Deutsch-tschechischer Begegnungstag mit Gedenken an EU-Beitritt und Erzabt Anastáz Opasek
„Europa ist die genialste Idee, die uns passieren konnte“
Rohr, 9. August 2024
Zwei Gedenken standen im Zentrum beim inzwischen dritten deutsch-tschechischen Begegnungstag, diesmal im niederbayerischen Benediktinerkloster Rohr: Der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union vor 20 Jahren und der Tod des Erzabtes des Klosters Břevnov Anastáz Opasek vor 25 Jahren. Anhand von kurzen Vorträgen und Podiumsgesprächen wurden die zwei Anlässe in Erinnerung gerufen und in ihrer Bedeutung für heute gewürdigt.
Vor dem Gottesdienst freute sich Dr. Albert-Peter Rethmann, der Bundesvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, darüber, dass die Asam-Kirche bis auf den letzten Platz mit Mitgliedern der Ackermann-Gemeinde und der tschechischen Sdružení Ackermann-Gemeinde besetzt war. Hauptzelebrant war der Leitmeritzer Bischof Stanislav Přibyl, der seit März dieses Amt ausübt, doch bei der Ackermann-Gemeinde kein Unbekannter ist.
„Erzabt Opasek war ein prophetischer Mensch“
In seiner Predigt beleuchtete er den Begriff „Prophet“ und die Bedeutung eines Propheten: Berufung, Reden über Gott zu den Menschen, manchmal etwas seltsame Tätigkeiten und Aufgaben sowie Ungewissheit, wohin der Weg führen soll. Aber, so Bischof Přibyl, „eine Aufgabe, die man von Gott bekommt. Ein Prophet zu werden ist ein Preis, den ein Mensch nur im Glauben entgegennehmen kann“. Und das könne auch mit dem Tod enden. Mit Blick auf 20 Jahre EU-Beitritt Tschechiens verdeutlichte der Oberhirte, dass die europäische Einigung vor allem als „Reaktion und Nachdenken über die Sinnlosigkeit des Hasses und Krieges“ begonnen wurde – federführend damals von Konrad Adenauer und Robert Schuman, auch mit dem Gedanken des sich gegenseitig Vergebens. Trotz heute in manchen Punkten berechtigter Kritik – „im Kern brennt immer noch die prophetische Idee der Gründerväter“, stellte der Leitmeritzer Bischof fest. Er verwies auf die Aufforderung Papst Johannes Pauls II., der zur Rückkehr Europas zu seinen christlichen Wurzeln aufrief.
Mit dem Hinweis auf die Vertreibung der Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs und der Benediktiner aus dem Kloster Braunau kam er auf den zweiten Gedenkanlass – Erzabt Opasek. Auch er habe nach dem Ende des Prager Frühlings seine Heimat verlassen müssen und Aufnahme und „ein Stück Heimat“ bei den Benediktinern in Rohr gefunden. „Erzabt Opasek war ein prophetischer Mensch, denn nichts konnte ihn von der Liebe Christi scheiden“, beschrieb Bischof Přibyl Opaseks Lebensweg. Als prophetisch bezeichnete der Bischof auch Opaseks letzte überlieferte Worte: „Fürchte Dich nicht, es wird alles gut!“
Die Errungenschaften für das Zusammenleben in Europa darstellen
Unter dem Titel „Deutschland und Tschechien gemeinsam als europäischer Motor?“ stand die Festveranstaltung zum 20-jährigen Jubiläum des EU-Beitritts Tschechiens, der am 1. Mai 2004 erfolgte. „Auch ein Werk von jahrzehntelanger Versöhnungsarbeit?“ fragte Moderator Rainer Karlitschek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde, in die Runde bzw. Rethmann, der in einem Impulsreferat darauf einging. Vor dem Hintergrund historischer Aspekte (NS-Herrschaft, Münchner Abkommen, Protektorat, Vertreibung der Deutschen, Blockbildung nach 1945) sprach der Bundesvorsitzende von einer „nicht unbedeutenden Rolle der Ackermann-Gemeinde“, vor allem des Geistes dieser Arbeit in den frühen Nachkriegsjahren. Er nannte das Sühnegebet des Augustinerpaters Paulus Sladek bereits am 13. Januar 1946, wo dieser Gedanken der Rache und neuen Vergeltung abschwor, und an die Aussage des langjährigen Bundesvorsitzenden Hans Schütz, wonach Vertriebene „ein