Zwischenbericht des Bistums zu Beschuldigungen von Straftaten körperlicher Gewalt
24.02.15
Dank von Angelika Glaß-Hofmann, Ansprechpartnerin des Bistums Regensburg für Opfer von Körperverletzung von März 2010 bis August 2016
Zunächst möchte ich mich bei allen bedanken, die mir in den vergangenen Jahren ihr Vertrauen geschenkt haben. Sie haben mir von tiefgreifenden Verletzungen und Gewalttaten berichtet, die Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen zu verantworten hatten. Diese Straftaten wurden als Übergriffe auf die Menschenwürde und als Demütigung mit oft erheblichen Folgen auf die weiteren Lebenswege empfunden. Es handelte sich bei diesen Übergriffen um brutale Verletzungen und unmenschliche Eingriffe in die Persönlichkeit von Kindern.
Deshalb bin ich sehr froh darüber, wenn sich die damaligen Opfer von Gewalttaten an mich als Beauftragte der Kirche gewandt haben und mir das Vertrauen entgegenbrachten, von den Straftaten zu berichten, deren Opfer sie als Kinder wurden. Sie geben damit der Kirche die Gelegenheit, die Straftaten aufzuarbeiten, die von kirchlichen Mitarbeitern begangen wurden, und Anteilnahme, Hilfe und Anerkennung zu leisten und um Vergebung zu bitten.
Mit diesem Bericht möchte ich persönlich und im Namen des Bistums Regensburg zum Ausdruck bringen, dass die Berichte der ehemaligen Schüler und Anvertrauten gehört und verstanden wurden und angekommen sind. Das gilt insbesondere auch für die Verantwortlichen des Bistums Regensburg, die ich ausführlich informiert habe. Dazu möchte ich an dieser Stelle auch auf die Predigt von Bischof Voderholzer verweisen, die er anlässlich seines zweiten Weihejubiläums gehalten hat.
In seiner Ansprache bei der Vesper im Regensburger Dom anlässlich seines Weihejubiläums am 25. Januar 2015 sagte Bischof Rudolf Voderholzer:
„Zu den schweren Lasten und den bedrückenden Erfahrungen des Bischofsamtes gehört die Konfrontation mit den Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter und die Fälle von körperlicher Gewalt, vor allem in der Einrichtung in Etterzhausen und Pielenhofen, die erst jüngst wieder in der Öffentlichkeit dargestellt wurden und viele Menschen auch über das Bistum hinaus tief betroffen gemacht haben und betroffen machen.
Sie dürfen mir glauben: Es schmerzt mich und tut mir in der Seele weh: jeder einzelne Fall, hinter dem ja ein Mensch steht, eine Kinderseele in diesen Fällen, schwer gequält, oft für das Leben gezeichnet. Ich kann es nicht ungeschehen machen und die Betroffenen nur um Vergebung bitten.
Mein Anliegen war es von Anfang an, mit möglichst vielen Opfern persönlich zu sprechen – vorausgesetzt, die Gefahr einer Retraumatisierung kann ausgeschlossen werden –, sie anzuhören und sie auch persönlich um Vergebung zu bitten. Ich wollte und will es nicht an die große Glocke hängen, weil es mir um die Menschen selber geht. Aber die Art und Weise, wie die Sache gegenwärtig in der Öffentlichkeit dargestellt wird, nötigt mich, auch öffentlich wenigstens ein paar Sätze dazu zu sagen.
Ich bin Frau Dr. Birgit Böhm [Missbrauchsbeauftragte des Bistums Regensburg bis 2013] sehr dankbar, die – selbst schon todkrank – mich begleitet hat, um Missbrauchsopfer zu besuchen. Leider ist sie schon im Mai 2013 heimgerufen worden. Ich habe dann umgehend, nachdem er ins Amt gekommen war, auch ihren Nachfolger Dr. Martin Linder gebeten, diese Begleitung fortzusetzen, und die Besuche auch auf die Opfer von körperlicher Gewalt ausgedehnt. Hier steht mir Frau Angelika Glaß-Hofmann zur Seite. Zwei der damaligen Verantwortlichen in Etterzhausen und später noch in Pielenhofen haben den jungen Buben durch ihr Terrorsystem, dessen einzige pädagogische Maßnahme offenbar die körperliche Züchtigung war, die Hölle bereitet, man kann es nicht anders sagen. Und man weiß nicht, was schwerer wiegt, die Striemen und blauen Flecken am Körper oder die Wunden der Seele, die nicht so schnell, oft gar nicht heilen. Es steht mir nicht zu, über die Täter zu urteilen oder zu richten. Sie können nicht mehr gehört werden, weil sie gestorben sind. Sie müssen sich vor dem Richterstuhl Christi verantworten. Aber es entsetzt und beschämt mich, wenn von so vielen weitgehend Gleichlautendes berichtet wird und dass ihnen nicht geglaubt wurde und somit ihr Leid verdoppelt wurde.
