Der Limburger Tsunami. Ein Kommentar von Gernot Facius
Es ist nicht alles aus der Luft gegriffen, was Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst an Vorwürfen entgegengeschleudert wird: dass er bei den Kosten für das Diözesane Zentrum auf dem Limburger Domberg, ein Ensemble aus fünf Bauwerken, getrickst habe; dass er einen autoritären Regierungsstil pflege; dass er beratungsresistent sei, autistische Züge aufweise. Wann kommt es schon mal vor, Papst-Wahlen ausgenommen, dass das Fernsehen Sondersendungen bringt wie nach einem Tsunami und dafür mit hohen Einschaltquoten belohnt wird? Der Fall Limburg hat eine mediale Hysterie erzeugt, bei der allerdings weniger harte, belegbare Fakten als vielmehr Meinungen über Fakten im Fokus stehen; daran unterscheiden sich so genannte Qualitätszeitungen nur in Nuancen von den Schmuddelblättern, einige Gazetten haben inzwischen jedes Maß verloren. Aufklärung über Skandale gehört zu den originären Aufgaben der Presse, daran gibt es nichts zu deuteln.
Doch mit sensationslüsternem Herumhacken auf den aus dem Ruder gelaufenen Kosten und dem als „Lügen-Bischof“ betitelten Oberhirten, weil dieser sich im Streit mit dem „Spiegel“ dem Risiko eines Strafbefehls wegen falscher eidlicher Erklärung aussetzte, wird man die Komplexität des Problems nicht erfassen. Man muss auch den Boden untersuchen, auf dem solch spektakuläre Dinge gedeihen können. Es ist ja nicht so, dass in dem 650 000-Seelen-Bistum stets geschwisterliche Eintracht geherrscht hätte, „Limburg“ ist ein Synonym für innerkirchliche Unruhe. 1973 vermutete der damalige Apostolische Nuntius, Corrado Bafile, in der Stadt an der Lahn ein „Zentrum der Ausbreitung von Unordnung in den deutschen Diözesen“ und empfahl - erfolglos - die Abberufung von Bischof Wilhelm Kempf. Im Westerwald, im Rheingau und im Rhein-Main-Gebiet wehte der Wind des Zweiten Vatikanischen Konzils immer kräftiger als andernorts - oft mit konfliktträchtigen negativen Folgen: selbstgemachte Liturgien, Laien als Gemeindeleiter, Laienpredigten, unter Bischof Franz Kamphaus sogar offener Widerstand gegen Papst Johannes Paul II., nachdem dieser den deutschen Episkopat zum Ausstieg aus dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung aufgefordert hatte. Kamphaus' Nachfolger erhielt von Rom den Auftrag, Sonderwege zu beenden. Papst Benedikt XVI pries ihn im Januar 2008 als einen Geistlichen „mit herausragenden Gaben“, in der Seelsorge erfahren und damit „geeignet, dieses Bistum zu leiten“.
Wer (wie der Autor) miterlebt hat, wie hochgestellte Kirchenmänner bei der Bekanntgabe der Ernennung von Tebartz-van Elst die Augen verdrehten, erahnte, dass diese Personalentscheidung nicht ohne neue Querelen ausgehen würde. Dem damals 48 Jahre alten früheren Münsteraner Weibischof war die heikle Aufgabe zugefallen, das Bistum im Sinne des „Genuin-Katholischen“ (Bernhard Mihm vom Forum Deutscher Katholiken) zu sanieren und modernistische Tendenzen zu stoppen. Es begann alsbald ein Kampf in der Kirche um die Kirche. Böses Blut machte die Ankündigung, Gemeinden zusammenzulegen. Tebartz-van Est irritierte viele Gläubige mit der Warnung vor einer theologischen Überbewertung von Pfarreien, die Bezeichnung „Seelsorger“ solle den geweihten Amtsträgern vorbehalten bleiben. Den Wetzlarer Pfarrer Peter Kollas berief er vom Amt des Bezirksdekans ab; der Geistliche hatte zusammen mit einem evangelischen Pastor ein homosexuelles Paar gesegnet. Von diesem Zeitpunkt an verschärfte sich die Kritik an dem neue Oberhirten. „Orthodoxie“ habe bei ihm Priorität vor der Seelsorge, hielten Geistliche ihrem Vorgesetzen vor: „Kamphaus war Bischof von Limburg, Tebartz-van Elst ist ein Beamter Roms.“ So wurde Stimmung gemacht.
Des Bischofs eindeutige Positionierung gegen die „Homo-Ehe“, während viele Amtsbrüder eher verschwurbelt daherreden, hat ihm die Gegnerschaft aktiver katholischer Schwulen- und Lesben-Gruppen eigetragen, von denen es in der Limburger Diözese einige gibt, gut vernetzt mit Frankfurter Redaktionen. Eine gewisse Parallele zum Fall Augsburg 2010. Die mediale Mobilisierung gegen Bischof Walter Mixa setzte ein, als Mixa nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle die Auswirkungen der „sexuellen Revolution“ der 68er thematisierte. Wer die Limburger Situation richtig einordnen will, darf nicht ignorieren, dass das Bistum schon lange in Parteien zerfallen ist, die sich gegenseitig belauern. Ein Neuanfang, ob mit Tebartz-van Elst oder einem Neuen, wird nur gelingen, wenn diese Spaltung überwunden wird. Dabei muss auch die Frage beantwortet werden, wer hinter den Durchstechereien steckt, welche die Debatte über den (vermeintlichen) „Protz“ ausgelöst haben.
Der Kommunikationsexperte Hasso Mansfeld, nicht unerfahren auf dem Terrain, hat sie gestellt: Wurde die Debatte von jenen befeuert, die lange Teil des bischöflichen Wissens waren und nun angesichts der Attacken gegen den Bischof ihre Haut retten wollen? Immerhin hat der Bischofskonferenz-Vorsitzende, Robert Zollitsch, jetzt davor gewarnt, übereilt den Stab über Tebartz-van Elst zu brechen: Es dürfe keine „Schnellschüsse“ geben. Gut gesagt. Aber wie lange wird Rom dem medialen Druck, den sich in Deutschland schon einige Bischöfe gebeugt haben, standhalten? Das ist die Frage.