Baustein und nicht Sprengstoff“ sein sollten – auch als Basis für das künftige Bauen von Brücken. Dies habe ab 1989/90 durch bestehende und neue Kommunikationskanäle in Politik und Kirche umgesetzt werden können – für eine gemeinsame Friedensordnung und für Versöhnung und Miteinander, gegen Nationalismus. Inzwischen gebe es aber in Tschechien und Nachbarstaaten populistische, nationalistische Bewegungen. „Wir setzen auf Partnerschaft, Versöhnung und Freundschaft – auch als Basis für eine gute Zukunft. Es geht darum, Ideen zu entwickeln, wie wir miteinander leben und wofür wir in Europa leben wollen“, appellierte Rethmann. Der gemeinsame Motor für Europa zeige sich auch darin, den Ideen mit Kraft nachzugehen und daran weiterzubauen. Die Errungenschaften für das Zusammenleben in Europa müssten deutlich aufgezeigt werden (z.B. offene, verbindende Grenzen). Und es gelte, „auf dem Weg der Versöhnung zu bleiben. Der Nationalismus darf nicht mehr die Gesellschaft und die Politik bestimmen“, so der Bundesvorsitzende. Wichtig sei auch, im Gespräch mit anderen zu bleiben, die eigene Kommunikationsblase zu verlassen, auch mal hart an einem Inhalt zu diskutieren, danach aber gemeinsam ein Bier zu trinken. Kurzum – den anderen im Diskurs, in der Diskussion, im Dialog als Mensch anerkennen. Dies erfordere aber Kraft, gab Rethmann zu. Und es gelte, die positiven Aspekte von Europa zu betonen: der Werterahmen für die Gestaltung unseres Lebens, Europa als ein Stück der persönlichen Identität und die Tatsache, dass gerade dieses Stück der Identität zur Weiterentwicklung beiträgt – auch durch die Arbeit der Ackermann-Gemeinde „mit Partnern und Menschen in vielen Bereichen“.
Idee von Europa auf der einen und das System Europa auf der anderen Seite
Im anschließenden Podiumsgespräch bezogen neben Rethmann der Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie Tobias Gotthardt MdL (auch Mitglied im Bundesvorstand der Ackermann-Gemeinde) und der 1. Bürgermeister von Parkstetten Martin Panten (auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde) Stellung.
Für Gotthardt, der im Mai 2004 im Europäischen Parlament arbeitete, war das Hissen der Fahnen der neu beigetretenen Staaten und der Kontakt zu den Leuten aus Tschechien „sehr berührend“. Als Bayer sind ihm besonders die Kontakte nach Tschechien und Österreich wichtig – auch mit Blick auf die Handelsbeziehungen. Die Idee von Europa müsse vom System Europa (Konstrukt mit bestimmter Agenda) unterschieden werden, dazu gehöre auch eine bestimmte Streitkultur. „Die Entwicklung in Deutschland in den letzten 30 Jahren ist ohne die EU nicht denkbar. Wir wären – in Deutschland und in Bayern – nicht auf dem Niveau von heute. Es ist wunderschön, was mit unseren beiden Nachbarländern alles möglich ist. Europa ist die genialste Idee, die uns passieren konnte“, stellte der Staatssekretär euphorisch fest.
Herausforderungen durch viel Bürokratie
Aus der lokalen Warte - der Perspektive der Gemeinde und des Landkreises - verhehlte Martin Panten eine „gesunde Skepsis zum Nachbarn, den Respekt vor dem Nachbarn“ nicht, ermunterte jedoch zu einem „guten Zusammensein“. Der Parkstettener Rathauschef vermisst die Erlebbarkeit, die Nutzeffekte Europas im täglichen Leben. In der kommunalen Arbeit bringe „viel Bürokratie große Herausforderungen“. Positiv sieht Panten natürlich Begegnungen, aber die Realisierung sei mit einem enormen Bürokratieaufwand verbunden. „Im tagtäglichen Zusammenleben von Menschen findet Europa bewusst oder unbewusst statt. Offene Grenzen usw. wurden zur Gewohnheit. Doch bestimmte Themen lassen die Menschen diese Gewohnheit vergessen. Wir dürfen uns die vielen Errungenschaften nicht kaputtmachen lassen“, forderte das Parkstettener Gemeindeoberhaupt.