Ich möchte heute und an dieser Stelle alle Betroffenen noch einmal ausdrücklich bitten, sich zu melden und Vertrauen zu haben in das Bistum. Uns ist ihr Schicksal nicht egal! Und ich werde weiter, aber im Verborgenen, mit Opfern sprechen und zwar mit möglichst vie-len, mit allen, wenn sie es wünschen und wenn ich damit dazu bei- tragen kann, wenigstens ein wenig an der Heilung mitzuwirken.“
von Clemens Neck, Leiter der Presse- und Medienabteilung des Bistums
Im ersten Zwischenbericht über Straftaten körperlicher Gewalt durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche vom 30.03.2010 mussten wir auf eine Vielzahl von Straftaten hinweisen, die in Einrichtungen der Kirche an Kindern begangen wurden. Besonders ehemalige Schüler der Vorschule der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen bzw. Pielenhofen erhoben in großer Übereinstimmung schwerwiegende Körperverletzungsvorwürfe. Diese Vorwürfe haben sich in einer Vielzahl von Gesprächen und Berichten bestätigt, die in der Zeit zwischen 2010 und heute von uns geführt wurden beziehungsweise erreicht haben. Gesprächspartner von Betroffenen waren vor allem Angelika Glaß-Hofmann und Rechtsanwalt Dr. Andreas Scheulen. Gespräche wurden aber auch von Bischof Rudolf Voderholzer und Generalvikar Michael Fuchs geführt.
Aufgrund dieser Gespräche legt dieser Zwischenbericht seinen Schwerpunkt auf die Straftaten, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirche im Internat der Vorschule der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen und Pielenhofen begangen wurden. Er gliedert sich in vier Teile:
- Der Bericht beschreibt die Gewalttaten, denen Kinder in Etterzhausen und Pielenhofen ausgesetzt waren.
- Er enthält die rechtliche Würdigung der erhobenen Vorwürfe unter Berücksichtigung des zum Tatzeitpunkt geltenden Züchtigungsrechts und Empfehlungen.
- Der Bericht zeigt auf, wie das Bistum Regensburg die Vorwürfe annimmt und anerkennt.
- Er weist auf die heute geltenden pädagogischen Grundsätze im Bistum Regensburg hin und legt dar, wie das Bistum Regensburg in dem Fall vorgeht, dass aktuelle Vorwürfe körperlicher Gewalt gegen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter im kirchlichen Dienst bekannt werden.
von Angelika Glaß-Hofmann und Dr. Andreas Scheulen
Bei der Vorschule der Regensburger Domspatzen in Etterzhausen und seit Schuljahr 81/82 in Pielenhofen handelte es sich um ein Jungeninternat, dessen Schüler die dritte und vierte Klasse der Grundschule besuchten und das von 1953 bis 1992 von dem Priester Johann Meier geleitet wurde. Rechtlich war die Einrichtung ab 1957 als selbständige Stiftung organisiert.
In den vergangenen fünf Jahren haben sich 72 ehemalige Schüler dieser Einrichtung mit Vorwürfen der Körperverletzung gemeldet. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf die Jahre von Direktor Meier. Die Kontakte mit diesen Betroffenen bestanden zum einen aus Gesprächen, die von großem Vertrauen geprägt waren und mitunter auch therapeutischen Charakter hatten. Andere Kontakte fanden auch am Telefon statt. Einige beschränkten sich auf einen schriftlichen Austausch per Mail oder Brief.
Nach übereinstimmender Darstellung der ehemaligen Schüler hat es in der Zeit, in der Johann Meier Direktor der Vorschule der Domspatzen war, körperliche Übergriffe in erheblichem Umfang gegeben.
