Aufarbeitungsstudie Interview mit Rechtsanwalt Ulrich Weber
Völlige Transparenz und Aufklärung
Regensburg, 29.November 2024
Transparenz und lückenlose Aufklärung - das sind die Schlagworte der Aufarbeitungsstudie für sexuelle und physische Gewalt von 1945 bis heute des Bistums Regensburg. Beauftragt mit dieser Studie wurde Rechtsanwalt Ulrich Weber, der bereits für die Regensburger Domspatzen, sowie für das Bistum Mainz eine solche Aufarbeitungsstudie erstellt hatte. Wir haben deshalb mit dem beauftragten Rechtsanwalt, Herrn Ulrich Weber ein ausführliches Interview geführt, worum es bei der beauftragten Aufarbeitungsstudie geht, was die Ziele sind und wann die Studie veröffentlicht wird. Lesen Sie hier das Interview in voller Länge:
Herr Weber, Sie wurden von der Diözese Regensburg beauftragt und der dort wirkenden unabhängigen Aufarbeitungskommission beauftragt, im Rahmen einer Studie die Aufklärung der im Raum stehenden massiven Gewalt in aller Erscheinungsform, insbesondere natürlich massiver sexualisierter und physischer Gewalt, die sich in deren Wirkungsgebiet seit 1945 ereignet haben, zu übernehmen und hierfür der Öffentlichkeit in anonymisierter Form zu berichten. Und jetzt gleich die erste Frage: Warum denn die Aufarbeitungsstudie zum jetzigen Zeitpunkt?
Rechtsanwalt Ulrich Weber: Okay, also erstmal vielen Dank, dass ich da sein darf. Dass es in Zusammenarbeit mit der Pressestelle vom Ordinariat vom Bistum Regensburg klappt, dass ich dieses Projekt, das ich unabhängig und unparteilich zu verantworten habe, letztlich auch mal vorstellen darf. Der Zeitpunkt jetzt ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass mit, glaube ich, 2021 im Bistum hier eine unabhängige Aufarbeitungskommission eingerichtet wurde und diese Aufarbeitungskommission sich finden musste. Und nachdem sie sich gefunden hatte, glaube ich schon sehr tatkräftig auch an der Gestaltung der Aufarbeitung, nämlich der tatsächlichen Arbeit, die von der Aufarbeitungskommission erwartet wird, die Gestaltung letztlich voranzutreiben und die Gestaltung einer solchen Studie auch mit in die Hand zu nehmen und dies auch unabhängig vom Bistum. Das ist eben die Aufgabe dieser Aufarbeitungskommission. Und da geht es darum, welche Fragen, welche Themenkomplexe sollen bearbeitet werden, welche Fragen sollen beantwortet werden? Wie sieht die Analyse aus?
Die Gestaltung hat Zeit gebraucht und nach dem 3-jährigen Bestehen dieser Aufarbeitungskommission wurde dann schlussendlich letztlich mein Projekt beauftragt vom Bistum und in der gestalteten Art von der Aufarbeitungskommission. Das hat gut geklappt. Ich bin auch sehr froh über die Themenbereiche, die in diesem Projekt bearbeitet werden können und dürfen. Und vorweg: Es wird eine Aufarbeitung sein. Aber was dieses Projekt zuvorderst ist, ist eine Aufklärungsstudie. Die Aufklärung ist die Basis von der Aufarbeitung. Aufarbeitung bedeutet ja, oder kann ja auch bedeuten, sich mit erforschten erhobenen Daten und Wissen letztlich zu beschäftigen, in den Dialog zu gehen, in die Debatte zu gehen und schließlich auch Ergebnisse zu finden, dass die Sache wieder gut wird.
Was ist Ihr Vorgehen dabei und die Zielrichtung?
Ulrich Weber: Gut, am Anfang ist es natürlich wichtig bei so einem großen Projekt, dass man sich orientiert. Man beginnt mit Orientierungsgesprächen. Da geht es von der Leitungsebene aber auch in die zweite Leitungsebene hinein. Man orientiert sich gegebenenfalls auch vor Ort bei Pfarrgemeinden. Wo gibt es etwas, oder wie ist überhaupt etwas organisiert? Beispielsweise müssen wir, also ich und mein Team, uns erst mal orientieren, welche Kinderheime, Erziehungsheime, Internate, Seminare in diesem Zeitraum von 1945 bis heute vorgeherrscht haben. Also wir orientieren uns. Im Anschluss werden dann Daten erhoben. Die Daten, das sind Aktenunterlagen, aber im Wesentlichen auch Gespräche. Und da geht es auch um Gespräche mit Wissensträgern, Verantwortlichen, insbesondere aber mit Betroffenen, die Experten durch diese leidvollen Geschehnisse sind.
Zum Schluss geht es dann im Rahmen einer Analyse, also alle Daten, die letztlich dann gesammelt worden sind und eingesammelt worden sind, erhoben worden sind, die gilt es dann zu analysieren und da komme ich auch dann schon zu den Zielen. Diese Analyse rechtfertigt die Annahme von Transparenz, von einer wahrhaften Aufklärung. Wir maßen uns nicht an und es wäre auch unseriös, die absolute Wahrheit erforschen und ergründen zu wollen, sondern es geht um eine wahrhafte, gewissenhafte, seriöse, valide, belegbare und belastbare Aufarbeitung. Und das ist dann letztlich der Erfolg aller. Und damit ist auch das Ziel definiert. Alle Anspruchsgruppen, die Interessierten, die betroffenen Mitarbeiter im Ordinariat, aber auch letztlich der Bischof höchstselbst, sind daran interessiert zu wissen, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hier vorgefallen ist.
