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Der Ablass ist besser als sein Ruf

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Ablass. Viele lässt der Begriff zunächst an Mittelalter und Geschäftemacherei denken. Wenn man sich mit dem eigentlichen Sinn des Ablasses beschäftigt, entdeckt man hinter diesem Angebot der Kirche aber eine „sehr menschliche, auch eine sehr aktuelle und ich möchte sogar sagen fast moderne Überlegung“, zeigt Bischof Rudolf Voderholzer in seiner Predigt bei der <link record:tt_news:4269 internal-link des heiligen jahres im bistum>Eröffnung des Heiligen Jahres im Bistum Regensburg. „Was der Apostel Paulus schreibt, gilt für alle Zeiten: Leidet einer, leiden alle mit, freut sich einer, freuen sich alle (vgl. 1 Kor 12,26).“ Der Ablass sei ein Angebot, der ein Bewusstsein von Gemeinschaft und innerer Verwiesenheit aller Brüder und Schwestern in der Kirche voraussetzt. Es geht um die Gemeinschaftsdimension von Schuld aber auch von Liebe - es geht um Solidarität. 

Lesen Sie im Folgenden den entsprechenden Auszug aus der <link http: www.bistum-regensburg.de multimedia mediathek der-ablass-ist-besser-als-sein-ruf-predigt-von-bischof-voderholzer-695 _blank external-link-new-window von bischof dr. rudolf voderholzer zum adventssonntag im dom zu>Predigt von Bischof Dr. Rudolf Voderholzer zum 3. Adventssonntag (Gaudete) im Dom zu Regensburg. 

 

Zum Sinn des Ablasses

Zum Angebot der Barmherzigkeit, liebe Schwestern und Brüder, gehört auch, Sie haben es sicher schon gehört, der Jubiläumsablass. Manche Medien greifen das Thema gerne auf, weil sie darin Konfliktpotential und somit Aufmerksamkeit für sich wittern.1 Liebe Schwestern und Brüder! Der Ablass steht nicht im Zentrum des Heiligen Jahres. Man muss ihn nicht überbetonen. Wir wissen um den schrecklichen Missbrauch, der im Spätmittelalter den Ablass in die Nähe der Geschäftemacherei und somit bleibend in Verruf gebracht hat, so dass er auch mit ein Anlass für die Reformation geworden ist. Aber wer sich einmal mit dem wirklichen Sinn und dem Wesen des Ablasses, nicht nur dem Unwesen, sondern dem Wesen beschäftigt, der wird bald merken: Der Ablass ist besser als sein Ruf. Es steckt eine sehr menschliche, auch eine sehr aktuelle und ich möchte sogar sagen fast moderne Überlegung dahinter.

Theologische Voraussetzungen des Ablasses

Lassen Sie mich auch dazu noch ein paar Gedanken vortragen. Der Ablass hat ein paar Voraussetzungen, die freilich in einer oft sehr eindimensionalen Wahrnehmung nicht mehr erfasst werden.

Erstens: Der Ablass ist nicht die Vergebung der Sünden, die allein durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit geschieht und in der Beichte zugesprochen wird. Kein Ablass ohne Beichte! Das ist das erste, und es sollte auch im ökumenischen Gespräch und in der öffentlichen Darstellung die Regel sein, dass man das nicht ständig verwechselt. So schwer ist es nun wirklich nicht, das einzusehen.

Zweitens: Mit der sakramentalen Lossprechung ist zwar die Beziehung zu Gott geheilt, und damit zweifellos das wichtigste und entscheidendste. Aber wir alle wissen, dass es Folgen von Schuld und Versagen gibt, die weiterwirken, in mir, dem Sünder, und in der Welt. Jedes Versagen, jede Schuld hat Folgen, die sich für den Betreffenden auch als Strafe auswirken. Der Ablass ist per definitionem der Erlass dieser zeitlichen Sündenstrafen, eine Hilfe in der oft sehr komplexen Aufarbeitung von Schuld und eine Hilfe auf dem Weg zur Erneuerung des Menschen und zu seiner Heiligung.