„Das erste Gefühl ist das der Errungenschaften. Wir wollen den Diskurs anders prägen, ihn nicht von Nationalisten und Populisten prägen lassen“, knüpfte Rethmann an seinen Vortrag an. Er forderte, „mit Emotionalität die europäische Idee zu vertreten“, hat aber Verständnis für unterschiedliche Ideen und Positionen bei den einzelnen staatlichen Ebenen bzw. in verschiedenen Regionen und Staaten. „Diesem Streit dürfen wir nicht ausweichen. Aber in Europa gibt es Rahmenbedingungen, die uns zwingen, uns zu einigen, gemeinsam Lösungen zu finden“, argumentierte der Bundesvorsitzende. Er plädierte dafür, erlebbare Aspekte (z.B. Auslandssemester für Studenten, Abschaffung der Roaminggebühren) zu benennen, aber auch die Tatsache, dass die Volkswirtschaft von Europa abhängig ist.
Aktuelles Beispiel: Integration der Flüchtlinge
Sehr deutlich wurden die von den jeweiligen Erfahrungen geprägten Statements beim Thema „Flüchtlingsintegration“, bei dem ja alle Ebenen (Kommune/Landkreis, Bundesland, Bundesrepublik, Europa) mitbestimmen und entsprechend handeln sollen. Lokal sei die Integration nicht mehr zu schaffen. Es müssten „tragfähige Konzepte auf Basis der Menschenrechte“ gefunden werden, die Zuständigkeiten seien klar beschrieben, meinte Gotthardt. Als eine „große Herausforderung“ bezeichnete Panten die aktuelle Situation, „von Europa wird eine geschlossene Antwort erwartet, eine einheitliche Lösung für die Geflüchteten in Europa“. Die Rolle der Sprache, die zugleich Wirklichkeit und Emotionen schaffe, betonte Rethmann.
Zum Schluss äußerten sich die Podiumsteilnehmer zur Europawahl. Unterschiedliche Tendenzen in den einzelnen Ländern hat Gotthardt festgestellt mit jetzt zwei extremen Fraktionen, „mit denen man nicht arbeiten kann“. Erstaunt registrierte er im Hinblick auf „tragfähige, flexible Mehrheitsbildungen“ das reservierte Verhalten der großen Fraktion im Europaparlament gegenüber der EKR-Fraktion (Europäische Konservative und Reformer). Die hohe Wahlbeteiligung in Deutschland und auch in Bayern hat Martin Panten erfreut, ebenso die Aktivitäten vieler Gruppen aus dem kirchlichen Bereich, die im Vorfeld Europa in den Fokus gerückt haben. Für wichtig hält es Panten, das Interesse an Europa weiter zu wecken. „Eher ermutigt“ habe ihn der Ausgang der Wahl, blickte Rethmann zurück, da die Zusammenarbeit „in der breiten Mitte des politischen Lagers“ auch künftig möglich sei.
Der Historiker Manfred Heerdegen informierte über das Leben und Wirken von Erzabt Anastáz Opasek.
52 Jahre lang Abt – aber nur einen Bruchteil davon in Amt und Würden
Den Abschluss des Begegnungstages bildete die Gedenkfeier für den am 24. August 1999 im Kloster Rohr bei einem Besuch verstorbenen Erzabt Anastáz Opasek. In dem von Dr. Petr Křížek moderierten Gesprächskreis erinnerten sich der Altabt der Rohrer Benediktinerabtei Gregor Zippel, Prior Frater Franz Neuhausen und der jetzige Erzabt des Klosters Břevnov Prokop Siostrzonek.