Es wurde von allen berichtet, dass die betroffenen Kinder im Grundschulalter regelmäßig ohne, mit und aus geringfügigen Anlässen bestraft wurden. Es handelte sich dabei um Prügelstrafen, Schläge mit der Hand und mit den Fäusten in das Gesicht und auf den ganzen Körper, teilweise bis die Kinder zu Boden gingen, und Schläge mit Gegenständen. Es wurde berichtet, dass Kinder auch mit einem Schlüsselbund geschlagen worden seien.
Bei den Übergriffen habe es sich um erhebliche, schmerzhafte Schläge gehandelt, nicht um bloße Backpfeifen. Schläge mit einem großen oder kleinen Stock führten zu nachhaltigen Verletzungen. Wenn die Kinder nach Eintritt der Nachtruhe in ihren Mehrbettzimmern noch gesprochen hätten, so seien sie entweder einzeln mit Ohrfeigen oder kollektiv durch dreißig- bis sechzigminütiges Barfuß-im-Flur-Stehen bestraft worden. Direktor Meier habe auch während der Messe geschlagen.
Es wurde berichtet, dass neben dem Direktor auch weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vorschule - teils bereits vor 1953 - ebenfalls besonders erheblich zugeschlagen haben. Ein Mitarbeiter habe einen Siegelring getragen, den er vor dem Schlagen gedreht habe, um die Wucht der Schläge zu verstärken. Grundschulkinder wurden an den Koteletten gerissen. Über verschiedene Instrumental- und Musiklehrer wurde berichtet, sie hätten die Kinder geschlagen, mit spitzen Bleistiften malträtiert oder bei fehlerhaftem Spiel den Klavierdeckel zugeschlagen und die Hände der Kinder dabei verletzt. Die ehemaligen Schüler berichteten, dass sie sich in einem permanenten Angstzustand befunden hätten.
Als besonders demütigend wurden die Strafen beschrieben, die Kindern zugefügt wurden, die unter einer Enuresis litten. Mit diesem Begriff wird ein unwillkürliches Einnässen nach dem 3. oder 4. Lebensjahr bezeichnet, ohne dass eine körperliche Ursache vorliegt. Dieses Verhalten kann unter anderem durch physische und psychische Belastungen der Kinder hervorgerufen werden. Man begegnete diesen Kindern mit Flüssigkeitsentzug in der zweiten Tageshälfte und nach erfolgtem Einnässen mussten die Kinder verunreinigte Bett- oder Unterwäsche unter demütigenden Umständen säubern, wobei sie dem so provozierten Spott der Klassenkameraden ausgesetzt wurden.
Briefe seien zensiert worden. Es habe in regelmäßigen Abständen nach Hause geschrieben werden müssen. Diese Briefe seien gelesen und bei Bedarf „angepasst“ worden. Sie hätten nach einhelliger Schilderung immer mit den Worten „Liebe Eltern, mir geht es gut, wie geht es Euch?“ beginnen müssen. Eingehende Briefe und Pakete seien geöffnet übergeben worden.
Auch von Beleidigungen wurde berichtet. Zum Beispiel habe eine Ordensschwester einen farbigen Schüler beleidigt. Herr Direktor Meier habe die Schüler häufig mit Worten herabgesetzt und gedemütigt.
Die ehemaligen Schüler berichten in den Gesprächen ausführlich, detailreich, zumeist ohne Belastungseifer und glaubwürdig von den Geschehnissen. Erhebliche Widersprüche waren nicht zu verzeichnen, vorhandene Erinnerungslücken sind verständlich, weil die geschilderten Straftaten mitunter mehr als 50 Jahre zurückliegen. Die übergebenen und persönlich geschilderten Geschehnisse erscheinen in vollem Umfang glaubhaft.
von Dr. Andreas Scheulen, Rechtsanwalt
Durch Direktor Meier und weitere Mitarbeiter wurden Straftatbestände gegen die körperliche Unversehrtheit der Schüler verwirklicht.
Bei der Würdigung ist der Zeitpunkt der Verwirklichung der Straftatbestände zu berücksichtigen. Lange Zeit beriefen sich Eltern und Lehrer auf ihr Züchtigungsrecht. Die geschilderten Vorgänge in Etterzhausen überschritten das Züchtigungsrecht jedoch auch nach damaligem Rechtsverständnis erheblich und waren nicht mehr durch den Rechtfertigungsgrund gedeckt.
a. Körperverletzung und Züchtigungsrecht
Heute ist jede Züchtigung der Schüler durch Lehrer verboten. Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) stellt klar, dass eine körperliche Züchtigung der Schüler nicht zulässig ist, Art. 86 Abs. 3 Satz 2 BayEUG. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) stellt für die elterliche Personensorge klar, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig, § 1631 Abs. 2 BGB.
