Beratung im Wandel der Zeit – Von der Kreidetafel bis TikTok
Bereits 1959 war die KJF aktiv in Kelheim zum Wohle der Familien aktiv, damals noch mit einer Außenstelle der Erziehungsberatung Regensburg. Im Oktober 1973 nahm die eigenständige Beratungsstelle in der Altmühlstraße ihre Arbeit auf. Nach drei Umzügen – 1976 in die Alleestraße, 1978 in die Pfarrhofgasse – fand die Einrichtung 2022 in der Riedenburger Straße eine neue Heimat. Erfreulich sei, so Brigitta Hable, dass im Lauf der Zeit die Hemmschwelle, Beratung in Anspruch zu nehmen, gesunken ist, früher sei dies schambehafteter gewesen. In den 1990er-Jahren waren Stottern oder sogenannte Händigkeitstests noch häufige Anmeldegründe. Diese spielen heute keine Rolle mehr – ebenso Prüfungsängste oder Leistungstests.
Deutlich mehr Anmeldungen verzeichnet die Beratungsstelle wegen Trennung oder Scheidung der Eltern: Mit Mediationen oder Kinder-im-Blick-Kursen versuchen Brigitta Hable und ihr Team, den Familien in dieser schwierigen Situation zu helfen. „Insgesamt sind die Gründe, aus denen Menschen bei uns Rat suchen, komplexer geworden“, stellt die Psychologische Psychotherapeutin fest. Ritzen, selbstverletzendes Verhalten, sexuelle Gewalt, Fragen zur sexuellen Orientierung oder Identität sowie Medienkonsum sind hinzugekommen. So besitzen mittlerweile 81 Prozent der Zwölfjährigen ein Smartphone.
Im gleichen Zeitraum hat sich auch die Erziehungseinstellung der Eltern gewandelt, weg von einem autoritären Erziehungsstil, hin zu einem bedürfnisorientierten, der die Anliegen der Kinder stärker in den Blick nimmt. „Früher wurden die Probleme oft am Kind festgemacht, es sollte in der Beratung ,repariert‘ werden“, sagt Brigitta Hable. „Heute setzen Eltern die Probleme der Kinder oft in Beziehung zum eigenen Verhalten. Außerdem kommen sie oft schon mit vielen vorab gewonnenen Informationen zu uns, aus dem Internet, Büchern, von Bekannten oder anderen Fachleuten.“
Aufsuchende Erziehungsberatung
Ein Wandel ist auch in der Beratungsarbeit festzustellen: Auch hier gehen die Beraterinnen und Berater stärker auf die Bedürfnisse der Ratsuchenden ein und versuchen unter anderem, ihnen räumlich entgegenzukommen: So hat die Beratungsstelle Kelheim durch die Aufsuchende Erziehungsberatung über 20 Anlaufstellen im Landkreis und bietet Sprechstunden in vielen Kitas, einem Mehrgenerationenhaus und einem Bürgertreff. 2019 wurde zu diesem Zweck eine halbe Stelle geschaffen, eine weitere halbe Stelle 2023. Auch der neue Standort in der Riedenburger Straße zielt darauf ab, den Weg in die Beratungsstelle möglichst einfach zu gestalten: Die Räume sind mit dem ÖPNV gut erreichbar, sowie ebenerdig und barrierefrei. Trotz der zahlreichen Veränderungen gibt es auch eine Konstante, die sich seit 50 Jahren kaum verändert hat, wie Brigitta Hable herausstellte: „Gleich geblieben ist die Hoffnung – bei den Mitarbeiterinnen und den Ratsuchenden – dass sich die Dinge durch unsere Beratung zum Besseren wenden können.“
Derzeit arbeiten sieben Fachkräfte in der Beratungsstelle – weil die meisten Mitarbeiterinnen in Teilzeit tätig sind, entspricht dies 4,52 Vollzeitstellen. Zwei Teamassistentinnen teilen sich eine Vollzeitstelle. Zusätzlich stehen acht Wochenstunden für Förderunterricht und seit 2004 sechs Wochenstunden für Umgangsbegleitung zur Verfügung. Letzteres ist eine Besonderheit der Kelheimer Beratungsstelle, die es so in den meisten anderen Einrichtungen nicht gibt. Seit 2009 bietet eine speziell ausgebildete Mitarbeiterin eine Schreibabyambulanz an. Um auch während der Corona-Pandemie für die Ratsuchenden erreichbar zu sein, wurde die Möglichkeit der Videoberatung eingeführt. „Als der persönliche Kontakt zu den Ratsuchenden, der für unsere Arbeit so wichtig ist, nicht mehr möglich war, mussten wir schnell reagieren“, so Hable. „Unser Träger hat uns zügig mit Laptops und einer datenschutzkonformen Software für die Videoberatung ausgestattet.“ Allgemein sind die Fallzahlen auf hohem Niveau: 2022 wurden 411 Klientinnen und Klienten betreut, 50 mehr als im Vorjahr. Rund 85 Prozent kamen aus dem Landkreis Kelheim, etwa 12 Prozent aus der Stadt.
Text und Bilder: Sebastian Schmid
(mk)