Fritz Gerlich, KZ-Tor

Fritz Gerlich: Im Schatten des Dritten Reiches

Der unbeugsame Geist


Regensburg, 3. September 2025

Es braucht nicht immer großer Jubiläen, um an bedeutende Menschen der Zeitgeschichte zu erinnern. Aber in Zeiten, wo Populismus und rechte Ideologien erschreckend stark an Stahlkraft zu gewinnen scheinen, zeigt ein Blick auf den Journalisten Fritz Gerlich, wie wichtig ein kritischer Journalismus bleibt, der die Gefahren der Zeit erkennt und sich ihnen widersetzt. Im Jahr 2017 hat die katholische Kirche ein Seligsprechungsverfahren für Fritz Gerlich eingeleitet, denn er steht schon jetzt in dem Ruf, ein Märtyrer des Glaubens zu sein. Für Bischof Dr. Rudolf Voderholzer bleibt der Journalist ein Prophet und Märtyrer zugleich, wie er in einem Interview zum 90. Todestag betonte.

In der Geschichte des deutschen Journalismus gibt es nur wenige Namen, die mit solcher Klarheit und Tragik für den aufrechten Widerstand gegen die Barbarei stehen wie Fritz Gerlich (1883 – 1934). Er war mehr als ein Publizist. Er war ein moralischer Kompass in einer Zeit, in der sich die Welt aus den Angeln hob. Und doch kennt ihn heute kaum noch jemand. Dabei ist seine Stimme heute vielleicht wichtiger denn je – als Mahnung, als Inspiration und als Zeugnis für die Kraft des geschriebenen Wortes.

Der Wandel eines Konservativen

Geboren 1883 in Stettin, calvinistisch-reformatorisch erzogen, promovierter Historiker, zunächst Naturwissenschaftler und Archivar, war Fritz Gerlich alles andere als ein Gegner des autoritären Denkens. Er trat als antimarxistischer Publizist hervor, war ein konservativer Nationalist und Monarchist und übernahm 1920 die Chefredaktion der Münchner Neuesten Nachrichten, der größten Zeitung Süddeutschlands. Zunächst skeptisch gegenüber der Weimarer Republik, näherte er sich nach dem Scheitern des Hitler-Putsches der Bayerischen Volkspartei an und entwickelte sich allmählich zu einem Vernunftrepublikaner.

Doch Gerlich war ein Suchender – einer, der sich nicht mit Ideologien zufriedengab, sondern stets nach Wahrheit und Gerechtigkeit strebte. Ein Schlüsselerlebnis wurde der Besuch bei der Mystikerin Therese Neumann in Konnersreuth im Jahr 1927. Aus dem skeptischen Freidenker wurde ein gläubiger Katholik; er ließ sich 1931 taufen und nahm den Namen Michael an. Diese innere Wandlung führte ihn geradewegs zu einem der schärfsten Gegner des Nationalsozialismus.

Der Journalist als Gewissen der Zeit

Gerlich wollte nicht nur berichten – er wollte aufklären, provozieren, enthüllen. Seine publizistische Tätigkeit blieb eng verbunden mit seiner geistigen Entwicklung. 1930 gründete er gemeinsam mit Erich Fürst zu Waldburg-Zeil den Naturrechtsverlag und übernahm die kleine Wochenschrift Illustrierter Sonntag. Zunächst farblos, formte er sie bald zu einem Kampfblatt gegen den Nationalsozialismus. Im Januar 1932 gab er ihr einen neuen Namen: Der Gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht. Dort schrieb er: „Nationalsozialismus heißt: Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft in Innern, Bürgerkrieg, Völkerkrieg, Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not.“

Dieses Blatt wurde zur Plattform eines kompromisslosen Widerstands gegen Lüge, Verführung und Gewalt. Mit einer Auflage von bis zu 90.000 Exemplaren fand es große Verbreitung, wenngleich der Verlag finanziell stets in roten Zahlen blieb. Doch für Gerlich war der Gerade Weg keine Geschäftsidee, sondern eine „Missionsaufgabe“. Unterstützt von dem Kapuziner Ingbert Naab, warnte er unermüdlich vor der „geistigen Pest“ des Nationalsozialismus.