Das war aber lange Zeit nicht der Fall und umstritten. Züchtigungen - also Körperstrafen - wurden für eine Körperverletzung entweder als nicht tatbestandsmäßig oder als gerechtfertigt angesehen, wenn und soweit sie maßvoll und angemessen ausgeübt wurden (BGH, Urteil vom 14. Juli 1954, Az. 5 StR 688/53, NJW 1954, 1615 = BGHSt 6, 263; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1957, Az. 2 StR 458/56, NJW 1958, 799 = BGHSt 11, 241). Der Bundesgerichtshof stellte zwar klar, dass Züchtigungen durch Lehrer, auch wenn ihnen Erziehungsabsichten zugrunde lagen, ihrem Wesen und ihrem Zweck nach der Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen dienten und damit tatbestandsmäßige Köperverletzungen, körperliche Misshandlungen, vorlagen, § 223 StGB. Die Bundesrichter hielten diese Köperverletzungen jedoch dann für gerechtfertigt und straflos, wenn der Lehrer zur Züchtigung rechtlich befugt war und sich innerhalb der Grenzen dieser Befugnis hielt. Die rechtliche Befugnis zur Züchtigung ergab sich aus dem Gewohnheitsrecht. Die Grenzen der Züchtigungsbefugnis nach Anlass, Zweck und Maß wurden ebenfalls durch Gewohnheitsrecht bestimmt. Danach sei jede quälerische, gesundheitsschädliche, das Anstands- und Sittlichkeitsgefühl verletzende, nicht dem Erziehungszweck dienende Züchtigung verboten. Immer wieder betonte der Bundesgerichtshof, dass die Züchtigung maßvoll zu sein hatte. Die vom Lehrer vorgenommene Züchtigung sei durch das ihm grundsätzlich zustehende Züchtigungsrecht nur dann gerechtfertigt, wenn im einzelnen Fall ein hinreichender Anlass zur Züchtigung bestanden habe, wenn der Lehrer in der Absicht richtig verstandener Erziehung gehandelt und wenn er die rechtlichen Grenzen des Züchtigungsrechts eingehalten habe. Dazu gehörte, dass die Züchtigung angemessen war (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1957, Az. 2 StR 458/56, NJW 1958, 799 = BGHSt 11, 241).
Schläge mit dem Rohrstock auf die Hand oder das Gesäß waren für die Bundesrichter die allgemein üblichen Züchtigungsmittel. Sie begegneten, so die Bundesrichter, wenn sie maßvoll angewandt wurden, keinen rechtlichen Bedenken. Ohrfeigen, die keine Merkmale an der getroffenen Stelle hinterließen, hielten sich ebenfalls innerhalb der Grenzen des Züchtigungsrechts. Wenn freilich ein Schüler infolge geschwächter Gesundheit oder wegen eines besonderen Leidens auch durch eine maßvolle Ohrfeige gefährdet würde, so überschritt der Lehrer mit einer solchen Ohrfeige das ihm zustehende Züchtigungsrecht, selbst wenn keine Gesundheitsschädigung als Folge eintrat. Eine bewusste körperliche Gefährdung des Schülers sei mit dem Erziehungszweck nicht vereinbar (BGH a.a.O.). Der 5. Senat des Bundesgerichtshofs zweifelte dagegen bereits 1954 daran, ob die Erziehung in der Schule überhaupt jemals die körperliche Züchtigung eines Schülers notwendig mache, und betonte, dass die Erziehung dem Besten des zu Erziehenden dienen müsse. Die Züchtigung dürfe nicht dazu bestimmt sein, auf andere Kinder zu wirken. Gewiss solle die Schule das Kind auch dazu erziehen, sich in eine größere Gemeinschaft einzufügen. Diesem Zweck werde aber die Demütigung des Kindes vor dieser Gemeinschaft oft nur schaden (BGH, Urteil vom 14. Juli 1954, Az. 5 StR 688/53, NJW 1954, 1615).