Zunächst aber gab der Historiker Manfred Heerdegen einen Einblick in Opaseks Vita. In Wien kam dieser am 20. April 1913 auf die Welt, sechs Jahre später zog die Familie nach Kolín an der Elbe. Nach dem Abitur trat der junge Mann im Jahr 1932 ins Benediktinerkloster Břevnov ein und erhielt im Orden und an der Universität in Prag und in Rom seine Ausbildung. Am 11. Juli 1938 wurde er zum Priester geweiht, er galt als „aufstrebender Mann im Konvent“. Doch ab Herbst 1938 wurde angesichts der politischen Entwicklungen die Situation für den in Braunau und Břevnov angesiedelten Konvent schwieriger. Es kam zur Teilung der Abtei, Opasek wurde 1939 mit dem Prior-Amt betraut, verbunden mit der Sorge für das gesamte Kloster. Da Teile des Klosters von der deutschen Wehrmacht besetzt waren, musste er auch mit dieser zurechtkommen. Im Geheimen half er Verfolgten des NS-Regimes. Am Ende des Krieges galt seine Sorge besonders dem Kloster in Braunau, was aber durch die Ermordung von zwei Braunauer Benediktinern getrübt wurde – wohlgemerkt am 24. August 1945. Im Frühjahr 1947 wurde er zum 60. Abt des nunmehr eigenständigen Klosters Břevnov gewählt. Ein Jahr später erfolgte die kommunistische Machtübernahme, im Oktober 1948 landete sein Name auf einer für Schauprozesse vorgesehenen Liste, am 19. September 1949 wurde er wegen angeblichen Hochverrats und Spionage verhaftet. Das Todesurteil wurde in lebenslängliche Haft umgewandelt, im Mai 1960 erfolgte die Amnestie – aber unter der Auflage, nicht mehr als Priester bzw. Abt arbeiten zu dürfen, sondern als Bauarbeiter und Lagerist. Während des Prager Frühlings wurde Opasek rehabilitiert und konnte kurz wieder die Priestertätigkeit ausüben. Mit der Niederschlagung des Prager Frühlings war jedoch auch dies wieder vorbei. Ende 1968 erhielt er eine Ausreisegenehmigung nach Wien, von dort kam er 1969 nach Rohr, wo er für etwas mehr als 20 Jahre zusammen mit den vertriebenen Mitbrüdern aus Braunau lebte. Hier gründete er im Jahr 1972 die katholisch orientierte Exilvereinigung Opus Bonum, unterstützte die Charta 77 und hatte Verbindungen weit über das tschechisch-katholisch/christliche Milieu hinaus. Mit der politischen Wende entschied er sich im Mai 1990 zur Rückkehr ins Kloster Břevnov, die Erhebung zur Erzabtei im Jahr 1993 war für ihn ebenso nochmals ein Höhepunkt wie die Begrüßung von Papst Johannes Paul II. im Kloster vier Jahre später. Während eines Besuchs im Kloster Rohr starb Erzabt Opasek am 24. August 1999, in Anwesenheit des damaligen Staatspräsidenten Václav Havel wurde er auf dem Klosterfriedhof in Břevnov beigesetzt.
Ein väterlicher, bescheidener Mann
Als einen „sehr bescheidenen und klugen Mann, der wusste, was er wollte“ charakterisierte Altabt Zippel den Erzabt. Er sei eine „gewinnende Persönlichkeit“ gewesen. Dies habe Altabt Zippel tief beeindruckt und bleibe bis heute in Erinnerung. Auf Reisen hat in den 1980er Jahren Prior Frater Franz Neuhausen Erzabt Opasek begleitet und ihn als „väterlichen und ruhigen Mensch“ erlebt. Aber auch die „unkomplizierte und herzliche Art“ erwähnte der Prior. Dies konkretisierte der jetzige Erzabt Siostrzonek, der in manchen Situationen „die direkte Art des Umgangs“ mit Personen und Situationen nannte und dies an einigen Beispielen vertiefte. Besonders aber hob er die mystische Verbindung zwischen dem Ereignis vom 24. August 1945 und Opaseks Tod am gleichen Tag im Jahr 1999 hervor. Er selbst hatte in den 1970er Jahren geheime Kontakte zu Opasek, die nach der Wende 1989 offiziell wurden, auch weil es um die Rückgabe des Klosters ging. Erstmals traf Siostrzonek den Erzabt im Januar 1990 persönlich in einem Krankenhaus in Wien, wo sich Opasek von einem Herzinfarkt erholte. Ab Mai 1990 teilten sich die beiden als Abt und Prior die Verantwortung im Kloster. Im Sommer 1999 war Siostrzonek mit Jugendlichen in den Weißen Karpaten, als Erzabt Opasek seine Fahrt nach Rohr ankündigte.
Text und Fotos: Markus Bauer
(kw)