Digitalisierung und Medien: Interview mit Fachstellenleiterin Tanja Köglmeier
Wie gelingt Seelsorge in einer digitalen Welt?
Regensburg, 24. Mai 2023
Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und der Seelsorgeauftrag der Kirche: Wie ist das alles vereinbar? Tanja Köglmeier, Leiterin der Fachstelle Medien und Digitales im Bistum Regensburg, stellt sich im Interview dieser und weiteren Fragen.
Frau Köglmeier, Sie leiten seit etwa einem halben Jahr die Fachstelle Medien und Digitales der katholischen Erwachsenenbildung. Worin besteht Ihre Arbeit genau?
Die Fachstelle Medien und Digitales umfasst zum einen den (unter anderem auch digitalen) Film-bzw. Medienverleih für Bildungsarbeit und Religionspädagogik, der unter dem Namen AV-Medienzentrale bekannt ist, und zum anderen den neuen Bereich Digitales, der sich mit den Themen Digitalisierung und Digitalität in der Seelsorge beschäftigt. Dieser zweite Teil der Fachstelle ist derzeit noch im Aufbau und wird sich stark am Bedarf in der Seelsorge orientieren. Grundlage der Arbeit bildet die Annahme, dass wir in einer digitalen Welt leben, d.h. in einer Welt, in der nicht länger zwischen on- und offline unterschieden wird, sondern in der beides miteinander verwoben existiert. Dementsprechend zeigt sich auch in der Seelsorge der Bedarf, sich auf diese digitale Kultur einzustellen und darauf zu reagieren. Mein Wunsch ist es, Kolleginnen und Kollegen in der Hauptabteilung Seelsorge mit digitalen Lösungsansätzen für die seelsorgerliche Arbeit zu unterstützen, Logiken der digitalen Kultur noch stärker zu verankern und gemeinsam einen guten Umgang mit Digitalität zu finden.
Seit einiger Zeit beschäftigen Sie sich auch mit dem Thema künstliche Intelligenz. Inwiefern betrifft Sie das in Ihrer Arbeit?
Künstliche Intelligenz (KI) ist wohl das Thema in Bezug auf Digitalisierung, das derzeit am meisten gehyped wird. Mir ist es deswegen ein Anliegen die Entwicklungen rund um dieses Feld im Blick zu behalten. Insbesondere verfolge ich hierbei im Moment, wie diverse KI-Anwendungen in der Seelsorge nutzbar gemacht werden könnten und wo sie vielleicht auch bereits zum Einsatz kommen.
In welchen Bereichen sehen Sie Schnittstellen zwischen Kirche und dem Thema künstliche Intelligenz?
Ich würde hier zwischen drei Bereichen unterscheiden: dem Beitrag zu einer ethischen Diskussion, dem Bildungsauftrag und dem konkreten Einsatz von KI. Ich glaube, Kirche kann mit ihrem christlichen Menschenbild einen großen Beitrag zur Diskussion rund um KI leisten: Menschenwürde und Menschenrechte müssen von KI respektiert werden und KI-Anwendungen müssen immer den Menschen in den Mittelpunkt stellen, sodass sie dem Menschen dienlich sind und nicht anders herum. Kirche kann ihre Position außerdem darauf verwenden, dass Auswirkungen von KI, zum Beispiel der damit verbundene Ressourcenverbrauch von Wasser und Energie, die Ausbeutung von Menschen bei der Erstellung von Trainingsdatensätzen und noch viele weitere Nachteile nicht vergessen werden.
Im Bildungsbereich kann Kirche mit ihren Einrichtungen der katholischen Erwachsenenbildung und der Jugendarbeit einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen ihre Autonomie auch gegenüber KI-Modellen bewahren und zumindest in Ansätzen verstehen, wie KI funktioniert, Daten verarbeitet und Ergebnisse generiert.
In der Verwaltung kann die Kirche sicherlich durch eine Effizienzsteigerung von künstlicher Intelligenz profitieren – auch wenn es bis dahin noch ein paar Jahre an Entwicklung braucht – und im seelsorgerlichen Alltag durch das Generieren kreativer neuer Ideen. Schade fände ich es persönlich, wenn Gottesdienstbausteine, Predigten oder E-Mail-Antworten zukünftig nur noch oder größtenteils von einer KI kämen: Diese neigt nämlich dazu, Inhalte zu generalisieren und „abzuschleifen“, sodass Texte und Angebote unpersönlich, generalistisch und wenig charismatisch werden. Ideen für Bausteine kann die KI aber sicherlich liefern.
ChatGPT ist zurzeit in aller Munde. Welche Erfahrungen haben Sie selbst schon gemacht, wie sich die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenzen etwa in der Seelsorge oder Bildung auswirkt?
Nicht nur ChatGPT, sondern auch diverse weitere Anwendungen, die z.B. Bilder in Text übersetzen, Übersetzungstools, Video-KI und vieles mehr ist derzeit im Gespräch. Genau mit diesen Tools – ich nenn sie „große Sprachmodelle“ – habe ich auch bereits experimentiert. In der Bildung ist es aus meiner Sicht deshalb wichtig, schnell Angebote zu schaffen, in denen Teilnehmende zu mündigen Nutzerinnen und Nutzern von KI-Tools werden und sich gewappnet sehen im Umgang mit diesen, denn dieser wird zukünftig kaum zu vermeiden sein. Dazu gehört für mich neben einem grundlegenden Wissen über KI auch ein kritischer Umgang mit Quellen, um Fake News, wie z.B. den Balenciaga-Papstmantel, von wahren Nachrichten unterscheiden zu können.