In seinem Urteil vom 12. August 1976, Az. 4 StR 270/76, NJW 1976,1949, deutete der Bundesgerichtshof an, dass im Hinblick auf Art. 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) eine Züchtigungsbefugnis des Lehrers nicht mehr durch einen gewohnheitsrechtlichen Satz gerechtfertigt werden könne. Heute dürfen Lehrer die ihnen anvertrauten Schüler nicht mehr züchtigen, für eine gewohnheitsrechtliche Rechtfertigung besteht kein Raum mehr. Die Landesgesetze verbieten die körperlichen Züchtigungen von Schülern (BGH, Beschluss vom 5. August 1993, Az. 1 StR 436/93, NStZ 1993, 591).
Auch das elterliche Züchtigungsrecht hat eine lange Rechtsentwicklung erlebt. Am 2. November 2000 (BGBl I, 1479) wurde mit dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung § 1631 Abs. 2 BGB in der oben genannten Fassung verabschiedet und trat am 8. November 2000 in Kraft. Danach haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
In der ursprünglichen Fassung des § 1631 Abs. 2 BGB stand, dass der Vater „kraft Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden“ durfte. Am 1. Juli 1958 wurde § 1631 Abs. 2 BGB in seiner alten Fassung gestrichen, da das alleinige väterliche Züchtigungsrecht gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz von Mann und Frau in Artikel 3 GG verstieß. Das Züchtigungsrecht der Eltern galt gewohnheitsrechtlich weiter. Das Kind wurde damals nicht als Subjekt und Träger eigener Rechte begriffen (so Peschel-Gutzeit, Der lange Weg zur gewaltfreien Erziehung, Schriftliche Fassung eines Vortrags vom 30. März 2001 in Berlin, www.liga-kind.de). Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 29. Juli 1968, Az. 1 BvL 20/63, 1 Bv 31/66, 1 Bv 5/67, BVerfGE 24, 119, klar, dass das Kind ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ist und betonte die besondere Elternverantwortung. Am 1. Januar 1980 trat mit der Reform des Kindschaftsrechts § 1631 Abs. 2 BGB in der Fassung in Kraft, dass entwürdigende Erziehungsmaßnahmen unzulässig waren. 1998 wurde § 1631 Abs. 2 BGB dahingehend geändert, dass „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen“, als unzulässig angesehen wurden. Seit dem Jahr 2000 besteht das Recht auf gewaltfreie Erziehung.
Auch im Schulwesen entwickelte sich die Gesetzgebung hin zum Verbot der körperlichen Strafen. Mit der Allgemeinen Schulordnung vom 2. Oktober 1973, GVBl S. 535, erließ das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus das Verbot körperlicher Strafen gegenüber Schülern, § 39 Abs. 4 Satz 1, als Verordnung. Nach dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) ist heute eine körperliche Züchtigung der Schüler nicht zulässig, Art. 86 Abs. 3 Satz 2 BayEUG.
b. Straftatbestände
Die uns geschilderten Sachverhalte verwirklichten den Tatbestand der Körperverletzung. Die durchgeführten bestrafenden Maßnahmen waren schon damals nicht durch das Züchtigungsrecht gerechtfertigt. Die von den Schülern geschilderten Bestrafungen geschahen oftmals ohne Anlass, waren regelmäßig weder angemessen noch maßvoll.
Wer eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit schädigt, begeht eine Körperverletzung, § 223 StGB. Durch die Schläge und andere Gewaltakte wurden die Kinder körperlich misshandelt und an der Gesundheit verletzt. Die Taten waren auch rechtswidrig und schuldhaft.
Die Körperverletzungen wurden teilweise auch mit einem gefährlichen Werkzeug begangen, sodass auch § 224 Abs. 1, Nr. 2 2. Alternative StGB verwirklicht wurde. Als ein gefährliches Werkzeug im Sinne der Norm ist jedes Werkzeug anzusehen, das nach seiner Beschaffenheit und seiner Art der konkreten Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Das Schlagen mit dem kleinen Stock dürfte den Tatbestand noch nicht verwirklicht haben, anderes gilt aber für das Schlagen mit dem Schlüsselbund. Dieser war geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Gleiches gilt für die Bleistifte.
Der Tatbestand der Beleidigung, § 185 StGB, wurde ebenfalls verwirklicht. Durch die Äußerungen wurden die Schüler in ihrer Ehre herabgesetzt.
Schließlich wurde auch durch das unerlaubte Öffnen eingehender Briefe und Pakete der Kinder das Postgeheimnis verletzt, § 202 StGB.