Es bleibt auch nach der sakramentalen Vergebung manches wiedergutzumachen, falls es überhaupt möglich ist. Da muss man an sich arbeiten. Das kostet geistliche Mühe. Hierfür hat die Kirche eine Hilfe anzubieten.

Die Gemeinschaftsdimension der Schuld

Das Versagen eines Christen hat Folgen auch für die Gemeinschaft. Es gilt schon außerhalb der Kirche: Wenn ein Politiker korrupt ist, dann heißt es schnell: Die sind doch alle so, ein ganzer Berufsstand wird durch einen Vertreter in Verruf gebracht. Oder jetzt bei der FiFa: Einige schwarze Schafe können das ganze Unternehmen in Verdacht und Verruf bringen. Was schon im weltlichen Bereich gilt, gilt umso mehr in der Kirche, die wir nicht nur ein Verein sind, dessen Mitglieder eher zufällig und nur äußerlich auf einer Liste stehen. Nein, als Christen sind wir Glieder eines Leibes. Was der Apostel Paulus schreibt, gilt für alle Zeiten: Leidet einer, leiden alle mit, freut sich einer, freuen sich alle (vgl. 1 Kor 12,26). Die Ablass-Praxis als ein im Mittelalter sich ausbildender Aspekt des sozialen Charakters von Schuld und Versöhnung setzt ein lebendiges Bewusstsein um die Schicksalsgemeinschaft der Kirche voraus: Hier trägt wirklich einer des anderen Last, wir sind eine Schicksalsgemeinschaft im Bösen, aber auch –Gott sei Dank – im Guten.

Der so genannte „Schatz der Kirche“

Und dann wird auch klar, dass die Kirche bei der Aufarbeitung der Schuld beteiligt ist. Wenn die Kirche zum Heiligen Jahr auch einen Ablass ausruft, dann geht es nicht um ein Geschäft, sondern um einen weiteren Aspekt der Barmherzigkeit, der begründet liegt in der Kirche als Schicksalsgemeinschaft auch und gerade im Guten. Denn wir häufen nicht nur Schuld an, sondern auch – Gott sei Dank – das Heilmittel, die Liebe. Darauf hat Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt, immer wieder in wunderbaren Worten hingewiesen. Er konnte sich stützen auf die Forschungen der Bußgeschichte, wie sie vor allem Bernhard Poschmann, Herbert Vorgrimler und Karl Rahner in den 50er Jahren schon vorgelegt haben.2 „Nach der klassischen Antwort liegt die ‚Deckung‘ dieses Erlasses im ‚Schatz der Kirche‘, das heißt in dem Überschuss an Gutem, den es in der Welt durch das Mitlieben und Mitleiden der Heiligen mit Christus gibt.“3 Wir können demnach sagen: Menschen dürfen und sollen füreinander einstehen, wo es darum geht, die göttliche Gnade, die Vergebung und die Barmherzigkeit anzunehmen, sie sich zu Eigen zu machen. Dabei dürfen wir einander helfen. Und Kardinal Ratzinger folgert: „Es gibt nicht nur die Solidarität der Sünde, sondern auch die Solidarität der Gnade.“4

Einfacher formuliert könnte man sagen: Die Heiligen haben uns einen Vorrat an Gutem in der Welt hinterlassen, der dem Vorrat an Bösem entgegensteht. Weil die Taten Christi hinzugezählt werden, dürfen wir aus guten Gründen hoffen, dass der Vorrat an Gutem überwiegt, dass wir als Leib Christi einen Überschuss an Gutem haben. Den Gemeinschaftscharakter betont Joseph Ratzinger, wenn er weiter formuliert: „Auch in den persönlichsten Dingen, wie es die innere Bewältigung von Schuld und Gnade ist, sind wir nicht fest voneinander abgeschlossene Individuen: Auch da gibt es Solidarität. Wir können uns gleichsam aneinander anhängen, die schon gefundene Freiheit des anderen zu leihen nehmen und von ihr mitgetragen werden.“5


