Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Interview mit Gerhard Ludwig Kardinal Müller

„Leo XIV. steht über Trump und Anti-Trump“


Rom / Regensburg, 13. Mai 2025

Robert Francis Prevost, der neue Papst Leo XIV., hat sich als Augustinermönch und Bischof in Peru lange für arme Menschen eingesetzt. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der frühere Glaubenspräfekt und davor Bischof von Regensburg, verbrachte in seiner Zeit als Theologieprofessor viele Urlaubsmonate ebenfalls in Peru als Seelsorger für die Armen. Im Interview spricht Kardinal Müller über die Berührungspunkte zwischen beiden.

Herr Kardinal, der neue Papst hat lange Jahre in Peru verbracht, wo auch Sie schon seelsorgerlich tätig waren. Verbindet das miteinander?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller: Auf jeden Fall. Sowohl was die spanische Sprache angeht als auch die Kultur, die eine mehr oder weniger geglückte Synthese ist von spanisch-europäischer und der Inka- oder Azteken-Kultur. Aber es verbindet der katholische Glaube, der seinen Reichtum in allen Kulturen ausdrücken kann entsprechend der Botschaft von Pfingsten in der Apostelgeschichte: „Wie kommt es, dass jeder sie (die Apostel) in seiner Muttersprache hören kann?“ bzw. die Reaktion der Hörer auf die Predigt des Petrus: „Wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden." Es ist die Sprache der Liebe Gottes zu allen Menschen, die sie im Heiligen Geist verbindet – selbst wenn sie im philologischen Sinn nicht alle anderen Sprachen verbal und grammatikalisch verstehen.

Sie waren mit dem peruanischen Theologen Gustavo Gutierrez befreundet und haben seine „Option für die Armen" geteilt. Wird das auch einer der Schwerpunkte von Leo XIV. sein?

Kardinal Müller: Ja. Papst Franziskus hat ein Vorwort geschrieben zu unserer gemeinsamen Veröffentlichung „Die arme Kirche für die Armen". Natürlich sind hier auch materiell Arme gemeint, denen es am Nötigsten fehlt, um die Menschenwürde zu bewahren, aber auch die Menschen an den existenziellen Peripherien, die bei allem pekuniären Überfluss den höheren und ewig-unverlierbaren Sinn ihres Lebens verloren haben. Allen Menschen ist Christus nahe, der ewige Sohn Gottes, der aber in der Menschwerdung, der Inkarnation, unser Leben geteilt hat mit all seinen Höhen und Tiefen. Niemand ist verloren, der auf Jesus von Nazaret vertraut in seinem Leben und Sterben.

Leo XIV. hat bereits angekündigt, dass er das Konzept seines Vorgängers von einer synodalen Kirche weiterverfolgen wird. Wie weit können Sie da mitgehen?

Kardinal Müller: Synodal heißt, dass alle Christen zusammenwirken, sowohl die Laien und die Ordensleute als auch die Priester und Bischöfe in ihrer jeweiligen ihnen von Christus, dem Haupt der Kirche, gegebenen Verantwortung. Papst Franziskus hat selbst vor einer Verwechslung mit einem Parlament gewarnt, nicht weil wir Angst haben vor der Demokratie als Verfassung eines Staates, sondern weil wir festhalten müssen, dass die Kirche Gottes von ganz anderer Natur ist als ein von Menschen organisierter Staat. Falsch ist der Zugang zur Kirche mit weltlichen Kategorien des Kampfes um den größeren Anteil an der politisch missverstandenen Macht und die Applikation der ideologisch-spaltenden Kategorien von „konservativ et cetera“ und „liberal-progressistisch" auf die Kirche, die das Volk und Haus Gottes ist, der Leib Christi und der Tempel des Heiligen Geistes.

Was bedeutet das konkret?

Kardinal Müller: Es ist heute fast ein Kampf gegen die Windmühlen des säkularistischen Zeitgeistes, der nur politische Kategorien anerkennt, diese inkommensurablen Kategorien klar zu machen. Im Vorkonklave und im Konklave herrschte eine große Einigkeit (anders als im Film „Konklave“), dass wir die Kirche mit theologischen Kategorien betrachten müssen, um nicht der Gefahr zu erliegen, die Stiftung Gottes in eine weltlich-humanitäre Nichtregierungsorganisation (NGO) umzuwandeln. In der Kirche Christi geht es um eine christliche Lebensführung und um das ewige Heil des Menschen im dreifaltigen Gott.

Sie wurden als „Trump der katholischen Kirche“ bezeichnet, Leo XIV. gilt bereits als „Anti-Trump“. Stehen Sie also auf verschiedenen Seiten?

Kardinal Müller: Bei so viel theologischer Ignoranz schweigt beklommen der Verstand. Die Kirche ist 2000 Jahre älter als Trump, Putin und Xi Jingping und alle anderen Herrscher dieser Welt. Wie kann man geistig so beschränkt sein, die Kirche als Sakrament des Heils der Welt in Jesus Christus nach dem Machtkalkül weltlicher Politiker einzuordnen? Der neue Papst steht tausend Kilometer über der Propaganda-Dialektik von Trump und Anti-Trump. Allein schon die Frage ist – mit Nietzsche gesprochen – „Jenseits von Gut und Böse“.

Was erwarten Sie vom neuen Papst für das Verhältnis zur katholischen Kirche in Deutschland?

Kardinal Müller: Die katholische Kirche in Deutschland kann keine Sonderrolle beanspruchen – dazu ist sie religiös zu ausgelaugt und theologisch viel zu schwach und im Gegensatz zu ihren aufgeblasenen Funktionären im Weltmaßstab fast bedeutungslos. Wann hört endlich einmal in Politik und Kirche die aberwitzige deutsche Arroganz auf, alle Welt belehren und bekehren zu wollen? In Deutschland haben wir mehr zu lernen von anderen, als dass wir in allen anderen Erdteilen als deren selbstgefällige Lehrmeister auftreten.

Das klingt aber sehr negativ.

Kardinal Müller: Wir brauchen uns auf der anderen Seite nicht anderen unterwürfig anzudienen, sondern können uns orientieren an unseren großen Heiligen und Lehrern wie Bonifatius, Hildegard von Bingen, Albert der Große, aber auch in jüngerer Zeit Alfred Delp SJ und der evangelische Pastor Dietrich Bonhoeffer im Kampf gegen den atheistisch-menschenfeindlichen Nationalsozialismus. Zu nennen sind hier auch Adolph Kolping und der Bischof von Mainz, Emmanuel von Ketteler, mit ihren Beiträgen zur katholischen Soziallehre, die Papst Leo XIV. an seinem Vorgänger Leo XIII. mit seiner epochalen Enzyklika „Rerum novarum“ von 1891 so sehr schätzt. Darin könnte die katholische Kirche in Deutschland ein Vorbild sein für die weltweite Kirche und auch die Gesellschaftsentwicklung positiv beeinflussen.

Das Interview führte Karl Birkenseer für die Mediengruppe Bayern.

(SG/sig/kw)



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