Bildung und Seelsorge müssen sich darüber hinaus Gedanken machen, wie gute Bildungsangebote, gute Lernprozesse, gute Seelsorgegespräche und gute Gottesdienste in einer Welt mit KI-Tools aussehen können. Künstliche Intelligenz sollte so genutzt werden, dass sie uns hilft, die Qualität der Angebote rund um Glaube und Bildung zu verbessern und nicht, um Angebote eins zu eins zu ersetzen. Das betrifft den Religionsunterricht genauso wie die Erwachsenenbildung, wo Lernprozesse mehr sein müssen als bloßes Fakten-Wiedergeben. Das betrifft die Seelsorge, die sich auf den Menschen einstellen muss, um anzukommen. Und die, um anzukommen, eben vielleicht auch KI als Instrument nutzt, aber sich nicht auf sie im Gesamten verlässt.
Welche Risiken ergeben sich Ihrer Meinung nach für die Kirche und ihren Auftrag daraus, dass teilweise nicht mehr kontrollierbar ist, was eine KI produziert und im Internet verbreitet?
Hinter jeder KI stehen immer noch Menschen. Anders als ein Mensch verfolgt eine KI keine Absicht mit ihren Handlungen, sondern sie produziert aufgrund von Wahrscheinlichkeiten und Kausalketten Ergebnisse, die der gestellten Frage oder Aufgabe von der Wahrscheinlichkeit am ehesten entsprechen. Die Intelligenz von Mensch und Maschine unterscheidet sich demnach erheblich, denn zu einem Menschen gehören auch ein ethisches Bewusstsein, Empathie, Gefühle und Erfahrungen, die eine Maschine zwar nach Wahrscheinlichkeiten in großen Datensätzen modellieren kann, die aber nicht eins zu eins abbildbar sind. Dementsprechend würde ich die Gleichsetzung von Mensch und Maschine, wie sie derzeit oft – alleine schon durch die Namensgebung von „Intelligenz“ – passiert, als Risiko für die Kirche und ihre Verkündigung sehen. Der Mensch als Teil von Gottes Schöpfung muss im Mittelpunkt der kirchlichen Aufmerksamkeit bleiben. Seelsorge, die nicht nah am Menschen ist, sondern sich von KI vertreten lässt, ist für mich nicht denkbar.
Dementsprechend ist es eine Herausforderung zu entscheiden, wo KI in der Kirche zum Einsatz kommen kann und wo sie besser nicht zum Einsatz kommen sollte. Aus meiner Sicht ergibt sich so der Anspruch an Kirche, dass sie besser, empathischer, menschenzugewandter und zielgruppenorientierter sein muss, als eine KI es kann. Nur so kann der Auftrag, das Weitertragen der Botschaft Christi, von ihr erfüllt werden. Nur so kommt sie noch bei den Menschen mit ihrer Botschaft an.
Fortschritt hat meistens zwei Seiten: Wo sehen Sie Chancen und Möglichkeiten der Entwicklung?
Die KI-Technologie macht bereits seit Jahren rasante Fortschritte und erst in der letzten Zeit wurde sie für uns Laien zugänglich. Ich finde, diese unglaubliche Leistung ist nicht hoch genug zu schätzen, da sie viele Vorteile mit sich bringt: So kann KI nicht nur für einen Chat oder das Verändern von Bildern genutzt werden, sie wird auch Fortschritte in Inklusion, Medizin, Verkehr, Landwirtschaft und noch vielen weiteren Bereichen mit sich bringen, die wir in ihrer Größe bisher nicht einschätzen können. KI kann dafür sorgen, dass neue Medikamente entwickelt werden aus Stoffen, die in ihrer Kombination bisher nicht mit einer bestimmten Wirkung in Verbindung gebracht wurden. Im Verkehr kann sie Staus und Unfälle verhindern, in der Landwirtschaft dafür sorgen, dass Ernten in von Hungersnöten betroffenen Regionen größer ausfallen. Dementsprechend würde ich sagen: Chancen und Möglichkeiten bietet die künstliche Intelligenz also viele. Wie sie genutzt werden, liegt an uns Menschen. Als Kirche, als Christinnen und Christen, müssen wir uns dafür einsetzen, diesen Entwicklungen und nicht den Fehlern der KIs den Weg zu ebnen. So kann sie uns auf dem Weg zu einem menschenwürdigen Leben für möglichst viele Menschen unterstützen.
Ob und wie uns KI in unserem persönlichen Glaubensweg und auf unserer eigenen Suche nach Gott unterstützen kann, werden wir sehen. Bisher verweist ChatGPT auf das Lesen der Bibel und auf die Kirche als Ansprechperson, wenn man fragt, wie man Gott finde. Seelsorgerinnen und Seelsorger sind also auf alle Fälle nach wie vor gefragt und unverzichtbar.
Interview: Katharina Winterlich
Tanja Köglmeier leitet die Fachstelle Medien und Digitales im Bistum.
Weitere Infos
Medien- und Filmverleih: Das Angebot der Medienzentrale Regensburg.