Der Schatz der Kirche in den 95 Thesen Martin Luthers

Nicht zufällig hat Martin Luther in einer seiner 95 Thesen, die als das Manifest der Reformation gelten, gerade aber diesen Gedanken des „Schatzes der Kirche“ in Zweifel gezogen. Martin Luther beruft sich in These 59 auf den Diakon Laurentius.6 Die Begebenheit war folgendermaßen: Der Stadtpräfekt Roms stellt den heiligen Laurentius als den Kassenverwalter der Kirche Roms und auch den „Caritas-Direktor“ der damaligen Zeit zur Rede in der Hoffnung, die vermeintliche Schätze der Kirche Roms zu Gesicht zu bekommen und sie für sich zu beschlagnahmen. Der heilige Laurentius sagt: „Ich führe Dich zu den Schätzen der Kirche.“ Und er führt ihn in den Saal der Armenspeisung. „Das sind die Schätze der Kirche, die Armen.“7 Mit diesem Hinweis möchte Martin Luther das Verständnis vom „Schatz der Kirche“, wie es dem Ablasswesen zugrunde liegt, entkräften. Aber, liebe Schwestern und Brüder, auch und gerade der heilige Laurentius hat durch seine Tätigkeit als Diakon und „Caritas-Direktor“ der Kirche Roms in der Mitte des 3. Jahrhunderts einen Schatz mit angehäuft, den ein heiliger Martin, den eine heilige Elisabeth, den ein heiliger Vinzenz, den ein heiliger Maximilian Kolbe, den eine heilige Anna Schäffer, den eine selige Mutter Teresa, den die vielen Heiligen auch unseres Bistums mitangehäuft haben. Und der Blick auf das heilige Leben und Sterben der Heiligen, die Bereitschaft, sich von ihnen an der Hand nehmen zu lassen, die Bereitschaft auf ihr Vorbild zu schauen und von ihrem Schatz in gewissem Maße etwas für das eigene Leben in Empfang nehmen zu dürfen, ist eine der Hilfen, selber ein besserer, ein heiliger Mensch zu werden: das steckt hinter der Rede vom Ablass.

Dass Schuld und Sünde eine soziale Dimension haben; dass die Aufarbeitung von Schuld und Sünde ebenso einen sozialen Aspekt hat; dass die Arbeit an mir selbst mit dem Ziel, ein besserer Mensch zu werden, auch die Gemeinschaft betrifft und von der Gemeinschaft mitgetragen werden kann: so abwegig ist das doch nicht! Liebe Schwestern und Brüder, der Ablass braucht keine Barmherzigkeit, aber manchmal ein wenig Gerechtigkeit. So gesehen müssen wir uns als Katholiken nicht für den Ablass schämen. Er ist ein Anlass darüber nachzudenken, was die Kirche als eine Heilsgemeinschaft im Tiefsten ist, nämlich eine Gemeinschaft, in der gilt: Leidet einer, dann leiden alle mit. Eine Gemeinschaft, in der aber auch gilt: freut sich einer, dann freuen sich alle mit (vgl. 1 Kor 12,26). Ist einer heilig, dann dürfen sich alle an ihm aufrichten und von ihm her Fürsprache, aber auch ein begeisterndes und ein verbesserndes Vorbild erhoffen.

Zusammenfassung und Gebet

Noch einmal: Der Ablass steht nicht im Zentrum des Heiligen Jahres. Er setzt ein tiefes Bewusstsein um die innere Verwiesenheit und Solidarität aller Schwestern und Brüder im Leib Christi voraus, er nimmt die soziale Bedeutung von Schuld ernst und eröffnet einen Weg, die Gnade und Versöhnung auch geschichtlich real anzunehmen und wirksam werden zu lassen. Wer weiter fortgeschritten ist im geistlichen Leben, für den ist es ein Angebot.

