich. Unter den Gästen sind ehemalige schulische und akademische Lehrer, Weggefährten und Schulkameraden (wie beispielsweise Weihbischof Dr. Josef Graf, der mit Vittorio Hösle zusammen das Abitur am Albertus-Magnus-Gymnasium absolvierte). Auch Bischof Dr. Rudolf Voderholzer begrüßt den renommierten Philosophen.

Viele der Zuhörer können sich noch gut daran erinnern, wie Vittorio Hösle 1968 mit acht Jahren als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin von Mailand nach Regensburg kam. Als Wunderkind übersprang er im Regensburger Albertus-Magnus Gymnasium mehrere Schulklassen und studierte nach seinem Abitur Philosophie, Allgemeine Wissenschaftsgeschichte, Klassische Philologie und Indologie in Regensburg, Tübingen, Bochum und Freiburg. Bereits mit 21 Jahren war er promoviert und mit 25 habilitiert – eine absolute Ausnahmeleistung, die ihm in den 1980er Jahren den Spitznahmen „Boris Becker der Philosophie“ einbrachte. Diverse Forschungs- und Lehraufträge in Tübingen, New York, Essen, Hannover später wurde er 1999 Professor für Philosophie und Politische Wissenschaft an der University of Notre Dame (Indiana/USA). Neben zahlreichen Gastdozenturen, u. a. in den USA (Princeton), Russland, Norwegen, Brasilien und Südkorea wurde der Autor von über dreißig Büchern (darunter Bestseller wie „Das Café der toten Philosophen“ (2001)) außerdem 2013 von Papst Franziskus in die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften berufen.

 

"Was sind und zu welchem Ende betreibt man Geisteswissenschaften?"

Im Anschluss an die Begrüßung durch Professor Sigmund Bonk, des Leiters des Akademischen Forums Albertus Magnus, widmete sich Professor Hösle der Frage nach dem Sinn und der Aufgabe der Geisteswissenschaften.

In einem äußerst dichten und intellektuell anspruchsvollen Vortrag skizzierte er mit atemberaubender Geschwindigkeit das Aufkommen der Geisteswissenschaften im 18. Jahrhundert – als wichtigste Wegbereiter nannte Hösle Denker wie Francis Bacon (1561-1626), René Descartes (1596-1650), Giambattista Vico (1668-1744), David Hume (1711-1776) und den Historiker Edward Gibbon (1737-1794). Die von ihm genannten Geistesgrößen vollzogen laut Vittorio Hösle eine Spaltung von epistemischen (philosophische Erkenntnislehre) und ontologischen (philosophische Lehre vom Seienden) Fragestellungen in den Wissenschaften und öffneten den Weg für eine empirisch fundierte, „äußere“ Betrachtungsweise der sie interessierenden Gegenstände . Anknüpfend an Philosophen wie Wilhelm Dilthey (1833-1911), Edmund Husserl (1859-1939)  und Odo Marquard (1928-2015) betrachtet Hösle die Geisteswissenschaften als eine Wissenschaft des Verstehens (Hermeneutik), deren Erkenntnisinteresse im Verstehen der Verhaltensweisen und Intentionen von Menschen und Kulturen liegt. Die hierbei praktizierte Einnahme einer neutralen, beobachtenden,  „externen“ Perspektive gehöre seit jeher zum Wesen der Geisteswissenschaften und grenze sie deshalb auch von der Philosophie ab. Entgegen der vielfach vorherrschenden Meinung, dass die Geisteswissenschaften letztendlich ausschließlich die Wissenschaften darstellten, die sich von der Mathematik und den Naturwissenschaften unterschieden, stellte Hösle deshalb für viele Zuhörer überraschend fest , dass er zwar durchaus die Philosophiegeschichte, nicht jedoch die Philosophie selbst als Teil der Geisteswissenschaften ansieht.

 

 

„Die Geisteswissenschaften brauchen normative Fundierungen, die nicht aus ihnen selbst stammen!“

Überhaupt stellte Vittorio Hösle einige für selbstverständlich gehaltene Abgrenzungen zwischen Geisteswissenschaften und anderen Wissenschaften infrage. Denn aufgrund der von ihm diagnostizierten "Vieldeutigkeit der Geisteswissenschaften resultierend aus der Vieldeutigkeit der Lebenswirklichkeiten der Gegenwart" sei weder eine Abgrenzung von Geistes- und Sozialwissenschaften einfach so zu bewerkstelligen noch eine Abgrenzung hin zur Mathematik und derer Methoden – als Beispiel nannte Hösle die Verwendung der eigentlich aus der Mathematik beziehungsweise den Wirtschaftswissenschaften stammenden Spieltheorie innerhalb der Politikwissenschaft. Hier würden bislang geltende Grenzen immer stärker verschwimmen.

Trotz dieser positiv zu bewertenden methodischen Unvoreingenommenheit gegenüber fremden Disziplinen macht Vittorio Hösle jedoch ein grundsätzliches Dilemma für die Geisteswissenschaften aus:  Zwar seien diese einerseits in der Lage, menschliche Verhaltensweisen zu erklären (unter anderem eine Stärke der Europäer des 19. Jahrhunderts, die, so Hösle, sich in andere Völker und Kulturen hineinversetzen konnten, welches ihnen die persönliche Begegnung und den (ökonomischen) Austausch mit diesen erleichterte), andererseits jedoch nicht aus sich selbst heraus in der Lage, Sachfragen ethischer Natur zu entscheiden. Die Gefahr, als indifferente  Kulturwissenschaft zu enden sei groß. „Die Geisteswissenschaften“, so Hösle, „brauchen deshalb normative Fundierungen, die nicht aus ihnen selbst stammen!“

Deshalb formulierte Hösle abschließend drei Punkte, welche die Geisteswissenschaften berücksichtigen sollten, damit diese ihre Relevanz für die Menschen nicht einbüßen:

-          Die Geisteswissenschaften müssen ihre hermeneutische Kompetenz aufrecht erhalten

-          Die Geisteswissenschaften sollten ihren Blick weiter auf externe Gegenstände richten

-          Die Geisteswissenschaften sollten bei der Beantwortung ethisch-moralischer Fragen sich stärker der Philosophie und der Theologie zuwenden und deren "Klassiker" zu Rate ziehen



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