Auf was können Sie jetzt zwischenzeitlich zurückblicken? Sie haben ja schon einige Erfahrung. Sie haben bereits 2017 die Regensburger Domspatzenstudie erstellt und 2023 die Aufarbeitungsstudie für das Bistum Mainz erarbeitet.
Ulrich Weber: Also zurückblicken kann ich auf tolle, bereichernde, intensive Gespräche, auch da wieder mit allen Anspruchsgruppen und allen Gesprächspartnern. Es ist so, dass ich der Auffassung bin, mir wurde da ein großer Wert, ein großes Vertrauen auch gegenüber gebracht, insbesondere bei den Gesprächen. Meine Gesprächspartner haben vor, nach und während den Gesprächen von mir nichts zu erwarten, also keine monetäre Anerkennung oder dergleichen. Ja, es war wichtig für viele Betroffene, dass ihnen zugehört wird, dass auch unparteilich, also ohne Partei zu übernehmen, für Betroffene oder eben für den Auftraggeber, oder eben für die Aufarbeitungskommission völlig unabhängig und parteilos zugehört wird. Das war enorm wichtig. Und ja, diesen Erfahrungsschatz und diese Erfahrungen und Geschehnisse möchte ich nicht missen, muss ich ganz deutlich sagen. Was mir darüber hinaus sehr positiv in Erinnerung geblieben ist, ist der Wille an Transparenz auch seitens der Auftraggeber und seitens aller Mitwirkenden oder Beitragenden. Wenn man mal so ein Projekt angestoßen hat, muss man ehrlich sein, gibt es kein Zurück. Und ein mauern und ein bagatellisieren wird ja erkannt und offenbart. Und insoweit habe ich durchweg wirklich positive Erfahrungen und eine tolle große Motivation am Mitwirken und an der Schaffung von Transparenz erfahren dürfen.
Was wünschen Sie sich denn von den Betroffenen oder den Gesprächspartnern und wie können diese denn mitwirken?
Rechtsanwalt Ulrich Weber: Also, die Gesprächspartner sind und die Gespräche und Interviews sind natürlich neben den Akten, aber auch den Unterlagen wichtig, allerdings möchte nicht immer nur auf die auf die Akten so Bezug nehmen. Denn ja, Akten enthalten Inhalte. Aber oft sind in den Akten vielleicht nicht die Inhalte enthalten, die für so ein Aufklärungsprojekt notwendig sind. Es geht noch darüber hinaus über Unterlagen. Ich kann mich bei den Domspatzen erinnern, dass es da ein bis zwei Kisten schon gab, die letztlich unsortiert noch im Archiv lagen. Also neben den Akten und den Unterlagen sind die Gespräche die wesentliche Säule von so einer Aufklärung. Hintergrund ist natürlich auch, dass sich noch Personen melden und insbesondere auch Betroffene melden, die vielleicht noch nicht die Kraft gehabt haben, den Mut gehabt haben. Andererseits vielleicht auch noch nicht den Willen gesehen haben, dass wirklich Transparenz geschaffen wird und für diesen Willen an Schaffung von Transparenz habe ich meinen Leumund und dann kommen die Leute zu mir. Und dann wird sich unterhalten.
Wir haben jetzt aktuell auch schon - das Projekt begann ja schon Anfang August - haben wir auch schon ein paar Betroffene, die jetzt dem Bistum beispielsweise noch nicht bekannt sind, die sich bei mir gemeldet haben. Der Impuls für die Personen war: Die meinen das wirklich Ernst! Die wollen wirklich Transparenz schaffen. Und mein Name mit meinem Projektteam steht dafür seit Jahren und das ist auch angespielt auf die Domspatzen oder die Aufklärungsstudie im Bistum Mainz. Mein Name steht dafür und deshalb melden sich dann die Leute bei mir. Ich habe eine Internetseite(www.uweber(at)uw-recht.org), die informiert, ich habe Kontakte und Adressen dort hinterlegt, die man auch problemlos über eine Recherche finden kann. Und darüber hinaus wird auch dieses Interview hier eingestellt, um den Leuten auch noch mal zu zeigen, was dahintersteckt hinter diesem Projekt
Wann können Sie die ersten Zwischenergebnisse vielleicht vorstellen?
Ulrich Weber: Ja, das ist natürlich eine Frage, die vielleicht seriös jetzt gar nicht beantwortbar ist. Nichtsdestotrotz haben wir vor, im Frühjahr 2026 einen Zwischenbericht vorzustellen. Wir wollen im Herbst 2027 letztlich diese Aufklärungsstudie dann veröffentlichen. Hintergrund ist sicherlich, im Frühjahr 2026 mit einem Zwischenbericht noch mal einen Impuls zu setzen, weil die Erfahrung zeigt, dass sich immer wieder und auch im Laufe eines Projekts nach ein, zwei oder auch dann erst nach drei Jahren kurz vor Berichtsveröffentlichung dann immer noch Leute melden.
Herr Weber, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Rechtsanwalt Ulrich Weber: Ich danke Ihnen!
Interview: Christian Beirowski
Fragen: Dr. Stefan Groß
(chb)