Pressekonferenz des Bischöflichen Ordinariates
Statement des Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller anlässlich der Pressekonferenz in Regensburg am 21.09.2007
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
meine Aufgabe als Diözesanbischof ist es, mich im Namen Jesu Christi zu kümmern um die Menschen, die in Gott Heil und Halt für ihr Leben suchen. In meinem Bistum sind es 1,3 Mill. Katholiken: Kinder und Jugendliche, Mütter und Väter, Alleinstehende und Verheiratete, Kranke und Behinderte.
Allein in der Pastoral unterstützen mich dabei 1800 Priester, Diakone, Laien im pastoralen Dienst und kirchliche Religionslehrer mit bewundernswertem Engagement. Dazu kommen weit über 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen, wie etwa in den 62 Schulen in kirchlicher Trägerschaft und bei den großen Verbänden der Caritas und der Katholischen Jugendfürsorge. Zu erwähnen sind die vielen Tausend ehrenamtlich tätigen Laien in den Vereinen und Verbänden, wobei wir unter der Verantwortlichkeit des Diözesankomitees mit einer viertel Million Mitgliedern einen großen Einsatz im Laienapostolat aufweisen können.
Durch das Sakrament der Weihe ist der Bischof in ganz besonders tiefer Weise mit seinen Priestern und Diakonen verbunden, die den Klerus der Diözese Regensburg ausmachen.
Daher bin ich zutiefst erschüttert über die Tatvorwürfe, wegen derer am 30. August 2007 ein Geistlicher der Diözese Regensburg verhaftet worden ist. Es besteht leider der begründete Verdacht, dass er sich an einem Kind Übergriffe in dessen Intimsphäre hat zuschulden kommen lassen. Unabhängig von der notwendigen Strafverfolgung durch die Justiz, handelt es sich dabei um eine schwere Sünde gegen das sechste Gebot, die „vom Reich Gottes jeden ausschließt“ (1Korinther 6,9), wenn er nicht vorher Vergebung bei Gott erlangt. Die Priester sind „Vorbilder für die Herde“ Christi, nämlich: die Kirche (1Petrus 5,3). Für alle Gläubigen gelten die Gebote Gottes und der Kirche gleichermaßen, für die Priester aber in vorbildhafter Weise. Darum ist das Entsetzen bei dem schlimmen Vergehen gegen die Keuschheit durch einen geweihten Diener Gottes um so empörender.
Ich möchte jedoch auch auf diesem Weg mein tiefstes Bedauern und Mitgefühl ausdrücken gegenüber den seelisch verletzten Kindern und ihren Eltern. Wir versprechen ihnen jegliche erdenkliche Hilfe. Von meinen drei Geschwistern habe ich 18 Neffen und Nichten in allen Alterstufen, von denen viele schon wieder Väter und Mütter sind. Ich kann das Entsetzen mitfühlen, besonders wenn ich daran denke, dass einem unserer Lieben etwas angetan würde, aber auch, was Gott verhüten möge, wenn einer der Unseren eine strafbare Handlung beginge.
Für mich persönlich ist es auch ein unerträglicher Gedanke, dass ein Geistlicher, der im Namen Jesu Christi täglich die Heilige Messe feiert, und ein Vorbild an Liebe sein soll, ein Kind sexuell missbraucht haben soll. Dieser Widerspruch schreit zum Himmel! Jesus sagt: „Lasset die Kinder zu mir kommen. Hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Er nahm sie in seine Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.“ (Mk 10,14f). So wird immer in den vielen Kindersegensgottesdiensten aus der Bibel vorgelesen. Die Hände des Priesters werden mit dem heiligen Öl gesalbt, damit er die Menschen segnet und nicht, dass er ihnen schadet.
Viele fragen sich: Wie konnte es zu der schlimmen Tat kommen? Wer ist schuld oder mitschuldig? Hätte man die fatale Neigung früher erkennen können oder gar müssen? Warum wurde er wieder in der Pfarrseelsorge eingesetzt, wo er mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommen konnte?
Viele Fragen gehen mir durch den Kopf. Um sie wahrheitsgemäß beantworten zu können, wird man genau unterscheiden müssen, was die Gründe und Möglichkeiten 2004 waren und was wir heute wissen.
Als ich persönlich mit Peter Kramer und dessen zukünftigem Einsatz befasst wurde, war die Straftat von 1999 schon geschehen. Auch war das Gerichtsurteil von 2000 schon ergangen, und bis Mitte 2003 waren alle gerichtlichen Auflagen erfüllt. Erst ein volles Jahr später, im September 2004, wurde er als Verwalter der Pfarreien Riekofen und Schönach eingesetzt. Bei den rund 70 jährlichen Versetzungen im pastoralen Bereich bereiten die Personalreferate die Entscheidungen vor, die in der Ordinariatskonferenz besprochen werden. In der Regel stimmt der Bischof dem Beratungsergebnis zu.