Diese Straftaten sind jedoch bereits verjährt, viele Beschuldigte sind bereits verstorben. Mögliche zivilrechtliche Ansprüche in Bezug auf die geschilderten Taten sind ebenfalls verjährt. Mit den Mitteln der Strafjustiz können die vorgeworfenen Beschuldigungen nicht mehr aufgearbeitet werden.
c. Empfehlungen
Angesichts der Schwere, der Häufigkeit, der Dauer und der Plausibilität der vorgeworfenen Straftaten empfehle ich dem Bistum Regensburg:
- die geschilderten Übergriffe als erlittenes Leid anzuerkennen und dies mit einer pauschalen Anerkennungsleistung zum Ausdruck zu bringen, deren Höhe sich an den regelmäßig von deutschen Gerichten bei vergleichbaren Beeinträchtigungen als Schmerzensgeld zuerkannten Beträgen orientiert;
- therapeutische Hilfen anzubieten für die ehemaligen Schüler;
- die Verantwortlichkeit zu klären, warum über einen so langen Zeitraum in einer kirchlichen Einrichtung in diesem Maße gegen alle Grundsätze einer christlichen Pädagogik verstoßen werden konnte.
von Generalvikar Michael Fuchs
Das Bistum Regensburg wird sich an den Empfehlungen des beauftragten Rechtsanwalts Dr. Andreas Scheulen ausrichten. Das bedeutet im Einzelnen:
- Zwischen 2010 und 2015 haben 72 ehemalige Schüler Vorwürfe erheblicher körperlicher Gewalt geschildert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Internates in Etterzhausen/Pielenhofen zuzuordnen sind. Das Bistum Regensburg anerkennt das von den Schülern erlittene Leid und bringt dies mit einer Leistung von 2.500 € zum Ausdruck. Das Bistum wird dazu umgehend mit den Betroffenen Kontakt aufnehmen.
- Wir bitten alle Betroffenen, sich an Angelika Glaß-Hofmann zu wenden, soweit weitere Vorwürfe zu erheben sind oder aus anderen Gründen das Gespräch gesucht wird. Darüber hinaus möchte Bischof Rudolf Voderholzer auch in Zukunft mit Betroffenen das Gespräch suchen.
- Das Bistum Regensburg wird im Anschluss seine Aufarbeitungstätigkeit von einer unabhängigen Stelle prüfen lassen. Bei dieser Stelle sollen auch die Kritiker der Vorgehensweise des Bistums Regensburg ihre Einwände zur Geltung bringen können. Diese Stelle soll auch der Frage nachgehen, warum im Vorschulinternat Etterzhausen/Pielenhofen über einen derart langen Zeitraum Straftaten dieses Ausmaßes und dieser Schwere begangen werden konnten. Sobald feststeht, in welcher Weise dieses Vorhaben umzusetzen ist, werden wir davon die Öffentlichkeit unterrichten.
von Generalvikar Michael Fuchs
Die heutige Arbeit in den kirchlichen Schulen und pädagogischen Einrichtungen des Bistums geht von der unverletzlichen Würde eines jeden Kindes aus. Darauf sind die Aus- und Fortbildung des Personals und die Grundsätze der Einrichtungen ausgerichtet. Dazu gehört, die Sensibilität für eine kindgerechte Pädagogik bei den Mitarbeitern zu pflegen und weiter zu vertiefen.
Wie geht das Bistum Regensburg in dem Fall vor, dass aktuelle Vorwürfe körperlicher Gewalt gegen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter im kirchlichen Dienst bekannt werden?
Grundsätzlich orientiert sich das Bistum Regensburg an den Richtlinien, wie sie für staatliche Schulen gelten. Dies bedeutet, dass die Verantwortlichen der Einrichtung unverzüglich die Eltern informieren und dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahmen in die Wege leiten. Die Eltern entscheiden als Erziehungsberechtigte, ob der Vorwurf zur Anzeige gebracht wird.
Zum Abschluss dieses Berichts möchten wir die Gelegenheit nutzen, Betroffene zu ermutigen, wenn sie in ihrer Schulzeit körperliche Gewalt durch kirchliche Mitarbeiter/Innen erlitten haben, sich an die zuständigen Stellen zu wenden.
Kontakt: Dr. Andreas Scheulen (Rechtsanwalt)
Früherer Bericht Lesen Sie hier den Zwischenbericht zu Meldungen der Opfer von Körperverletzung vom 30. März 2010.