So beten wir mit Papst Franziskus im Hinblick auf das zentrale Anliegen des Heiligen Jahres, das uns die Botschaft bringt:
Das Tor des göttlichen Erbarmens ist geöffnet für dich und mich. Herr Jesus Christus, du hast uns gelehrt, barmherzig zu sein wie der himmlische Vater, und uns gesagt, wer dich sieht, sieht ihn. […] Du bist das sichtbare Antlitz des unsichtbaren Vaters und offenbarst uns den Gott, der seine Allmacht vor allem in der Vergebung und in der Barmherzigkeit zeigt. Mache die Kirche in der Welt zu deinem sichtbaren Antlitz, dem Angesicht ihres auferstandenen und verherrlichten Herrn, Amen.


Lesen Sie die gesamte <link http: www.bistum-regensburg.de multimedia mediathek der-ablass-ist-besser-als-sein-ruf-predigt-von-bischof-voderholzer-695 _blank external-link-new-window von bischof voderholzer bei der eröffnung zum heiligen jahr>Predigt von Bischof Voderholzer bei der Eröffnung zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit.

 

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1 Vgl. beispielsweise Christian Eckl, Auch Regensburg hat eine Heilige Pforte mit Ablass-Garantie, in: Wochenblatt vom 10.12.2015, online auf: <link http: www.wochenblatt.de nachrichten regensburg regionales _blank external-link-new-window>

www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Auch-Regensburg-hat-eine-Heilige-Pforte-mit-Ablass-Garantie;art1172,340935

[16.12.2015] oder auch: Michael Bischoff, An dieser Tür werden sie morgen alle Sünden los, in: BILD, Ausgabe Köln vom 7.12.2015, 12.
 
2 Vgl. Bernhard Poschmann, Buße und Letzte Ölung (= Handbuch der Dogmengeschichte, Bd. 4/3), Freiburg 1951; Karl Rahner, Mensch und Sünde. Schriften zur Geschichte und Theologie der Buße (= Karl Rahner Sämtliche Werke, Bd. 11), Freiburg 2005, darin u.a.: Ders., Kleiner theologischer Traktat über den Ablass (1955), Ders., Zur Theologie der Buße bei Tertullian (1952); Herbert Vorgrimler, Buße und Krankensalbung (=Handbuch der Dogmengeschichte, Bd. 4/3), Freiburg 1978; neuerdings werden die Arbeiten rezipiert von Przemyslaw Nowak, Friede mit der Kirche. Bernhard Poschmann (1878–1955) und seine dogmengeschichtlichen Forschungen zum Bußsakrament (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, Bd. 47), Köln / Weimar / Wien 2013.

3 Joseph Ratzinger, Das Heilige Jahr der Erlösung. Interview mit Joseph Kardinal Ratzinger über den Sinn des Heiligen Jahres, in: Bistumsblatt Regensburg, Nr. 30 vom 24.07.1983, 7; Nr. 31 vom 31.07.1983, 4, neuerdings in: Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth. Beiträge zur Christologie (= Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften, Bd. 6/2), Freiburg 2013, 1008–1014, hier: 10 f.
 
4 Ratzinger, Das Heilige Jahr der Erlösung (wie in Anm. 3), 1011.

5 Ratzinger, Das Heilige Jahr der Erlösung (wie in Anm. 3), 1011.
 
6 Vgl. Volkmar Joestel, Luthers 95 Thesen. Der Beginn der Reformation (= Das Tagebuch Europas 1517), Berlin 1995, 71.
 
7

 Vgl. die Darstellung etwa bei Ambrosius von Mailand, Von den Pflichten der Kirchendiener, in: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand ausgewählte Schriften, Bd. 3, übers. und eingel. von Joh. Ev. Niederhuber (= Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 32) Kempten / München 1917, 197 f., online auf: www.unifr.ch/bkv/kapitel2722-27.htm [16.12.2015]. 

 



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