Was ihn von anderen Journalisten seiner Zeit unterschied, war sein Mut, das Undenkbare zu benennen. Bereits Anfang der 1930er Jahre entlarvte er Adolf Hitler nicht nur als politischen Radikalen, sondern als existentielle Bedrohung für Deutschland – geistig, moralisch, zivilisatorisch. Über diesen größten Scharlatan des Jahrhunderts schrieb er: „Hitler ist gar nicht fähig, auf eine irgendwie positive Frage der Politik, der Wirtschaft, der Kultur, der Geschichte, die irgendwie geistig schwieriger ist und Vorkenntnisse verlangt, auch nur annähernd zu antworten. Er weiß so gut wie nichts. Dass, was er sich angelernt hat, sind unverdaute Brocken. Er besitzt nicht einmal den Grad von Verstand, der ihn befähigen würde, ein schwieriges Problem überhaupt zu übersehen.“  Diese Kritik war das Ergebnis akribischer Recherche, intellektueller Redlichkeit und – man muss es so sagen – prophetischer Klarheit.

Der Märtyrer der Wahrheit

Hitler hasste Gerlich. Und Gerlich durchschaute Hitler. Persönlich sind sie sich nie begegnet, doch es bestand eine unüberbrückbare Feindschaft. Hitler sah in ihm einen gefährlichen Gegner, einen Störenfried im Propagandaapparat. Gerlich hingegen erkannte früh den totalitären Kern des Nationalsozialismus, das destruktive Potential hinter den völkischen Phrasen. Während viele seiner konservativen Kollegen noch an eine „Einhegung“ der Bewegung glaubten, warnte Gerlich: Wer mit dem Teufel paktiert, wird am Ende selbst verbrannt.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten warnte Gerlich auch im Februar 1933 noch eindringlich vor Hitler. Doch am 9. März 1933, nur wenige Tage nach dem Reichstagsbrand, stürmten SA-Trupps die Redaktionsräume des Geraden Wegs. Gerlich wurde verhaftet, sein Werk zerschlagen. Vier Tage später, am 13. März, wurde die Zeitung verboten.

Gerlich verbrachte die folgenden 16 Monate in Münchner Gefängnissen. Er ertrug die Haft mit einer Haltung, die von Märtyrergesinnung geprägt war. Am 30. Juni 1934, im Zuge des sogenannten „Röhm-Putsches“, wurde er schließlich im Konzentrationslager Dachau ermordet – ohne Prozess, ohne Urteil. Ein Akt staatlich organisierter Willkür, ein Mord an der Wahrheit. Sein Tod blieb weitgehend unbeachtet. Keine große Trauer, keine öffentlichen Worte der Anteilnahme. Die Nazis wussten, warum sie ihn zum Schweigen brachten. Und die Gesellschaft? Sie schwieg mit – aus Angst, aus Gleichgültigkeit, aus ideologischer Verblendung.

Sein Vermächtnis – und unsere Verantwortung

Heute, da die demokratische Debatte erneut von Extremen bedrängt wird, da Populismus und autoritäre Tendenzen in Europa wieder an Boden gewinnen, hat Gerlichs Werk eine fast erschreckende Aktualität. Er steht für einen Journalismus, der nicht gefallen will, sondern stören muss. Für eine Haltung, die nicht nach Beifall sucht, sondern nach Wahrheit. Gerlichs Lebenswerk ist ein Appell – an jeden, der schreibt, der denkt, der Verantwortung trägt. Es ist ein Aufruf zur Zivilcourage in Zeiten der Konformität. Und es ist eine Mahnung: Der Preis für das Schweigen kann tödlich sein. Gerlich hat gesprochen, geschrieben, gewarnt – bis zuletzt. Er ist gefallen, weil er stand.

Wir sollten ihn lesen, weil er uns lehrt, dass der Kampf um Wahrheit nie bequem ist – aber notwendig. Wir sollten ihn lesen, weil er uns zeigt, dass selbst der einsamste Widerstand ein Akt der Hoffnung sein kann. Und wir sollten ihn lesen, weil er in einer Zeit der Gleichgültigkeit daran erinnert, was es heißt, Mensch zu sein. Fritz Gerlich war kein Held im klassischen Sinne. Er war ein Mensch mit Fehlern, mit Widersprüchen, mit Zweifeln. Aber gerade das macht ihn zum Vorbild. Sein Leben ist ein Zeugnis dafür, dass es nie zu spät ist, das Richtige zu tun.

Text: Stefan Groß

(sig)

Das Interview mit Bischof Dr. Rudolf Voderholzer finden Sie hier.



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