Die Entscheidung, Peter Kramer wieder in die Pfarrseelsorge einzusetzen, beruhte auf mehreren Säulen:
1. Viele Pfarrangehörige wollten den Priester als Pfarrer, nachdem sie ihn durch gottesdienstliche Aushilfen kennen gelernt hatten. Es wurden denn auch nie Klagen und Beschwerden über ihn laut. Er war allgemein sehr beliebt und als Seelsorger anerkannt.
2. Das siebenseitige sehr detaillierte Fachgutachten, das der gerichtlich angeordnete, keineswegs kirchlich bestellte Therapeut zum Abschluss vorlegte, bescheinigte, dass der Geistliche keine pädophile Fixierung habe und dass die Tat in Viechtach auf ein einmaliges, regressives Verhalten zurückzuführen sei. Es bestünden keine Bedenken gegen einen Wiedereinsatz.
3. Juristisch war die Bewährungszeit ohne Komplikationen und weitere Auflagen vorübergegangen. Und man wollte
4. schließlich auch dem Priester und seiner Würde als Mensch gerecht werden, der juristisch und therapeutisch voll rehabilitiert schien. Wenn Jesus auch den schlimmsten Sündern verziehen hat und nach menschlichem Ermessen bei Peter Kramer wie bei jedem anderen Menschen, der auch mit Jugendlichen zusammenkommt, kein Übergriff auf Kinder mehr zu erwarten war, wie konnte man ihm eine zweite Chance versagen? Können wir in der Kirche die Strafe eines lebenslänglichen Ausschlusses aus der Seelsorge verhängen ohne verantwortbaren Grund, wenn unser modernes Rechtsempfinden von der Verhältnismäßigkeit der Strafe zur Tat und von einer Resozialisierung ausgeht?
Die Entscheidung war also verantwortet, auch wenn das wohlbegründete Vertrauen auf schreckliche Weise missbraucht wurde und er etwas getan hat, was in schreiendem Widerspruch zur Berufung als Guter Hirte steht. Ich wünschte, ich könnte das Geschehen rückgängig machen.
Die Taten, die dem Geistlichen jetzt vorgeworfen werden, müssen uns antreiben, gemeinsam zu überlegen, wie wir zukünftig besser mit diesen Problemen umgehen können, wie wir vielleicht die Gutachten tragfähiger machen können, wie wir uns gegenseitig in den Diözesen austauschen und helfen können, um mögliche Gefahren im Vorfeld besser abschätzen zu können. Für mich gibt es hier nur null Toleranz. Ich möchte das Thema auch mit meinen Mitbrüdern in der bayerischen und deutschen Bischofskonferenz besprechen.
Für die Gläubigen in den Pfarreien Riekofen und Schönach sind die Vorwürfe gegen ihren bisherigen äußerst beliebten Seelsorger ein großer Schock. Den Opfern gilt meine ganze Sorge. Mit Prälat Gottfried Dachauer habe ich einen sehr erfahrenen Seelsorger für die beiden Pfarreien angewiesen und ihm einen Tag später eine Sozialpädagogin für die Jugendarbeit zur Seite gestellt. Den Diözesanbeauftragten für sexuellen Missbrauch, Dr. Gerhard Leinhofer, habe ich gebeten, baldmöglichst mit den Opfern und Angehörigen Kontakt aufzunehmen und Hilfen in die Wege zu leiten.
Inzwischen gab es auch viele Gespräche und Maßnahmen. Zum nächstmöglichen Termin werde ich nach Riekofen und Schönach fahren und mit den Betroffenen reden. Der Generalvikar, der Personalreferent und der neue Pfarrer haben bereits mit den Mitgliedern der beiden Pfarrgemeinderäte die Situation besprochen. Ich selber habe mich mit den beiden Sprechern der Pfarrgemeinderäte und mit den beiden Bürgermeistern ausgetauscht. Bei allem hatte ich den Eindruck, dass viele wie auch ich immer noch schockiert über die Ereignisse sind. Langsam aber richtet sich der Blick nach vorne und die Bereitschaft wächst, mit dem neuen Pfarrer und der Sozialpädagogin zusammenzuarbeiten. Nur im Blick hinauf zum Kreuz, an das der allein sündlose Herr Jesus angenagelt wurde, können wir wieder Vertrauen finden.